Lucas Hernandenz mit dem spanischen Pokal Foto: dpa

Der FC Bayern München gibt für einen Spieler 80 Millionen Euro aus, der vor kurzem noch vielen unbekannt ist. Wer ist dieser Lucas Hernandez eigentlich? Das Porträt eines Franzosen, der sich spanisch vorkommt.

Madrid - Seinem 15 Monate jüngeren Bruder hat Lucas Hernández einiges zu verdanken. Als er zehn war, hatte der kleine Theo ein Probetraining bei Atlético Madrid und die Mutter keinen Aufpasser zur Hand, also nahm sie auch den Älteren mit. Lucas vertrieb sich die Zeit mit Kabinettstückchen am Spielfeldrand, ein Nachwuchstrainer beobachtete ihn. Am Ende wurden beide Hernández’ verpflichtet.

Nun macht es der Ältere wieder wie der Jüngere. Theo hatte Atlético schon vor zwei Jahren den Rücken gekehrt und ging auf Basis einer Ausstiegsklausel für 24 Millionen Euro zu Real Madrid. Lucas, 23, wird ab Sommer dank einer Ausstiegsklausel von 80 Millionen Euro für den FC Bayern auflaufen. Er mag später dran sein, hat den Bruder aber mittlerweile nicht nur preislich überholt. Wo Theos Karriere gehörig ins Stocken geriet – der Außenbahnspieler konnte in Madrid weder Trainer Zidane noch die Öffentlichkeit überzeugen und wurde nach San Sebastián verliehen –, kommt der Innen- und Linksverteidiger Lucas als Heilsbringer nach München. Er soll beim deutschen Rekordmeister die Abwehrsäule eines neuen Projekts werden. Auch wenn er wegen einer Knieverletzung wohl bis zum Bundesligastart ausfallen wird.

Lesen Sie hier: Unser Kommentar zum Rekordtransfer

Weitere Adaptionsprobleme stehen nicht zu erwarten, denn bei Lucas handelt es sich gewissermaßen um den archetypischen Mia-san-mia-Kicker. Dieser sehr komplette Verteidiger wirkte nicht nervös, als er mit 18 und der Erfahrung von zwei Ligaminuten in einem Pokalspiel gegen Real Madrid aufgeboten wurde, und ebenso wenig, als er kurz nach seiner ersten Berufung zur französischen Nationalelf zum WM-Starter avancierte. Er ist technisch so sicher wie kämpferisch stark, und was andere von ihm denken, scheint ihn schon mal gar nicht zu stören.

Das führt allerdings auch dazu, dass in Madrid jetzt zwar dem talentierten Fußballer Lucas Hernández hinterhergeweint wird, dem Typen aber eher weniger, denn viele verstört, wie kühl er trotz aller warmen Worte („Zwölf unglaubliche und unvergessliche Jahre“) sein ganzes bisheriges Fußballerleben hinter sich lässt. Wie er sogar zu einem Wechsel im Winter bereit war – das Geschäft wurde schließlich im Einvernehmen beider Vereine vertagt ¬–, wo er als Eigengewächs doch wissen musste, welch einmalige (mittlerweile erledigte) Hoffnung Atlético mit dem Champions-League-Finale im eigenen Stadion verband.

Geboren in Marseille, aufgewachsen in Madrid

Möglicherweise reizt ihn an den Bayern neben mehr Gehalt und einer neuen Erfahrung auch, in einer offensiveren Mannschaft zu spielen und damit seine Qualitäten im Spielaufbau zu entwickeln. Bei Atléticos Jugendteams haben sie von denen immer geschwärmt, im Mauerfußball von Cheftrainer Diego Simeone waren sie weniger gefragt. Vielleicht hat Lucas aber auch generell einen ultra-pragmatischen Blick auf den Fußball. Er ist schließlich Profisohn. Sein Vater Jean-François Hernández verteidigte für sieben Vereine in Frankreich und Spanien, unter anderem auch bei Atlético.

Geboren wurden Lucas in Marseille, aufgewachsen ist er in Madrid mit der Mutter. Bei Atlético vollzog sich sein Aufstieg langsam, aber stetig. Titelseiten füllte er jedoch erstmals, als er im Februar 2017 vorübergehend festgenommen wurde. Seine Freundin Amelia hatte wegen eines gewalttätigen Streits die Polizei gerufen. Letztlich wurden beide zu jeweils 31 Tagen gemeinnütziger Arbeit und dem Einhalten von 500 Metern gegenseitigem Sicherheitsabstand verurteilt. Die Auflage erwies sich als wirkungslos, sie blieben ein Paar. Kurz nach der WM wurde das erste gemeinsame Kind geboren.

„Ich fühle mich spanisch“

Vergangene Saison kam Lucas bei Atlético erstmals über 2000 Einsatzminuten, die WM multiplizierte sein Coming Out als Star – das hätte es für ihn jedoch beinahe nicht gegeben. Zwischen seinen Ländern Frankreich und Spanien hatte er sich eigentlich gerade für letzteres entschieden. Doch eine Verbandsrecherche verriet eine problematische Rechtslage, weil er Frankreich bei einer U19-EM vertreten hatte und zu diesem Zeitpunkt noch nicht die spanische Staatsbürgerschaft besaß. Letztlich zogen die Beteiligten zurück, es kam die erste Einladung von Didier Deschamps, und Lucas, der kurz vorher gesagt hatte: „Ich fühle mich spanisch“, erklärte nun eben wieder Frankreich zu „meinem Land“.

Wie es halt gerade passt, so eine Karriere dauert ja nicht ewig. Vorigen Sommer gab es ein offizielles Foto des Spielers im rotweißen Trikot. „Lucas 2024“ stand darauf, vermeldet wurde seine erweiterte Bindung an Atlético. „(Es) ist der Klub meines Lebens, und ich bin sehr glücklich über meine Vertragsverlängerung, denn das war mein größter Wunsch“, wurde er zitiert. Nun spielt er bis 2024 im roten Trikot des FC Bayern.

In unserer Bildergalerie finden Sie die teuersten Transfers der Bundesliga