Baulärm statt Strandidyll: Nicht immer sieht es vor Ort aus wie von den Veranstaltern versprochen. Foto:  

Ein Schlichter kann Verbrauchern teure Prozesse ersparen und Zwist mit Veranstaltern klären. Doch die Branche stellt sich weiter quer. Nun geraten Tui & Co. unter Druck: Online-Veranstalter wollen eine kundenfreundliche Streitbeilegung anbieten.

Berlin - Baulärm statt Strandidyll, Ungeziefer und Schimmel im Hotelzimmer, kaputte Klimaanlagen, verschmutzte Pools, lausiges Essen – Reisemängel können den Urlaub verderben. Wenn in Katalogen mehr versprochen als gehalten wird, sind Reklamationen und Prozesse oft die Folge. Bis zu 900 000 Touristen, schätzen Experten, beschweren sich jedes Jahr allein in Deutschland über geplatzte Ferienfreuden. Und nicht wenige Streitfälle werden zu teuren und langwierigen Verfahren vor Gericht.

Bei Banken, Versicherungen und in anderen Wirtschaftszeigen schlichten schon seit Jahrzehnten sehr erfolgreich unabhängige Ombudsleute zwischen Unternehmen und Kunden. Im Pauschaltourismus jedoch fehlt bis heute eine eigene Schiedsstelle, weil große Teile der Branche Kosten und Mühen scheuen. Wer Ärger mit einem der rund 2500 Reiseveranstalter hat, kann sich allenfalls an die Allgemeine Verbraucherschlichtungsstelle des Zentrums für Schlichtung e. V. in Kehl wenden. Denn seit April 2016 müssen Verbraucher zumindest eine generelle Möglichkeit zur außergerichtlichen Streitbeilegung haben.

Viele außergerichtliche Einigungen

In Kehl betreffen Streitfälle wegen Reisemängel schon einen erheblichen Teil der Anträge. Es könnten bald noch viel mehr werden. Ab 1. Juli gelten mit der komplizierten Reform des EU-Pauschalreiserechts neue Regeln und Informationspflichten für Veranstalter und Vermittler. Umso nötiger sei eine spezifische Schiedsstelle, beschloss vor einem Jahr die Verbraucherschutzkonferenz aller Bundesländer und forderte die Bundesregierung explizit auf, deren Aufbau zu unterstützen.

Das Problem könnte schnell gelöst sein, denn mit der Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V. (SÖP) in Berlin existiert seit Jahren eine bewährte Einrichtung, die Reisende bei Streitfällen mit Airlines, Bahnen oder Busunternehmen kostenlos einschalten können. Allein 2017 schloss die SÖP knapp 17 000 Beschwerdefälle ab, fast ein Drittel mehr und zu 77 Prozent mit einer außergerichtlichen Einigung. „Die SÖP mit ihren erfahrenen Volljuristen ist ein Aushängeschild der seriösen und fachlich fundierten Schlichtung“, sagt Felix Methmann, Reiseexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV). Die Vorteile einer Schiedsstelle lägen auch für Unternehmen auf der Hand, denn die Kosten seien deutlich niedriger als bei Gerichtsprozessen. Zudem könne jeder Anbieter durch Kulanz gegenüber seinen Kunden vermeiden, dass es überhaupt zur Schlichtung komme.

Reiseanbieter wollen Probleme vor Ort lösen

Die Branche dagegen sieht zum großen Teil keinen Bedarf für einen Schlichter. Die Reklamationsquoten bei den Veranstaltern seien niedrig, die wenigen Fälle ohne Einigung würden vor Gericht entschieden, heißt es beim Deutschen Reiseverband. Die wichtigste Branchenvertretung sieht „keine gravierenden Mängel in diesem bewährten Verfahren, die durch eine zusätzliche, bürokratische Institution beseitigt werden müssten“. Die großen Veranstalter teilen erwartungsgemäß diese Meinung. Man brauche keine gesonderte Schlichtungsstelle, erklärt der Leiter der Rechtsabteilung von Tui Deutschland, Dietrich Kessel, denn die allermeisten Probleme würden bereits zügig im Zielgebiet gelöst. Dafür gebe es ein ausgefeiltes und bewährtes System der Kundenbetreuung durch Reiseleiter und Serviceabteilungen.

Ähnlich wie der Marktführer argumentiert die Nummer zwei Thomas Cook und verweist auf ihr „24-Stunden-Zufriedenheitsversprechen“, wonach unzufriedene Kunden unter bestimmten Bedingungen den Urlaub abbrechen können und den vollen Reisepreis zurückbekommen. Nur eine „extrem geringe Zahl“ von Gästen nutze diese Möglichkeit.

Airlines und die Bahn hatten sich lange verweigert

Entsprechend schwer tut sich die Bundesregierung bis jetzt, die Veranstalter vom gewünschten Beitritt zur SÖP zu überzeugen. In den Gesprächen des Justiz- und Verbraucherministeriums mit der Branche gibt es nur wenig Bewegung. Staatssekretär Gerd Billen hört die immer gleichen Argumente: Es gebe nur wenig Beschwerden und Streitfälle würden fast immer kulant gelöst. Der frühere VZBV-Chef lässt dennoch nicht locker: „Eine spezialisierte Schlichtungsstelle Reiserecht wäre sinnvoll und würde zum Rechtsfrieden in unserem Land beitragen.“

SÖP-Geschäftsführer Heinz Klewe kennt die Ausreden der Branche nur zu gut, denn auch die meisten Airlines und davor die Bahn verweigerten lange Zeit stur die Beteiligung an einer unabhängigen Schiedsstelle. „In der Luftfahrt dauerte die Umsetzung neun Jahre“, betont der Experte. Inzwischen aber finanzieren die Arbeit der SÖP-Juristen bereits 360 Mitgliedsunternehmen, darunter fast alle wichtigen Anbieter und seit Ende 2013 ebenso die lange störrische Lufthansa.

In der Reisebranche bröckelt der Widerstand

Auch in der Reisebranche bröckelt der Widerstand. Als Vorreiter hat der Verband Internet Reisevertrieb (VIR) einen Vertrag mit der SÖP geschlossen, wie beide Seiten bestätigen. Die Schlichtung für große Online-Reiseanbieter soll 2019 starten. „Wir halten die SÖP gerade mit Blick auf das neue Reiserecht für ein gutes Instrument, wenn es zur Klärung offener Fragen eine neutrale Stelle braucht“, sagt VIR-Vorstand Michael Buller. Der VIR will seinen Mitgliedern – darunter Online-Riesen wie Expedia, HRS und Holiday Check – die Beteiligung an der SÖP empfehlen.

Eine offene Frage seien aber noch die Kosten, erklärt Buller. Das Justizministerium habe eine Finanzierung in Aussicht gestellt für den Aufbau der neuen SÖP-Schiedsstelle. Ohne diese „Erstfinanzierung“ lasse sich diese „nicht etablieren“, warnt er. Dem Vernehmen nach geht es um eine zweijährige Anschubleistung in überschaubarer Höhe.

Bei der SÖP ist man überzeugt, dass bis jetzt noch ablehnende Touristik-Unternehmen der Online-Konkurrenz folgen werden. „Über kurz oder lang“, sagt Geschäftsführer Klewe, „werden auch andere Anbieter von Pauschalreisen erkennen, wie viele Vorteile die Schlichtung für ihr Unternehmen und ihre Kunden bringt“.