In der Fellbacher Lutherkirche leuchteten Lampions vor einer prachtvoll illuminierten Orgelemporer. Foto: Patricia Sigerist

Die Kirchen haben einen Aktionstag der Remstal-Gartenschau für Denkanstöße genutzt – und ein ungewöhnliches Programm geboten.

Fellbach - Pünktlich um 20.19 Uhr haben am Samstag im Remstal die Kirchenglocken geläutet – der Klang lockte auch in Fellbach und Kernen zahlreiche Christen in der „Nacht der Kirchen“ zum Altar. Die Aktion, von der Schmidener Pfarrerin Angelika Hammer in der voll besetzten und extravagant ausgeleuchteten Dionysiuskirche als ein „Leuchtfeuer des Glaubens“ bezeichnet, sollte zwei Wochen vor Ende der Gartenschau die Gläubigen aller Konfessionen in den 16 Kommunen von Essingen bis Remseck verbinden.

Prominente Beteiligung füllte die Kirche in Schmiden

Während die Sitzreihen in anderen Gotteshäusern teilweise erschreckend leer blieben, gehörte die Veranstaltung in Schmiden zu den am besten besuchten Aktionen der Kirchennacht – auch dank der prominenten Beteiligung.

Als Stargast hatte die evangelische Gemeinde nämlich Bettina Limperg gewinnen können. Foto: Brigitte Hess
Als Stargast hatte die evangelische Gemeinde nämlich Bettina Limperg gewinnen können. Die Präsidentin des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe, seit 2014 im Amt und erste Frau auf diesem Posten, sprach in einer Predigt unter dem Titel „Immer nur Hiobsbotschaften – hört das nie auf?“ vom Vertrauen in schwieriger Zeit. Über Hiob, dem alles genommen wurde und der sein Gottvertrauen nach biblischer Überlieferung dennoch nicht verlor, näherte sich die Juristin der Frage, weshalb der Schöpfer den Sündenfall, Not, Krieg und Elend zulasse. „Der Mensch darf sein Leben und den Glauben in Freiheit und Verantwortung gestalten. Wir selbst haben es in der Hand, die Schwachen zu beschützen, die Schöpfung zu bewahren und Kriege zu verhindern“, sagte die aus dem Ruhregebiet stammende 59-Jährige. Schwierig sei vor allem die große Ich-Bezogenheit vieler Menschen. „Vieleicht steckt ja in der „Fridays-for-Future-Bewegung wieder der Blick auf die ganze Welt und nicht nur auf persönliche Vorteile“, sagte Bettina Limperg.

Ihre Gotteshäuser geöffnet hatten auch evangelische und katholische Gemeinden in Kernen am Samstag

Bei einer Vorstellung der prominenten Mitbürgerin in Interview-Form hatte Ute Gall vom Team der Akzente-Gottesdienste die 2021 auch als Präsidentin des ökumenischen Kirchentags fungierende Limperg unter anderem gefragt, welchen Wandel sie in der Gesellschaft wahrnehme. Auf-fallend sei, wie oft ihr Menschen mit diffusen Ängsten begegneten, obwohl wir in einem der sichersten Länder der Welt leben dürften, lautete die Antwort. Bettina Limperg appellierte, mehr Vertrauen in sich und seine Mitmenschen zu haben – und verwies wie auch Pfarrerin Angelika Hammer auf Dietrich Bonhoeffers Liedtext „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, den Stadträtin Ruth Lemaire der Gemeinde vorgelesen hatte. Auskunft gab die vor dem Wechsel an die Spitze des Bundesgerichtshofs im Stuttgarter Justizministerium tätige Mutter zweier Kinder auch über ihren persönlichen Glaubensweg. Bettina Limperg erzählte, sie sei in einer strengen evangelischen Freikirche in Wuppertal aufgewachsen sei, sich in dieser Enge aber bald nicht mehr wohl-gefühlt habe. Getauft worden sei sie erst als Erwachsene – gemeinsam mit ihrem Sohn in der Dionysiuskirche Schmiden.

In Oeffingen hatte die Kirchennacht noch bei Tageslicht mit einem gemeinsamen Pilgerweg von Kirche zu Kirche ihren Auftakt genommen

Ihre Gotteshäuser geöffnet hatten auch evangelische und katholische Gemeinden in Kernen am Samstag. Der Kinderchor „Die Notenhüpfer“ brachte Freude in die Mauritiuskirche in Rommelshausen, wo nach dem Glockenläuten die Musikgruppe Taktzente, die Jugendband Unlimited und bei einer Taizé-Andacht der Chor Dacapo sowie der Kirchenchor aus Stetten auf-traten. Die Katholiken konzentrierten sich auf die Herz-Jesu-Kirche – ein Konzert mit Orgel und Violoncello war eingebettet in ein Abendgebet und Impulsvorträge. Abendmusik der Schüler aus der Musikschule Pliezhausen und geistliche Texte gab es in der Schloss-kapelle der Diakonie Stetten.

In der Fellbacher Lutherkirche leuchteten Lampions vor einer prachtvoll illuminierten Orgelempore, in Oeffingen hatte die Kirchennacht noch bei Tageslicht mit einem gemeinsamen Pilgerweg von Kirche zu Kirche ihren Auftakt genommen.

Der Hingucker stand auch im Altarraum der Johanneskirche und im Turm der Christus-König-Kirche im Mittelpunkt

Vor dem Saal der Mennonitengemeinde sorgte eine über die Brüstung der Treppe hängende Quilt-Decke für Aufmerksamkeit. Viele der 10 auf 10 Zentimeter großen Quadrate, zur Decke zusammengenäht, zeigten ein zur Gartenschau passendes Rosenmuster. Der Hingucker stand auch im Altarraum der Johanneskirche und im Turm der Christus-König-Kirche im Mittelpunkt – schließlich war der Quilt-Pilgerweg eine der ersten Ideen, die vor zwei Jahren bei einem Vorbereitungstreffen auf die Kirchennacht auf Einladung von Pfarrer Eberhard Steinestel zur Sprache kamen. Die Mennonitengemeinde unterhält gleich zwei Quilt-Gruppen. die sich dienstags und mittwochs zur Handarbeit mit gespendeten Stoffresten treffen. Die erste Lieferung der wärmenden Decken ging nach Syrien, die zweite im Februar in die Flüchtlingslager auf der griechischen Insel Lesbos. Die Decken dienen nicht nur dem sozialen Zweck, sie stehen auch als Sinnbild für die Vielfalt der Menschen und des Glaubens: „Jeder Mensch ist schön, jede Decke ist schön“, sprach Anita Luchti in einer Meditation bei den Mennoniten diesen Gedanken aus.

In Maria Regina hatte Alfons Scheirle zur Kirchennacht ungewöhnliche Stücke zeitgenössischer Musik zu einem Gesamtkunstwerk zusammengestellt

Auch Margot Gauß von der katholischen Kirche schlug einen Bogen zur Gartenschau: Die grüne Quiltdecke im Altarraum stehe wie die Erntedankgaben für die Farben der Natur – auf sie müsse man in besonderem Maße achten und dankbar sein.

In Maria Regina hatte Alfons Scheirle zur Kirchennacht ungewöhnliche Stücke zeitgenössischer Musik zu einem Gesamtkunstwerk zusammengestellt. Eine große Wasserschüssel, ein Kaktus und dürre Äste wurden im Altarraum der Fellbacher Kirche zu Klangkörpern. Sie bildeten ein über Monate ausgetüfteltes Schlagzeug, mit dem die ungewöhnliche Architektur des katholischen Gotteshauses unter-strichen und zur Wirkung gebracht werden sollte. Beim aus nur fünf Tönen bestehenden Duett „Litany for the whale“ von John Cage erklangen die Sopran-stimmen von Angelika Luz und Johanna Vargas aus dem gesamten Kirchenraum – wie die weichen Schwimmbewegungen der Meeressäuger durchzogen sie von der Empore bis ins Untergeschoss die Kirche, weich und sanft, klar und transparent, zuweilen sphärisch. Eine besinnliche Wahrnehmung, die an Unendlichkeit erinnerte. „Alle Dinge klingen“, hatte Alfons Scheirle in seiner Einleitung gesagt, „man muss sie nur zum Klingen bringen, hören lernen“. Für die Sängerinnen war das eine bis an den Rand der stimmlichen Möglichkeiten gehende Herausforderung, fürs Publikum eine neue Erfahrung. Weil die katholische Kirche über kein eigenes Geläut verfügt, wurde die remstalweite Ertönen der Kirchenglocken um 20.19 Uhr von der Musikhochschule Stuttgart unterstützt. Bei der zweiten Aufführung des ungewöhnlichen Konzerts gab es als Abschluss „Die Komplet“, ein religiöses Nachtgebet mit der Gregorianikschola.