Ein Mann entzündet während einer Mahnwache vor der Fatih Camii Moschee im sächsischen Dresden eine Kerze neben einem Schild mit der Aufschrift „Coexist“ und religiösen Symbolen von Islam, Judentum und Christentum. Foto: Sebastian Kahnert/dpa

Mit Globalisierung und Zuwanderung sind die religiöse Vielfalt und gesellschaftliche Toleranz in Deutschland gewachsen. Doch Vorbehalte gegen den Islam sind weit verbreitet, wie eine Studie der Bertelsmann Stiftung zeigt.

Gütersloh/Stuttgart - Das Ergebnis der aktuellen Studie der Bertelsmann Stiftung ist auf den ersten Blick erschreckend: Die Hälfte der Deutschen empfindet den Islam als Bedrohung. Ist damit das gesellschaftliche Zusammenleben in Gefahr? Gerät die im Grundgesetz verankerte religiöse und weltanschauliche Pluralität ins Wanken?

Nein, sagt die von dem Leipziger Religionssoziologen Gert Pickel verfasste Studie und mahnt zu einem differenzierten Blick auf gesellschaftliche und religiöse Entwicklungen.

Was halten die Deutschen von Demokratie und religiöser Vielfalt in ihrem Land?

Ob Judentum, Christentum oder Islam – bei den Angehörigen der verschiedenen Religionen stoßen demokratische Werte und Prinzipien auf breite Zustimmung. Die große Mehrheit von 89 Prozent der Bevölkerung – über alle Religionen hinweg – hält die Demokratie in Deutschland für eine gute Regierungsform.

Das ist das Kernergebnis einer jetzt von der Bertelsmann Stiftung in Gütersloh veröffentlichten Studie auf Basis des repräsentativen Religionsmonitors.

Was ist der Anlass dieser neuen Religionsstudie?

Die Stiftung nimmt den 70. Geburtstag des Grundgesetzes zum Anlass, das Zusammenspiel von Religion, weltanschaulichem Pluralismus und politischer Kultur in der Demokratie in Deutschland zu analysieren.

Der Studie „Weltanschauliche Vielfalt und Demokratie“ liegen zum einen die Daten des letzten Religionsmonitors von 2017 zugrunde. Zum anderen wurden in einer Nacherhebung 2019 rund 1000 Deutsche befragt.

Wie groß sind die Unterschiede bei den verschiedenen gesellschaftlichen und religiösen Gruppen?

Der Studie zufolge erweist sich die demokratische Kultur grundsätzlich als ein stabiles, von der breiten Mehrheit getragenes Fundament: Unter Christen sprechen sich 93 Prozent, unter Muslimen 91 Prozent, unter Konfessionslosen 83 Prozent für die Demokratie aus.

Wie sieht es mit der religiösen Toleranz aus?

Bei der religiösen Toleranz sieht die Untersuchung Defizite. Vor allem der Islam habe es schwer und werde von vielen negativ wahrgenommen.

Mit Globalisierung und Zuwanderung habe auch die religiöse Pluralität zugenommen, heißt es in der Untersuchung. Diese Vielfalt bereichere die Gesellschaft, meint jeder zweite Befragte. Aber: Beim Islam sagt das nur ein Drittel.

Wie ist das Verhältnis zum Islam ?

Weder diese Pluralität noch der Grad der Religiosität beeinflussen der Analyse zufolge die Einstellungen zur Demokratie. „Angehörige egal welcher Religion können gute Demokraten sein“, betont Studienautor und Religionssoziologe Gert Pickel.

Auf Dauer schädlich für die Demokratie seien hingegen dogmatische, rigide Glaubensvorstellungen und Intoleranz gegenüber anderen Religionen, erklärt Pickel. Hier sieht die Untersuchung Anlass zur Sorge. Denn: Die Hälfte der Befragten empfindet den Islam als Bedrohung.

In Ostdeutschland, wo wenig Muslime leben, fallen die Vorbehalte stärker aus als im Westen. So wollen laut Erhebung 30 Prozent im Osten und 16 Prozent im Westen keine Muslime als Nachbarn.

Können Vorbehalte gegenüber dem Islam die demokratische Gesellschaft gefährden?

Abgrenzende und ablehnende Haltungen könnten die demokratische politische Kultur gefährden, warnt Pickel. Bundesweit wird die Zahl der Muslime auf rund fünf Millionen geschätzt, mit 1,5 Millionen leben unter allen Bundesländern die meisten in Nordrhein-Westfalen.

Die recht weit verbreitete Islamskepsis sei aber nicht unbedingt mit Islamfeindlichkeit gleichzusetzen, betont Stiftungsexpertin Yasemin El-Menouar. Diese sei allerdings definitiv vorhanden bei 13 Prozent der Bevölkerung, die die Zuwanderung von Muslimen stoppen wollten..

Was sind die Gründe für die kritische Haltung vieler Bundesbürger gegenüber dem Islam?

Nach Ansicht des Osnabrücker Islamexperten Rauf Ceylan ist das negative Bild des Islam in Deutschland vor allem durch die Debatte über Zuwanderung geprägt.

„Der Islam- und der Migrationsdiskurs verschmelzen seit einigen Jahren“, unterstreicht Ceylan. Globale Konflikte im Nahen Osten würden ebenfalls mit dem Islam assoziiert.

Was können Muslime und Islamverbände gegen die Ressentiments tun?

Islamverbände müssten sich Ceylan zufolge stärker dafür einsetzen, Ängste in der Bevölkerung abzubauen, und noch mehr Dialogangebote schaffen. Zudem müsse der Islam auch selbstkritischer sein. Es reiche nicht aus, reflexhaft zu sagen, Terror habe mit dem Islam nichts zu tun, so der Islamexperte. Islamische Theologen müssten sich auch wissenschaftlich mit den Argumentationsschemata von Terrorgruppen wie dem „Islamischen Staat“ (IS) auseinandersetzen.

Der Bielefelder Konfliktforscher Andreas Zick warnt vor zunehmender Islamfeindlichkeit und Ausgrenzung von Muslimen. Islamkritik sei in den letzten Jahren immer aggressiver geworden. Rechtspopulistische Gruppen bemäntelten zudem ihre Islamfeindlichkeit als Kritik. Zick ruft dazu auf, Vorurteile und Klischees kritisch zu hinterfragen.