Auf dem Parkplatz vor der Weissacher Seeguthalle absolviert Verkehrsminister Winfried Hermann den Übungsparcours. Foto: Edgar Layher

Mit der Schulung von Pedelec-Nutzern begegnet ein Pilotprojekt auch im Rems-Murr-Kreis den steigenden Unfallzahlen. Die Kurse sollen Spaß vermitteln und sind gebührenfrei.

Weissach - Eigentlich will Winfried Hermann ja Gas geben für den Radverkehr. Am Samstag bewies er auf dem Parkplatz vor der Weissacher Seeguthalle, dass er zumindest schon punktgenau bremsen kann. Den fürs landesweite „Radspaß“- Projekt dort aufgebauten Testparcours jedenfalls bewältigte der Grünen-Politiker mühelos: Der Schulterblick vor dem Linksabbiegen, die richtige Balance auf einer Wippe und eben das Bremsmanöver zum richtigen Zeitpunkt zählten zu den Kernaufgaben auf der vom württembergischen Radsportverband ausgetüftelten Übungsstrecke.

Auch der Umgang mit elektrisch unterstützten Fahrrädern will gelernt sein

Der Besuch im Rems-Murr-Kreis bildet den Auftakt zu der vom Land mit 800 000 Euro geförderten Kampagne „Radspaß – sicher e-biken“. Auch der Umgang mit elektrisch unterstützten Fahrrädern will gelernt sein. „Wenn man auf einem Pedelec sitzt, ist das, als hätte man Sieben-Meilen-Stiefel an. Man ist viel schneller unterwegs“, weiß der raderprobte Verkehrsminister.

Mit der höheren Geschwindigkeit, dem größeren Gewicht des Gefährts und den technisch deutlich verbesserten Bremsen wächst auch die Anforderung an den Fahrer, in Gefahrensituationen im Gleichgewicht zu bleiben. Allein in seinem näheren Bekanntenkreis, so gab der stilecht per Rad angereiste Rems-Murr-Landrat Richard Sigel am Samstag zu Protokoll, hätten sich in diesem Jahr drei schwere Radunfälle ereignet. Die Statistik belegt, dass immer mehr Radler auf der Strecke bleiben. Während es in Baden-Württemberg im ersten Halbjahr 2020 so wenig Verkehrsunfälle wie noch nie gab, stieg die Zahl der Zweiradcrashs um 7,4 Prozent.

Jedes vierte Fahrrad wird inzwischen mit Elektroantrieb verkauft

In Stuttgart wurden in den ersten sechs Monaten des Jahres sage und schreibe 82 Unfälle mit Elektrofahrrädern gezählt, außerdem verunglückten 235 Menschen, die mit eigener Muskelkraft unterwegs waren. Auch der Rems-Murr-Kreis erlebt nach 287 Radunfällen und 88 verunglückten Pedelec-Nutzern im vergangenen Jahr eine ähnliche Entwicklung – weil die Verletzungen oft massiv sind, forderten Ärzte des Rems-Murr-Klinikums in Winnenden jüngst eine generelle Helmpflicht für jeden, der aufs Fahrrad steigt.

Als Auslöser steigender Unfallzahlen gilt vor allem die Tatsache, dass inzwischen deutlich mehr Radfahrer auf den Straßen der Region unterwegs sind. Mit Zuwachsraten jenseits der 30-Prozent-Marke erlebt vor allem das Geschäft mit den Pedelecs einen Boom. Jedes vierte Fahrrad wird inzwischen mit Elektroantrieb verkauft, die Stückzahlen haben längst die Millionengrenze erreicht.

Mit dem Run aufs Rad haben viele ihren Drahtesel aus dem Keller geholt

Die Angst vor einer Ansteckung mit dem Covid-19-Erreger hat diesen Trend noch verschärft, im Frühsommer mussten die Fahrradhändler Kunden zeitweise auf Wartelisten setzen. „Das Fahrrad ist Gewinner der Corona-Krise“, sagt der Verkehrsminister Winfried Hermann, der zudem glaubt, dass mancher Pendler auch aus Sorge vor überfüllten Nahverkehrszügen lieber aufs Rad umgestiegen ist. Mit dem Run aufs Rad haben freilich auch viele Zeitgenossen ihren Drahtesel aus dem Keller geholt, die zuletzt vor Jahrzehnten auf einem Fahrrad gesessen sind.

„Fahrtechnik und Beweglichkeit wollen geübt sein“, sagt Gundolf Greule vom Radsportverband. Im Schulterschluss mit dem Fahrradclub ADFC sind im Rems-Murr-Kreis knapp zwei Dutzend Übungsleiter ausgebildet worden, die ihr Wissen zu den Gefahren rund ums Rad in kostenlosen Kursen weitergeben sollen. Als Pilotprojekt läuft der Radspaß-Unterricht auch in den Kreisen Böblingen, Tübingen und Konstanz. „Zum Radfahren gehört neben der Infrastruktur auch die Beherrschung. Wir wollen, dass jeder im Land die Chance hat, wohnortnah so einen Kurs zu belegen“, sagt die ADFC-Landesvorsitzende Gudrun Zühlke.