Die bekanntesten Berge der Welt wie der Mount Everest sind längst bestiegen. Foto: dpa

Hans Kammerlander will auf allen zweithöchsten Gipfeln der Kontinente gewesen sein. Ein Foto nährt Zweifel.

Sand in Taufers - Es herrscht klirrende Kälte, als Hans Kammerlander am 3. Januar 2012 den Mount Tyree erklimmt. Auf 4852 Meter streckt der Südtiroler die Arme in die Luft. Kammerlander war sicher, als erster Mensch die zweithöchsten Berge aller sieben Kontinente bestiegen und damit das Rennen um die „Seven Second Summits“ für sich entschieden und „einmal mehr Alpingeschichte geschrieben“ zu haben, wie er bald darauf verkündete. Doch jetzt werden Zweifel laut.

Für Profi-Bergsteiger wie den 55 -jährigen Kammerlander wird es immer schwieriger, sich mit spektakulären Gipfelstürmen zu vermarkten: Die bekanntesten Berge der Welt sind längst bestiegen. So kam man auf die absurd anmutende Besteigungsserie der zweithöchsten Gipfel. Doch während der Amerikaner Dick Bass das Projekt „Seven Summits“ bereits im April 1985 vollenden konnte, beißen sich Bergsteiger an den sieben zweithöchsten Gipfeln seit Jahren die Zähne aus.

In dem alpinen Wettrennen werden nun die Grenzen der Wahrheit überschritten – ausgerechnet im Alpinismus, wo die Glaubwürdigkeit der Bergsteiger über allem steht. So musste vor zwei Jahren der Österreicher Christian Stangl, ebenfalls ein Anwärter auf die „Seven Second Summits“, eingestehen, dass er nicht auf dem K2 war, dass er sich den Gipfelerfolg „nur eingebildet“ hatte. Nun ergeben sich nach Recherchen auch bei Kammerlander, der in seiner Karriere zwölf Achttausender bestiegen hat, erhebliche Zweifel. War Kammerlander wirklich auf dem Gipfel des Mount Logan im Nordwesten Kanadas?

Im Mai 2010 versuchte er mit dem Südtiroler Konrad Auer den mit 5959 Meter zweithöchsten Gipfel Nordamerikas zu erklimmen. Oben angekommen machte Auer ein Foto von Kammerlander, dass Zweifel nährt, denn der norwegische Bergsteiger Petter Bjørstad stand am 3. Juni 2009 auf dem Gipfel des Mount Logan und dokumentierte das auf seiner Homepage in Wort und Bild: „Der Hauptgipfel ist ein sehr scharfer Grat. Auf dem Gipfel steht eine Eisaxt, die irgendjemand vor vielen Jahren dort oben gelassen hat. Ein Markierungspunkt, der trotz Wind und Wetter noch lange präsent und sichtbar sein wird.“ All das ist auf Bjørstads Bildern zu sehen – aber nicht bei Kammerlander.

Auf Kammerlanders Gipfelbild fehlt die Eisaxt

„Dieses Foto kann nicht auf dem Gipfel des Mount Logan entstanden sein“, sagt auch Eberhard Jurgalski, ein Forscher, der seit über 30 Jahren alle wichtigen Bergbesteigungen verzeichnet und prüft. Der Deutsche hat das Kammerlander-Foto mit Gipfelbildern anderer Bergsteiger verglichen. Sein Fazit: „Alle anderen Bilder zeigen einen scharfen Gipfelgrat. Bei Kammerlander ist dagegen ein plateauartiger Abschnitt zu sehen.“ Hinzu käme die Sache mit der fehlenden Eisaxt, die sonst auf keinem Gipfelfoto fehlt. „Ich habe keine Eisaxt gesehen“, sagt Kammerlander. „Wenn da eine Eisaxt sein soll, dann verstehe ich die Welt nicht mehr.“

Seit Kammerlander aus der Antarktis zurückgekommen ist, hält er Vorträge mit dem Titel „Seven Second Summits“. Nun beginnt er selbst zu zweifeln. „In Nordamerika ist eine kleine Unklarheit entstanden“, sagte er, mit Fragen konfrontiert. „Aber wenn das so ist, dann handelt es sich lediglich um eine Verwechslung, nicht um eine Lüge mit böser Absicht.“ Wenn er das bewusst gemacht hätte, so Kammerlander, dann hätte er ein Bild gemacht, das überhaupt nichts zeigt. „Aber in diesem Moment war ich mir hundertprozentig sicher, dass das der richtige Punkt ist.“ Dennoch sind seine eigenen Zweifel so groß, dass er nun, „um alle Fragen zu klären“, zum Mount Logan zurückkehren und dort einen Flug über den Berg unternehmen wird. „Wenn ich dann sehe, dass ich den Gipfel verwechselt habe, dann möchte ich das sofort richtigstellen und werde den richtigen Gipfel besteigen.“

Kammerlander kletterte nach Skizze auf den Gipfel – ohne topografische Karten

Der Mount Logan hat ein flächiges, vergletschertes Gipfelplateau. Im Westen erhebt sich der Westgipfel, 5925 Meter hoch, etwa zwei Kilometer weiter östlich der Hauptgipfel, nur 34 Meter höher. Für gewöhnlich wird eine solche Expedition genau geplant, es gibt Karten, Routen, Foren im Netz. Kammerlander gilt als nachlässig, als einer, der nicht zu viel Zeit mit Vorbereitungen verschwendet. „Wir hatten keine topografische Karte dabei, nur eine grobe Skizze“, berichtet Auer. Jurgalski schlussfolgert: „Kammerlander hat wohl einfach geglaubt, dass er auf dem Hauptgipfel war.“

Fragen wirft auch ein zweiter Gipfelsturm auf. Der Puncak Trikora, den Kammerlander im April 2011 bestieg, ist anscheinend nicht der zweithöchste Berg Ozeaniens. Im Jahr 2000 lieferte die Nasa neue Informationen. Ergebnis: Mandala 4737 Meter, Trikora: 4711 Meter. Auch Jurgalski ist sicher, dass die Puncak Mandala der „Second Summit“ Ozeaniens ist. Kammerlander bezieht sich dagegen auf das indonesische Tourismusministerium, bei dem er seine Informationen angefordert habe. Er wirkt tatsächlich so, als hätte er nie von dem Puncak Mandala gehört. „Dann war ich da also auch auf dem falschen Gipfel“, sagt er leicht resigniert, „deswegen fahre ich da nicht auch nochmal hin“.