Die Opfer wurden auf dem Parkplatz versorgt. Foto: Jan Potente

Panik am Berufsschulzentrum: Reizgas hat zehn Schüler und Lehrer verletzt. Zum Glück handelt es sich um eine Übung. Welches Fazit ziehen die Beteiligten von Rettungsdiensten, Polizei und Feuerwehr?

Waiblingen - Panik herrscht am Berufsschulzentrum in Waiblingen. „Wo ist meine Schwester?“, ruft eine junge Frau verzweifelt. Drinnen ist Reizgas ausgetreten – eine dumme Spielerei, aus der bitterer Ernst wurde. Es gibt zehn Verletzte, Menschen suchen nach ihren Angehörigen. Einem Lehrer, der anfangs noch Rettungskräfte eingewiesen hat, geht es plötzlich rapide schlechter. Angesichts der Zahl der Opfer werden auf dem Schulhof Tragen aufgestellt. Retter hüllen benommene Menschen, deren Augen stark gereizt sind, in glitzernde Isolierdecken.

30 geschminkte Komparsen sorgen für Realismus

Das Szenario im Gewerbegebiet war am Samstagnachmittag zum Glück nur eine Übung. Aber es zeigt sehr deutlich, mit welchen Herausforderungen es Einsatzkräfte von Feuerwehr, den Rettungsdiensten und der Polizei zu tun haben, wenn sie zu einem sogenannten „Massenanfall Verletzter und Erkrankter“ – von Fachleuten mit „ManV“ abgekürzt – ausrücken. Insgesamt 30 teils geschminkte Komparsen sorgen für ein real anmutendes Szenario. Von Augenreizungen bis zur Panikattacke ist alles dabei. Wer ist ernsthaft verletzt, wer schreit nur besonders laut? Die Retter müssen Prioritäten setzen und jene Menschen mit schweren Gesundheitsproblemen schnellstmöglich erkennen und in umliegende Kliniken bringen.

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Im Jahr 2016 hat die baden-württembergische Landesregierung festgelegt, dass ein solcher Massenanfall an Verletzten regelmäßig geübt werden muss – die Übung am Freitag kam diesem Entschluss nach. „Das Szenario war sehr gut gemacht“, konstatiert Christian Siekmann, der Pressesprecher des Roten Kreuzes (DRK) Rems-Murr. Das DRK war nicht die einzige an der Übung beteiligte Rettungsorganisation. Auch Malteser Hilfsdienst und Arbeiter-Samariter-Bund rückten an und brachten Verletzte Richtung Krankenhaus. Insgesamt nahmen 60 Einsatzkräfte, die 30 Schauspieler von der DLRG sowie rund 15 Gäste teil. „Je größer die Lage, desto mehr Vertreter von Blaulichtorganisationen kommen dazu“, erklärt der Kreisbrandmeister Rene Wauro.

Unnötige Handgriffe können Leben kosten

Ziel der Übung war es vor allem, dass die Einsatzkräfte erkennen, was sie an den Schnittstellen leisten können. Denn um im Ernstfall effektiv helfen zu können, kommt es auf die richtige Zusammenarbeit an. Unnötige Handgriffe können bei einem Einsatz schlimmstenfalls Leben kosten, und so ist die richtige Arbeitsteilung und Kommunikation extrem wichtig. Da bei der Übung der Einsatzort schnell als sicher gilt, können Feuerwehrleute zum Beispiel dabei helfen, Verletzte zu tragen. Die Polizei kann sich unter anderem darauf konzentrieren, sich um Schaulustige und verzweifelte Angehörige zu kümmern. „Wir konnten den Rettungsdiensten den Rücken frei halten“, erklärt Andreas Tellbach von der Polizei Aalen.

Bei der Übung kommt es auf gutes Teamwork an

Bei der Übung waren sogar Drohnen im Einsatz: DRK und Feuerwehr ließen jeweils ein Gerät aufsteigen. Die Piloten betonten aber, die Drohnen seien diesmal kein eigentliches Einsatzmittel, sondern dienten der Auswertung der Übung.

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Der Landrat des Rems-Murr-Kreises, Richard Sigel, betont, es sei die Pflicht von Behörden und Rettungsorganisationen, sich auf eine große Zahl von Ereignissen vorzubereiten. „So hatten wir schon Übungen zu Tierseuchen, einem Brand im Leutenbachtunnel und einer Havarie an der Gas-Pipeline“, berichtet Sigel.

Die Übung am Samstag sei durch die Corona-Lage „nicht gerade vereinfacht“ worden. Auch angesichts der neuerlichen Welle an Neuinfektionen sagt der Landrat aber, die Übung sei nötig und nicht verschiebbar gewesen. So hätten alle Teilnehmer und Beobachter der Übung Masken getragen, die sonst übliche gemeinsame Auswertung sei gekürzt worden, um das Ansteckungsrisiko zu minimieren. „Und ein Notfall wie dieser kann ja auch zu Pandemiezeiten über uns hinwegrollen. Dann können wir uns auch nicht hinter der Pandemie verstecken.“ Seit dem Amoklauf in Winnenden, aber auch durch die Coronakrise seien die Akteure im Rems-Murr-Kreis gut miteinander vernetzt.

Mitte Dezember kommt schon die nächste, große Übung

Auch wenn die Übungsteilnehmer betonen, dass der Probeeinsatz am Samstag ein Erfolg gewesen sei, ist natürlich zu hoffen, dass Szenarien wie jenes im Berufsschulzentrum auch künftig nur bei Übungen vorkommen. Statt mit einem Aufenthalt auf der Intensivstation endet das Erlebnis für die Komparsen mit Applaus und dem Satz „Ihr dürft jetzt gesunden!“

Mitte Dezember geht es mit dem Übungsmarathon gleich weiter: Dann kommt die Bundesakademie für Bevölkerungsschutz und Zivile Verteidigung aus Ahrweiler in den Rems-Murr-Kreis, um für volle zwei Tage mit den hiesigen Behörden und Blaulichtorganisationen den Ernstfall zu proben.