Dicht an dicht stehen die Autos in Remseck Foto: Max Kovalenko

Die Bewohner der Remstalstraße in Remseck leben an einem Nadelöhr. Wer mit dem Auto von Waiblingen nach Ludwigsburg will, quält sich an ihnen vorbei. Seit Jahrzehnten hoffen die Bewohner von Remseck auf Entlastung.

Remseck - Seit Jahrzehnten hoffen die Bewohner von Remseck auf Entlastung. Doch der von vielen ersehnte Stuttgarter Nordostring inklusive der Neckarquerung westlich von Aldingen, in Anspielung auf den einstigen Stuttgarter Regierungspräsidenten gerne Anriof-Brücke bezeichnet, hat spätestens seit dem Start der grün-roten Landesregierung keine Chance mehr. Mittlerweile ist zudem offensichtlich, dass ein derartiges Vorhaben im zweistelligen Millionenbereich nicht finanzierbar wäre. Speziell die Fellbacher mit Ex-OB Friedrich-Wilhelm Kiel und seinem Nachfolger Christoph Palm an der Spitze hatten sich zudem vehement gegen diese Autobahn auf den Schmidener Feld gestemmt – letztlich mit Erfolg. Diskutiert wird jetzt allenfalls noch über eine kleine Lösung mit einer neuen Brücke circa 400 Meter westlich der bestehenden. Diese Variante soll die Stadt ihrem Ziel näherbringen, endlich eine Neue Mitte zu erhalten.

Doch bis dahin fließt noch viel Wasser den Neckar hinunter – und die Automassen werden die Bürger noch länger quälen. Dabei gebiert der Dauerstau seltsame Hobbys. Emilie Kuhnle ist 97 Jahre alt und zählt jetzt manchmal Autos, wenn sie aus ihrem Wohnzimmerfenster schaut. „300 Autos in 20 Minuten sind es,“ sagt sie. Ihre gute Stube geht auf die Neckarremser Remstalstraße hinaus. Das Alter hat die alte Dame schwerhörig gemacht. „Ich höre den Stau nicht mehr“, sagt sie lächelnd, als müsse sie sich dafür entschuldigen. „Eine Idylle war das hier einmal“, erinnert sie sich. 1936 ist sie in das Haus Nr. 44 eingezogen, in dem sie noch heute mit der Familie ihres Sohnes lebt. Da war die Remstalstraße ein Feldweg.

Emilie Kuhnle sitzt mit ihrem Sohn Gerd und der Schwiegertochter Petra auf der Gartenterrasse, die nach hinten zur Rems geht. Das ständige Rauschen der Straße, das Anfahren und Beschleunigen der Lastwagen, das Klappern der Kanaldeckel unter ihrer Last ist hier nicht zu überhören. Den Geschmack von Abgasen hat man schnell im Mund. Gerd Kuhnle (56) ist hier geboren. Freunde, die im Haus übernachten, bringen allerdings kein Auge zu. Ohne Lärmschutzfenster geht gar nichts. „Wir lüften das ganze Haus zum Garten hin“, sagt Petra Kuhnle. Dort gackern 20 Hühner. Eigentlich eine ländliche Idylle. Würden in Remseck nicht fünf Landesstraßen aufeinanderstoßen und würden die Kuhnles und die anderen Remstalstraßenanwohner nicht an einer der Hauptschlagadern der Region wohnen, an einem echten Nadelöhr. Wer von Waiblingen nach Ludwigsburg oder Stuttgart will, muss hier durch. Vor vier Jahren haben sich deshalb die Anwohner zur Bürgerinitiative Remseck am Stau zusammengeschlossen.

Morgens zwischen sechs und halb sieben baut er sich auf, über Mittag wird es ein bisschen ruhiger. Irgendwann nach 20 Uhr fahren dann wieder weniger Autos. Manchmal stehen die Wagen den Berg hoch bis Hegnach. Kuhnle fragt sich, ob er noch einmal in einen Fassadenanstrich investieren soll. Die Abgase schlagen sich an den Hauswänden nieder, wie schwarze Spinnennetze sieht das aus. Auf weißem Grund sieht man es ganz deutlich. Beim letzten Mal haben die Kuhnles ihr Haus deshalb gelb streichen lassen.

Wie ein Bollwerk gegen die Gezeiten steht auch das Hotel Hirsch da, direkt an der Straße. „Nächstes Jahr ist das Haus 200 Jahre alt“, sagt seine Besitzerin Christel Bäßler (56). Sie hat in teure Lärmschutzfenster investiert. Da die Fensternischen tief sind, hat sie innen jeweils ein zweites Fenster anbringen lassen. Jetzt ist es ruhig. „Es muss doch einmal besser werden“, sagt sie, jetzt wo die Neue Mitte entstehen solle. Die Häuser rechts und links der Remstalstraße liegen im Sanierungsgebiet. In zwei Jahren soll mit dem Bau des neuen Rathauses am Hechtkopf begonnen werden. Ein Vorzeigeareal wird das aber nur, wenn die Anwohner mitziehen. Nicht alle Häuser sind gut in Schuss. Entsprechend gespannt schauen alle auf den Montag, wenn Landes- Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) den Bürgermeistern der betroffenen Gemeinden und den Landräten ein Gutachten zur Verkehrsituation und die Konsequenzen daraus vorstellt.