Ein Zwetschgenbaum im Stuttgarter Westen ist überladen Foto: Leif Piechowski

Mit interaktiver Grafik - Die Birn-, Apfel- und Zwetschgenbäume scheinen die Landwirte und Kleingärtner für die katastrophale Ernte 2013 entschädigen zu wollen. Die Äste hängen pratzelvoll und sind mitunter so schwer, dass sie krachend nachgeben. Das ist die Strafe für einen geizigen Baumschnitt.

Stuttgart - Äpfel, Reihe um Reihe glänzende Backen, dicht an dicht, die Äste bis zum Boden gebogen. An den Zwetschgenbäumen: Statt blauer Tupfen zwischen dunkelgrünen Blättern hängen Früchte in ganzen Trauben. Mirabellenbäume haben gelbe Hauben und beigen sich schwer unter der Last.

„Wir hatten kaum Frost im Winter, keinen während der Blüte und einen idealen warmen, feuchten Juli, in dem das Obst sehr schnell sehr groß geworden ist“, sagt Manfred Nuber von der Fachberatungsstelle für Obst- und Gartenbau im Kreis Böblingen. Normalerweise lädt er die Erwerbsobstbauern Ende August zum Rundgang durch die Streuobstwiesen am Schönbuchhang ein; dieses Jahr informiert Nuber schon am 14. August über Sorten, Scharkaprobleme und Vermarktungschancen.

Da jede Obstschwemme die Preise purzeln lässt, müssen sich die Obstbauern in diesem Herbst was einfallen lassen, um ihre Früchte noch einigermaßen gewinnbringend an den Mann zu bringen. „Die Kunden müssen für ein Kilo Zwetschgen zwischen einem Euro und 1,80 bezahlen“, sagt Nuber. Davon bleibe für den Erwerbsobstbauern im günstigsten Fall ein Erlös von 60 bis 70 Cent pro Kilo hängen, in diesem Jahr, vermutet der Fachberater, werden es nur 30 bis 40 Cent pro Kilo Zwetschgen sein. Andreas Siegele von der Stuttgarter Beratungsstelle für Obstbau sagt: „Wir haben Zwetschgen wie Sand am Meer.“

Darunter leiden nun die Bäume. Manche Gärten gleichen wegen der hohen Holzstützen unter den Zweigen einem Gemälde von Salvador Dali. Vor allem Hobby- und Kleingärtner klagen über gesplitterte, gebrochene Äste, an manchen Bäumen sogar mehrere. „Wären die Bäume regelmäßig und im Frühjahr gründlich gestutzt worden, wäre das zu vermeiden gewesen“, sagt Andreas Siegele. Doch nun, da es zu spät ist, rät er zum Hängenlassen, solange die Blätter noch grün sind. So besteht die Chance, dass die Früchte noch einreifen.

Wo die Äste noch nicht nachgegeben haben, empfiehlt Andreas Siegele, „beschädigte Früchte und den Kleinkruscht“ auszubrechen, und zwar aus einem triftigen Grund: „Zucker und Aroma entstehen über die Fotosynthese in den Blättern. Hat der Baum aber zu viele Früchte und zu wenig Blätter, leidet auch das Aroma.“ Ohne „Blattmasse“, wie es der Fachmann nennt, sei wegen des fehlenden Fruchtzuckers noch nicht mal das Schnapsbrennen möglich.

Rund 300 000 Tonnen Obst pro Jahr werden durchschnittlich im Land produziert. In diesem Herbst wird diese Menge locker überschritten, schätzt Professor Jens Wünsche, Leiter des Fachgebiets Obstbau an der Universität Hohenheim. Er sieht außer dem günstigen Wetter noch einen weiteren Grund für die prognostizierte Rekordernte: die Alternanz bei Obstbäumen, den Wechsel zwischen ertragreichen und ertragarmen Jahren. Die Hohenheimer Wissenschaftler forschten momentan an diesem Phänomen. „Einer der Mechanismen, der die Alternanz auslöst, ist ein Botenstoff, den die reifenden Früchte aussenden, und zwar genau im Juli und August, wenn die Blüten angelegt werden. Der Botenstoff hemmt die Blütenbildung“, sagt Jens Wünsche. Je mehr Früchte also, desto mehr Hemmstoffe, desto weniger Früchte im folgenden Jahr.

Kein Frost und keine Dürre können dem Obst mehr was anhaben, lediglich Hagel könnte die Qualität noch beeinflussen. Insgesamt also wird viel Obst auf den Markt kommen „und den Handel versuchen, an der Preisschraube zu drehen“, sagt Matthias Strobl, der Landwirtschaftsreferent beim Naturschutzbund Baden-Württemberg (Nabu), „wir können nur zum Maßhalten appellieren“.

Der Nabu setzt sich mit vielen verschiedenen Aktionen für den Erhalt und die Pflege der Streuobstwiesen ein. „Leute, die noch ihre Hochstämme auf den Streuobstwiesen pflegen, werden oftmals nicht verstanden oder belächelt“, sagt Strobl, der deren Einsatz umso höher bewertet. Das Obst in seiner ganzen Sortenvielfalt sollte nicht als Lückenfüller betrachtet, sondern konsequenter vermarktet werden. Auch als Schnaps.