„Weicht, ihr feindlichen Kräfte, vor dem Kreuz Christi!“, steht am Obelisken auf dem Petersplatz. Vor dem Virus ist die Kirche selbst gewichen. Der weite Platz bleibt gesperrt. Foto: dpa/Alessandra Tarantino

Der Papst vollzieht seine Liturgien ohne Publikum und nur noch vor Kameras, die Kirchen sind leer. Das bietet aber die Chance, den Glauben im Privaten neu zu entdecken, kommentiert unser Autor Paul Kreiner.

München - Die Strecke war zwar höchstens fünfzig Meter lang, aber Bilder von dieser Wallfahrt sind um die Welt gegangen: Eine düstere Gasse mitten in Rom, schmutziggraue hohe Fassaden, schwarzer Asphalt. An den Geschäften sind die Läden heruntergelassen; kein Auto fährt. Die Straße ist leer bis auf vier weit verstreute Security-Männer in schwarzen Anzügen. Und bis auf ihn: den Mann in Weiß.

Papst Franziskus stapft da die Via del Corso entlang. Er tut es allein; das ist die Botschaft. Kein Hofstaat mehr, keine liturgischen Gewänder, keine Ministranten; da sollen keine Bischöfe mehr ihre violetten oder roten Käppchen leuchten lassen. An jenem Sonntag Nachmittag macht sich die Kirche sozusagen nackt, sie räumt allen Prunk aus dem Weg. Einsam will der Papst pilgern. Aber wohin?

Es zieht ihn zu einem spätgotischen Kreuz, das vor einem halben Jahrtausend wahre Wunder vollbracht haben soll. Bei der Pest 1522 haben die Römer es sechzehn Tage durch ihre Stadt getragen, dann – so heißt es – war die Seuche vorbei.

Die Wundermittel sind dahin

Selbst wenn Franziskus persönlich daran glauben sollte, so kann er die Pestprozessionen von einst nicht wiederholen. Um Gottes Willen! Man stelle sich vor: Trauben von Menschen in einem zwei Wochen langen Zug von einem Stadtviertel ins andere, das als wundertätig geglaubte Kruzifix unablässig berührend und küssend ...

Der Kirche heute stehen die Mittel von einst nicht mehr zur Verfügung. In Deutschland hat ihr der Staat sogar alle Gottesdienste verboten – und widerstandslos ließen die Bischöfe diesen Übergriff in ihre Sphäre geschehen.

Selbst wenn wenigstens die Kirchenbauten als solche offen bleiben, so ist doch – weil die spärlichen Beter sich darin so weit wie möglich vereinzeln – eklatant sichtbar, dass der aktuelle Umgang mit der Corona-Pandemie genau das Gegenteil von dem ist, was Kirche sein und leisten soll. Sie, die Menschen zur Gemeinschaft zusammenführen will, atomisiert sich genauso wie der Rest der Gesellschaft. Jedes „Mehr“ ist verschwunden. Und in Italien sind bereits 60 Priester am Coronavirus gestorben, vorwiegend Krankenhausseelsorger, die Kämpfer und Tröster in vorderster Linie.

Nur die Videokamera schaut zu

Die Kirche ist nackt; das hat Franziskus mit seiner einsamen Pilgerfahrt symbolkräftig demonstriert. Er, der die Kirche als Ganze hinausdrängte aus ihren Mauern, genau er kann nur allein nach draußen; auch seinen großen Schutz-Segen „für Stadt und Erdkreis“ (Urbi et orbi) hat er diesen Freitag einem gespenstisch leeren Petersplatz zugesprochen. Dort wird es dieses Jahr auch kein Ostern geben; den weltweiten Höhepunkt christlichen Lebens feiert der Papst in der Abgeschiedenheit einer Hauskapelle. Nur Videokameras schauen in stummer Einäugigkeit zu.

Immerhin: sie tun es. In der Hoffnung, millionenfach verbreitete Bilder von Einsamkeit könnten bei Millionen vereinzelter Empfänger ein Mosaik zusammenpuzzeln, über dem als Titel „Neue Gemeinsamkeit“ steht. Vielleicht gelingt es. Viele Pfarrer und Bischöfe in Deutschland, evangelische genauso wie katholische, streamen die Gottesdienste aus ihren leeren Kirchen ja auch schon; der öffentlich-rechtliche Rundfunk baut mit ungeahntem Publikumserfolg seine Sendeplätze dafür aus; das Internet ist ohnedies grenzenlos offen.

„Hauskirchen“ bilden, die Familie als eine solche zu etablieren, war zu Zeiten von Papst Johannes Paul II. ein Lieblingsmotto der Mission nach innen. Heute kehrt das Projekt von außen in die Kirche zurück. Das muss nicht das Schlechteste sein. Die Juden feiern Pessach, das zentrale und volksbegründende Fest ihres Glaubens und das Ur-Ostern der Religionsgeschichte, in erster Linie als Fest in den einzelnen Familien.

Sie tun das seit der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70, über alle Jahrhunderte der Verfolgung hinweg. In ihrer weltumspannenden Zerstreuung haben sie damit ihre Identität, ihr Zusammengehörigkeitsgefühl bewahrt. Und überlebt.