Der Anteil der Briefwähler nimmt seit Jahren zu. Wegen der Pandemie erreicht die Zahl der Anträge schon jetzt einen Rekordwert Foto: Eibner Foto: Eibner-Pressefoto/ Michael Weber/Weber/ Eibner-Pressefoto

Die Landtagswahl 2021 steht unter besonderen Vorzeichen. Viele Wahlberechtigte ziehen die Briefwahl dem Urnengang vor. Der organisatorische Aufwand ist enorm. Zudem ist das Thema ein politischer Streitpunkt.

KREIS BÖBLINGEN - Wahllokale müssen in großflächigere Räume verlegt werden, zur Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln muss zusätzliches Personal bereitstehen, Schutzausrüstung für die Wahlhelfer muss bereitgestellt werden und wegen der verstärkten Nachfrage bei der Briefwahl braucht es auch hier zusätzliches Personal. Keine Frage: Die Landtagswahl am 14. März wird eine Wahl wie keine andere. Was bedeutet dies für die Wahlhelfer in den Gemeinden? Und wie stehen die Kandidaten zum Thema Briefwahl? Ein Überblick.

Hoher Organisationsaufwand

Das Rathauspersonal in den beiden Wahlkreisen 5 und 6 berichtet von zahlreichen Maßnahmen und Vorkehrungen, die einen möglichst reibungslosen und sicheren Ablauf der Wahl garantieren sollen. Im Böblinger Wahlamt ist von strengen Vorgaben und speziellen Hygieneplänen die Rede. „Wahlhelfer werden mit den entsprechenden Masken ausgestattet, Desinfektionsmittel wird bereitgestellt, Plexiglas-Scheiben wurden beschafft, Abstände werden eingehalten, et cetera“, zählt Pressesprecher Fabian Strauch auf. Das bedeute nicht nur einen großen zusätzlichen organisatorischen Arbeitsaufwand, sondern auch finanzielle Mehraufwendungen. Dies gilt auch für anderen Gemeinden. In Aidlingen erzählt Ordnungsamtsleiter Timo Koch beispielsweise, dass man eigens für die Wahl Kugelschreiber mit antiviraler Oberfläche besorgt habe. Durch den Anstieg der Briefwähler sei auch die Zustellung der Wahlbenachrichtigungen sehr zeitaufwendig gewesen, berichtet Christine Klemm, die in Grafenau das Haupt- und Ordnungsamt leitet. In Sindelfingen bereitet laut Pressesprecherin Nadine Izquierdo die Altersstruktur bei den Wahlhelfern Probleme. „Da gehören viele altersbedingt zur Risikogruppe“, erklärt die Sprecherin, warum man deshalb keine Helfer im Alter über 70 Jahre einteilen werde. Dies sei allerdings auch sehr schade, weil man dadurch auf die Hilfe vieler erfahrener Menschen verzichten müsse.

Räumlichkeiten und Wahlbezirke

Von Landeswahlleiterin Cornelia Nesch gab es für diese Landtagswahl eine klare Empfehlung: Es gilt, Urnenwahlbezirke möglichst zugunsten von Briefwahlbezirken zu reduzieren. „Aus diesem Grund haben wir im Unterschied zu den Wahlen in den letzten Jahren aus sieben Urnenwahlbezirken drei gemacht und hierfür die größtmöglichen öffentlichen Einrichtungen zur Verfügung gestellt“, berichtet Holzgerlingens Hauptamtsleiter Jan Stäbler. Man werde deshalb erstmals die Stadthalle sowie die Mensa des Schönbuch-Gymnasiums und die Kinderkrippe Taubenäcker zum Wahllokal umfunktionieren. Ähnlich gehen auch andere Verwaltungen vor: In Aidlingen gibt es beispielsweise statt einem in diesem Jahr gleich vier Briefwahlbezirke und statt dem Deufringer Rathaus wird nun das Schloss zum Wahllokal. Auch Grafenau legt Wahlbezirke zusammen und nutzt neben dem geräumigen Döffinger Rathausfoyer jetzt auch die Wiesengrundhalle als Wahllokal. Bei bisherigen Wahlen konnten die Bürgerinnen und Bürger ihre Stimmen auch im Dätzinger Seniorenzentrum abgeben – unter den heutigen Bedingungen wäre dies unvorstellbar.

Briefwahl liegt im Trend

Der Anteil der Briefwähler nimmt zu. Laut Statistischem Landesamt hat bei der vergangenen Landtagswahl 2016 in Baden-Württemberg etwa jeder fünfte Wähler seine Stimme per Briefwahl abgegeben. 20 Jahre zuvor, bei der Landtagswahl 1996, war es noch einer von zehn Wählern. Die Gesamtzahl der Briefwähler lag vor fünf Jahren bei 1,1 Millionen. In diesem Jahr treibt die Pandemie die Zahlen noch weiter nach oben. Schon jetzt registrieren die Verwaltungen im Kreis eine deutlich erhöhte Nachfrage nach Briefwahlunterlagen. Als oberster Kreiswahlleiter hat Landrat Roland Bernhard deshalb schon frühzeitig reagiert. „Wir gehen davon aus, dass wir deutlich mehr Briefwahlen bekommen werden“, hatte Pressesprecher Benjamin Lutsch bereits Anfang Februar erklärt. Deshalb habe der Landkreis die Zahl der Briefwahlvorstände für die jeweiligen Kommunen vorsorglich von 55 bei der Wahl 2016 auf 110 verdoppelt.

Schon jetzt doppelt so viele Briefwahlanträge wie 2016

Rekordverdächtig: Schon in der zweiten Februarwoche, nur sieben Tage nach Versand der Wahlbenachrichtigungen, lag die Anzahl der Anträge auf Briefwahl in vielen Kreisgemeinden deutlich über den Gesamtzahlen bei der letzten Landtagswahl. „Es sind bereits jetzt mehr Anträge eingegangen als bei der letzten Landtagswahl insgesamt Briefwahlunterlagen ausgegeben wurden“, teilt Timo Koch von der Gemeinde Aidlingen auf Nachfrage unserer Zeitung mit. Demnach hatten bis zum 10. Februar bereits mehr als 20 Prozent der Wahlberechtigten Briefwahlunterlagen beantragt. Dasselbe Bild ergab sich zu diesem Zeitpunkt in Holzgerlingen, Grafenau, Sindelfingen und den übrigen Kreisgemeinden. In Böblingen ist die Zahl der eingegangen Briefwahlanträge mit aktuell rund 8000 schon jetzt – knapp zwei Wochen vor der Wahl – fast doppelt so hoch wie bei der Landtagswahl 2016. Damals hatten 4300 Wählerinnen und Wähler ihre Stimme per Brief abgegeben.

CDU und Briefwahl

Der Gesetzentwurf der Grünen-Fraktion im Landtag, den Wahlberechtigten für die kommende Landtagswahl die Abstimmungsunterlagen direkt mit der Wahlberechtigung zuzuschicken und damit die Briefwahl zu erleichtern, ist im November an den Gegenstimmen der CDU gescheitert. „Ich erinnere mich sehr gut an diese Diskussion“, sagt Matthias Miller. Der CDU-Kandidat für den Wahlkreis Böblingen habe die verfassungsrechtlichen Bedenken damals gut nachvollziehen können. Der Jurist hat sogar einen Fachbeitrag zum Thema Briefwahlen verfasst. Das entscheidende Problem an diesem Verfahren sei eben das Wahlgeheimnis. Wenn die Wahl nicht an der Urne stattfindet, könne man nicht sicherstellen, dass die Stimme auch tatsächlich im Geheimen abgegeben wurde. Ähnlich argumentiert auch Sabine Kurz. Die CDU-Kandidatin für den Wahlkreis 6 war als stellvertretende Landtagspräsidentin ganz in diese Entscheidung involviert. Die Briefwahl sei als Instrument in der politischen Kultur absolut etabliert, stellt sie klar. Der von den Grünen vorgeschlagene Entwurf wäre für einen Gesetzgebungsprozess viel zu spät gekommen. „Das hätte alles nochmal komplizierter gemacht“, sagt Kurtz. „In meinen Gesprächen stelle ich jetzt auch fest, dass viele Wählerinnen und Wähler die Briefwahlunterlagen wie selbstverständlich beantragt und auch Ihre Stimme lange vor dem Wahltermin am 14. März abgegeben haben. Das ist doch viel besser so, als wenn hinterher jemand gegen das Gesetz geklagt hätte.“ Dass die Entscheidung im Licht der weiteren Entwicklung der Pandemiesituation auf Kritik stieß, können Miller und Kurtz dennoch nachvollziehen. „Zum jetzigen Zeitpunkt hätte man das vermutlich anders entscheiden können. Aber die verfassungsrechtlichen Unklarheiten bleiben“, erklärt Miller. Allerdings hält er die Hürde für die Briefwahl nach wie vor für nicht sehr hoch: Man müsse ja nur den entsprechenden Antrag stellen.

AfD und Briefwahl

Einige AfD-Politiker, darunter auch der Böblinger Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier in einem mittlerweile wieder gelöschten Facebook-Post, haben den vermeintlichen Wahlbetrug bei den US-Wahlen aufgegriffen und die Gefahr von Betrug und Manipulation im Zusammenhang mit der Briefwahl in Deutschland unterstellt. Wie stehen die AfD-Kandidaten im Kreis Böblingen zum Thema Briefwahl? Von Klaus Mauch, der für den Böblinger Wahlkreis 5 kandidiert, gab es keinerlei Reaktion auf eine entsprechende Anfrage der Kreiszeitung. Peter Keßler, Kandidat für den Wahlkreis 6 (Leonberg), führt statt einer eigenen Antwort die Argumente von Verfassungsrechtlern an. „Die Briefwahl hat durchaus Potenzial, unterlaufen zu werden“, zitiert er zum Beispiel Andreas Fisahn, einen Professor für Öffentliches Recht an der Uni Bielefeld. Möglicherweise rührt die Skepsis der AfD gegenüber Briefwahlen aber auch daher, dass die Partei hier seit Jahren deutlich unter den an der Wahlurne erzielten Werten abschneidet. Dies ergab zumindest vor zwei Jahren eine parlamentarische Anfrage des ehemaligen Böblinger AfD-Abgeordneten Harald Pfeiffer.

Verwaltungen widersprechen

In den Rathäusern im Kreis sieht man das Thema dagegen ganz anders: „Bei der Briefwahl in Deutschland handelt es sich um ein bewährtes, sicheres Verfahren, das bereits seit 1957 angewandt wird. Es ist durch entsprechende Wahlgesetze beziehungsweise –ordnungen auf Bundes- und Landesebene rechtlich detailliert festgelegt und geregelt“, lautet zum Beispiel die nüchterne Antwort der Böblinger Verwaltung. Ähnlich antwortet Sindelfingens Pressesprecherin Nadine Izquierdo: Da kann man nicht betrügen. Das weiß jeder, der schon mal als Wahlhelfer beim Stimmenauszählen mit dabei war.“