Keine Chance für einen „Gesundheitspunkt“: Die Notfallpraxis in Backnang steht vor dem Aus. Foto: Landratsamt

Mit der Schließung der Notfallpraxis in Backnang gibt es von Juli an große Lücken in der Betreuung von Patienten. Der Landkreis scheitert mit seinem Konzept für Gesundheitspunkte.

Die Bemühungen um den Erhalt einer guten medizinischen Versorgung der Bürgerschaft in Backnang sind gescheitert. Auch in Schorndorf wird es nach der Schließung der Notfallpraxis dauerhaft eine Lücke bei der Betreuung von Patientinnen und Patienten geben. Denn mit seinem Konzept für die Schaffung mehrerer Gesundheitspunkte in den schlechter versorgten Gebieten beißt der Rems-Murr-Kreis bei der Kassenärztlichen Vereinigung auf Granit. Die Wächter über die Zulassung medizinischer Angebote haben den Vorstoß der lokalen Gesundheitsplaner wegen rechtlicher Bedenken abgelehnt. Außerdem wird darauf verwiesen, dass es kein Budget für zusätzliche Anlaufstellen gibt, an die sich erkrankte Menschen wenden.

 

Wer sich am Wochenende bei der Gartenarbeit einen Bandscheibenvorfall zuzieht oder nachts mit starken Bauchschmerzen aufwacht, muss sich künftig gedulden, bis der Hausarzt morgens seine Praxis öffnet – oder sich in die Notaufnahme fahren lassen. Denn dass die vom Sommer an einzig erhalten bleibende Bereitschaft am Rems-Murr-Klinikum in Winnenden für einen sehr bevölkerungsreichen Landkreis mit immerhin 430 000 Einwohnern ausreichen soll, können sich weder der Landrat Richard Sigel noch zahlreiche Kreispolitiker vorstellen.

Alarmstimmung: Fehlende medizinische Versorgung für alle

„Es trifft ja nicht nur uns, sondern das ganze Einzugsgebiet“, sagt der Backnanger OB Maximilian Friedrich. Foto: Alexander Becher

Gut 15 000 Patientenkontakte hatte die Notfallpraxis in Backnang bisher pro Jahr, das sind grob gerechnet etwa 40 medizinische Hilfe suchende Menschen pro Tag. Wenn die Einrichtung Ende Juni geschlossen werden muss, entsteht in der Versorgung der Patienten eine ebenso große Lücke. In Schorndorf lässt sich seit Monaten beobachten, welche Auswirkungen das Aus für die Notfallpraxis hat. Seit die Anlaufstelle geschlossen ist, stehen die Patientinnen und Patienten mit ihren Beschwerden in der Notaufnahme des Rems-Murr-Klinikums, die Fallzahlen in dem schon zuvor gut ausgelasteten Krankenhaus haben sich laut der Chefärztin Angela Rothermel seit Herbst um 35 Prozent erhöht.

Steigende Fallzahlen: Belastung für Kliniken und Kommunen

Für die Patientinnen und Patienten bedeutet das deutlich verlängerte Wartezeiten, fürs Klinikpersonal mehr Stress. Der Kreis und seine 31 Kommunen bekommen durch den Anstieg der Fallzahlen noch ein ganz anderes Problem: Wegen der nicht auskömmlichen Behandlungsentgelte für medizinisch nachrangige Beschwerden erhöht sich mit dem Run in die Notaufnahme auch das Defizit der Kreiskliniken – und damit der Betrag, den die finanziell ohnehin gebeutelten Städte und Gemeinden abdecken müssen.

Schon seit Monaten arbeitete der Rems-Murr-Kreis deshalb an der Idee, einen niederschwelligen Ersatz für die wegfallenden Notfallpraxen zu schaffen. Erst in Backnang, später auch in Schorndorf sollte ein sogenannter Gesundheitspunkt entstehen. Patientenlotsen hätten sich die Beschwerden angehört, eine erste medizinische Einschätzung vorgenommen und per Telemedizin bei Bedarf einen Arzt zugeschaltet, um Rezepte auszustellen oder den Patienten im Zweifelsfall in die Notaufnahme weiterzuleiten.

In Ländern wie Schweden oder Kanada funktioniert dieses Modell offenbar sehr gut, zumal sich das Gesundheitssystem in weniger stark besiedelten Landstrichen nicht leisten kann, dass Ärzte ihre Arbeitszeit buchstäblich auf der Fahrt zum Patienten verbringen. In Deutschland allerdings fehlt für das Konzept der rechtliche Rahmen. Befürchtet werden Haftungsrisiken und Unsicherheiten bei der Refinanzierung, selbst als Pilotprojekt wollte die Kassenärztliche Vereinigung der unter Federführung von Angela Rothermel ausgearbeiteten Rems-Murr-Lösung keine Chance geben.

Landrat enttäuscht über Schließung der Notfallpraxis

„Eine Entlastung der Ärzteschaft durch praktikable Lösungen scheint nicht gewollt“, redet sich der Rems-Murr-Landrat Richard Sigel die Enttäuschung von der Seele. Angesiedelt werden sollte der Gesundheitspunkt am in Backnang bereits bestehenden Gesundheitszentrum, einerseits als Anlaufpunkt für akute Erkrankungen und andererseits als zentrale Anlaufstelle für Informations- und Beratungsangebote.

Sogar Zusagen von Stiftungen, das innovative Konzept finanziell zu unterstützen, lagen bereits vor. „Die Enttäuschung ist riesengroß. Daher richte ich den dringenden Appell an die neue Bundesregierung, für solche Konzepte einen Rechtsrahmen zu schaffen“, sagt der Landrat.

Die Stadt Backnang beschreitet den Klageweg

Der Landkreis versuche, in eine Lücke zu springen, und fühle sich von der Politik im Regen stehen gelassen. Einen Protestbrief hat Sigel an die Bundestagsabgeordneten Christina Stumpp und Ingeborg Gräßle geschickt. Die Stadt Backnang geht einen anderen Weg – und klagt wegen der Schließung der Bereitschaftspraxis zusammen mit anderen betroffenen Kommunen gegen die Kassenärztliche Vereinigung.