Zwei Wunschziele kleiner Entdecker Foto: BillionPhotos.com, photosvac/Adobe Stock

Was hat Fernweh mit dem Weihnachtsmann zu tun? Und was verbindet den Weihnachtsmann mit Essen auf dem Weihnachtsmarkt? Derart essenzielle Fragen beleuchtet eine beinahe frei erfundene Weihnachtsgeschichte.

Stuttgart - Kurz nach seinem fünften Geburtstag erwachte beim kleinen Ludwig das, was man bei Erwachsenen Fernweh zu nennen pflegt. Das Fernweh offenbarte sich in einer Reiseidee:

„Fährst du mit mir ins Eis, dahin, wo die Eisbären wohnen?“, fragte der kleine Ludwig den bärtigen Onkel.

„Klar, das können wir machen, wenn du ein bisschen größer bist“, antwortete der.

„Besuchen wir dann auch den Weihnachtsmann?“

Der bärtige Onkel galt nicht zuletzt deshalb als seltsam, weil seine Lügen immer etwas unbeholfen rüberkamen: „Das ist schwierig“, antwortete er, „weil der Weihnachtsmann ist viel unterwegs. Man weiß nie, wann er zu Hause ist. Die Eisbären können wir uns ansehen, aber ob wir in der Nähe auch den Weihnachtsmann treffen, kann ich dir nicht versprechen.“

Der kleine Ludwig stampfte auf den Boden und war im Begriff, gegen das Schienbein des bärtigen Onkels zu treten. Er wurde zornig, und sein Verhalten kontrastierte auffällig mit der Harmonie auf dem Kinderkarussell wenige Schritte entfernt am Rande des Weihnachtsmarkts einer deutschen Großstadt. Es roch nach Bratwurst.

Er möchte auf den Weihnachtsmarkt

Schon die Fahrt zum Weihnachtsmarkt war nicht ganz konfliktfrei verlaufen: „Möchtest du auf den Spielplatz?“, hatte die Mutter des kleinen Ludwig ihren Sohn gefragt, als sie ihn gemeinsam mit dem bärtigen Onkel vom Kindergarten abgeholt hatte.

„Nein, ich möchte auf den Weihnachtsmarkt!“, schrie der Junge.

„Nein, da finde ich keinen Parkplatz“, jammerte die Mutter.

Darauf er: „Ich will aber soooo gerne!“

Schließlich sie: „Du willst nur wieder ne Wurst, und dann kriegst du Bauchweh und weinst.“

„Nein, ich will nur Karussell fahren!“

„Keine Wurst, versprochen?“

„Versprochen!“

Ein geschickter Taktiker

Die drei fuhren los, fanden einen Parkplatz und taten so, als ob sie die Dekoration der Markthütten bestaunen würden. Der kleine Ludwig hielt sich an sein Versprechen, bis, ja bis ihn nach der ersten Artikulation seines Fernwehs plötzlich das Gefühl überkam, der Besuch beim Weihnachtsmann im fernen Eisbärenland könnte der blöden Erwachsenen wegen scheitern. Aber er war ein geschickter Taktiker: „Dann will ich aber wenigstens ne Bratwurst!“, keifte er.

„Du hast es versprochen: keine Wurst“, sagte seine Mutter.

„Kein Weihnachtsmann und nicht mal ne Wurst, das ist so gemein“, barmte der kleine Ludwig stampfend.

Dann schaltete sich der bärtige Onkel ein: „Was hälst du von ner halben Bratwurst?“

Der Junge strahlte, die Mutter stimmte ermattet zu, und weil sie keinen Hunger hatte und ohnehin auf gesunde Ernährung achtete, bekam der seltsame Onkel die hintere Bratwursthälfte in einem eigenen knusprigen Brötchen, ohne dass die Verkäuferin einen Aufpreis verlangt hätte. Vorweihnachtsharmonie. Von irgendwoher erschallten schiefe Blockflötentöne: „Ihr Kinderlein kommet.“ In diesem Moment beschloss der bärtige Onkel, seinen Chef bei nächster Gelegenheit nach einer Gehaltsverdoppelung zu fragen, und auf die immerhin mögliche Ablehnung taktisch ähnlich klug zu reagieren wie der kleine Ludwig. Zum Beispiel so: „Na gut, dann zahlen Sie mir weiterhin das aktuelle Gehalt, aber ich darf die Hälfte der Arbeitszeit frei machen, abgemacht?“

Alaska und Lappland

Weil der Chef in den Tagen vor Weihnachten sehr beschäftigt war, vertrieb sich der bärtige Onkel die Wartezeit bis zum Gespräch mit geografischen Forschungen. Eisbären würden in Alaska leben, lernte er und außerdem im Norden Sibiriens. Die Meldeadresse des Weihnachtsmannes hingegen wird hierzulande eher in Skandinavien vermutet. Lappland und so.

Das konnte der kleine Ludwig natürlich nicht wissen. Der bärtige Onkel hatte es ja auch nicht gewusst, ehe er zu forschen begann. Kalt ist kalt.

Viele Jahrzehnte zuvor, als das Fernweh des bärtigen Onkels erwachte, war er im Glauben, das Glück zu finden, an einen Strand im Süden gereist. Heiß ist heiß. Welch ein Irrtum. Man konnte zwar kostenlos im Sand unter freiem Himmel schlafen, aber nachts kamen Diebe, die tagsüber so getan hatten, als seien sie harmlose Touristen, und erleichterten die Gratisurlauber um ihre sorgsam im Schlafsack versteckte Reisekasse. Nicht nur das Geld war weg: Zu Weihnachten gab‘s deshalb einen neuen Schlafsack. Vom Christkind übrigens.