Bis zu 25 ramponierte Koffer landen jeden Werktag bei Koffer-Doktor Götz Tielsch. Um beschädigte Koffer zu reparieren, genügen oft wenige Handgriffe. Das größte Problem sind die passenden Ersatzteile. Foto: SoAk

Griff abgebrochen, Rollen abgefahren, Delle im Deckel, Zahlenschloss defekt - Götz Tielsch löst (fast) jedes Problem mit dem Reisegepäck.

Der Code des Zahlenschlosses ist eigentlich ganz einfach zu merken. Geburtstag und -monat des Besitzers. Idiotensicher, denn das Geburtsjahr mag mancher verdrängen, aber nicht das Datum des Tages. Und dennoch geht der Koffer partout nicht auf. Nervös drehen die Finger an den kleinen Rädchen, wieder und wieder. Zum Glück ist die Reise schon vorbei, der heimische Schrank ist gefüllt mit ausreichend Kleidung. Zwischen den Hartschalen stecken schmutzige Klamotten, darunter ein noch nasser Badeanzug. Mitbringsel für die Kinder sind auch darin und werden dringend erwartet. Doch das Schloss will und will nicht aufgehen. Was nun? Mit Gewalt aufbrechen? „Bloß nicht“, sagt Koffer-Doktor Götz Tielsch.

„Am besten versucht man es mit benachbarten Ziffern des persönlichen Zahlencodes. Wahrscheinlich hat sich nur was verstellt.“ Widerspenstige Schlösser landen jeden Tag auf dem Tisch des Gepäckfachmanns. Dazu Trolleys mit abgefahrenen Rädern, verbeulte Aluminiumkoffer, Hartschalenkoffer mit verbogenen Teleskopstangen, Lederkoffer, an denen die Griffe abgerissen sind. Für fast jeden Patienten gibt es Hoffnung. „Am besten ruft man vorher an und schickt ein Foto von der kaputten Stelle. Ich kann dann sofort sagen, ob was zu retten ist“, sagt Götz Tielsch (48). Der Koffer-Doktor hat seine Werkstatt in einem Hinterhof, der in einem Wohngebiet von Sindelfingen liegt . Der Weg in die kleine Anliegerstraße, vorbei an Dutzenden Garagen, ist schwer zu finden. Etwa 25 Koffer landen jeden Tag bei Götz Tielsch, der hauptsächlich für den Hersteller Rimowa tätig ist und dessen Schadenfälle in ganz Süddeutschland bearbeitet.

Urlauber auf der Durchreise im Taxi

Tielsch hat kaum Konkurrenz, nur rund ein Dutzend Koffer-Doktoren gibt es in ganz Deutschland. Die meisten Gepäckstücke werden im Auftrag von Fluggesellschaften oder Lederwarengeschäften nach Sindelfingen geschickt. Die Fahrer der Logistikunternehmen freut’s - bei nur einem Empfänger werden sie auf einen Schlag eine ganze Ladung Pakete los. Manche Kunden lassen es sich aber nicht nehmen, ihren geliebten Koffer, an dem so viele Erinnerungen hängen, persönlich vorbeizubringen: Vielflieger, Flugbegleiter, Geschäftsreisende der Firmen im Umkreis, Urlauber auf der Durchreise im Taxi. Einmal kam der Konsul eines südamerikanischen Landes mit Polizei-Eskorte vorgefahren. Alle sind froh, jemanden zu haben, der ihr Problem lösen kann.

„Jeder Koffer hat eine Geschichte. Während die Leute warten, erzählen sie mir, wohin sie fahren, woher sie kommen oder wo sie und ihr Koffer schon überall waren“, sagt Götz Tielsch. Die weiteste Reise hatte das Gepäck eines Antarktis-Forschers hinter sich: Er kam aus der Amundsen-Scott-Südpolstation. Packt einen bei all diesen Geschichten und Koffern nicht das Fernweh? „Ich reise auch viel, aber am liebsten mit dem Auto und kleinem Gepäck“, sagt Götz Tielsch. Kürzlich urlaubte er mit seiner Familie auf der italienischen Insel Elba. Zwischen Pfingsten und Ende September kann er jedoch nicht weg - Reparatur-Hochsaison. Der Koffer-Doktor ist eigentlich gelernter Einzelhandelskaufmann. Nach der Lehre arbeitete er im familieneigenen Lederwarengeschäft in Sindelfingen. „Wenn damals Reklamationen kamen, mussten die Koffer zu den Herstellern geschickt werden.

Zum Teil ging das bis nach Belgien“, erzählt der 48-Jährige. Hohe Portokosten für ein Ersatzteil von wenigen Cent - das fand der Junior unwirtschaftlich und wenig kundenfreundlich. Also baute er einen eigenen Reparaturservice auf und ließ sich von den Herstellern schulen. Vom einstigen Laden ist heute nur noch das Logo übrig geblieben, Götz Tielsch aber repariert immer noch. Das Geschäft brummt. „In wirtschaftlich schlechten Zeiten habe ich viel zu tun, weil die Leute weniger neue Sachen kaufen und lieber reparieren lassen. In wirtschaftlich guten Zeiten läuft der Laden, weil mehr gereist wird und dabei mehr Koffer beschädigt werden.“ Die meisten Schadenfälle sind mit wenigen Handgriffen erledigt.

Ein gezielter Hammerschlag und die Beule im Alukoffer ist verschwunden. Ein paar Umdrehungen mit dem Akkuschrauber und das Rad ist ausgewechselt. „Das größte Problem ist, das richtige Ersatzteil zu finden. Jeder Hersteller hat andere Rollen, andere Bodenfüße, andere Zipper am Reißverschluss“, erklärt Tielsch. In mannshohen Metallregalen seiner Werkstatt lagert der Koffer-Doktor daher Tausende Nieten, Rollen oder Schrauben. En gros im Internet ersteigert, meist aus Geschäftsaufgaben. Oft muss Götz Tielsch kreativ sein und ein Ersatzteil basteln, indem er etwa ein Rollerblade-Rad aus dem Sportfachhandel zur Kofferrolle umfunktioniert. Der Koffer-Doktor hat den Ehrgeiz, alles wieder hinzubekommen.

Es kann auch ein neues Gepäckstück herausspringen

„Ich trage mit meinen Reparaturen zur Müllvermeidung bei. Das ist nachhaltig. Man muss nicht gleich alles wegwerfen“, sagt der 48-Jährige. Manchmal aber kommt jede Hilfe zu spät. „Der hier ist ein Totalschaden“, sagt Götz Tielsch und zeigt auf ein dunkelblaues Plastikmodell. Hat sich irgendwo auf dem Weg zwischen Flugzeug und Gepäckband verklemmt, wurde bös gestaucht und zerquetscht. In diesem Fall stellt der Fachmann eine Art Totenschein aus. Dank dieser Expertise bekommt der Kunde den Zeitwert des Koffers von der Fluggesellschaft ersetzt. Im berechtigten Garantiefall kann auch ein neues Gepäckstück herausspringen - die Firma mit den Rillen ist großzügig und gibt fünf Jahre Garantie.

„Wichtig ist, dass man den Kaufbeleg aufbewahrt und am besten auch auf Reisen dabeihat. Dann wird einem bei jedem offiziellen Reparaturservice weltweit geholfen“, sagt Götz Tielsch. Zur Not haben hochwertige Markenkoffer aber auch eine eingestanzte Nummer, anhand der man das Produktionsjahr feststellen kann. Der Fachmann sieht das natürlich mit einem Blick. „Achtziger Jahre“, sagt Götz Tielsch und deutet auf ein Alumodell in der Werkstattecke. Der daneben stamme aus den Neunzigern. Ultraleichte Polycarbonatkoffer sind neuesten Datums.

Einen verschlossenen Koffer kann Götz Tielsch, ohne Schaden anzurichten, übrigens in wenigen Sekunden öffnen. Den Trick verrät er leider nicht. Nur so viel: „Zur Not muss man eben alle Kombinationen durchprobieren. 999 Zahlen bei einem dreistelligen Code hat auch der Laie in 20 Minuten durch.“ So schlimm ist der Fall unseres verschlossenen Koffers zum Glück nicht. Tatsächlich hatte sich nur eine Ziffer verstellt. Der Geburtstag war um einen Tag vorverlegt worden.

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Tipps für den Notfall

Probieren geht über Zerstören
Ein von außen einstellbarer Kofferverschluss (TSA-Schloss) kann sich leicht verstellen. In diesem Fall sollte man zunächst alle möglichen Kombinationen durchprobieren und mit benachbarten Zahlen des persönlichen Codes beginnen. Wenn nichts hilft, kann man die Ösen der Reißverschlusszipper mit einer Zange aufbiegen und so den Verschluss aufbrechen.

Auf keinen Fall den rundherum eingenähten Reißverschluss aufschneiden. Ein neues Schloss kostet circa 20 Euro, ein kaputter Reißverschluss kann hingegen oft nicht ersetzt werden.

Beschädigungen sofort melden
Wenn ein Koffer ramponiert vom Gepäckband kommt, sollte man den Schaden am besten sofort bei der Fluggesellschaft melden. Eine solche Anzeige ist auch telefonisch möglich und muss innerhalb von sieben Tagen erstattet werden. Dazu benötigt man das Ticket sowie den Gepäckabschnitt. Gemäß der internationalen Beförderungsbestimmungen ersetzt die Airline jedoch nur den Zeitwert. Das heißt, pro angefangenem Nutzungsjahr werden vom Neupreis zehn Prozent abgezogen.

Kaufbelege aufheben
Wichtig ist, dass man die Rechnung des Koffers aufbewahrt. Hersteller von hochwertigem Markengepäck geben bis zu fünf Jahre Garantie ab Kaufdatum. Wer sichergehen möchte, dass ihm auch am Ferienort geholfen wird, sollte die Belege im Handgepäck mitführen. Mängel werden oft auf Kulanz behoben.