Bonbonbunt strahlen die Häuser der Handelskade mit dem Himmel über Willemstad um die Wette. Foto: Tilo Grellmann – Adobe Stock


Auf der Karibikinsel Curaçao dreht sich sehr viel ums Essen. Die exotischen Spezialitäten der Inselküche haben ihre Wurzeln in der Ära der Sklaverei.

Stuttgart - Zus di Plasa steht in der Alten Markthalle der pastellbunten Insel-Hauptstadt Willemstad an einem rußgeschwärzten Herd. Sie schwenkt Pfannen und Töpfe, grillt Gemüse und brät Fleisch. Jeden Tag um die Mittagszeit verwandelt sich die Halle in ein Restaurant. An langen Tischen sitzen die Menschen unter Ventilatoren und Kronleuchtern und essen karibische Spezialitäten: gegrillten Fisch, süße Kochbananen, Reis mit schwarzen Bohnen, alles so exotisch wie köstlich.

Früher gab es hier ganz normale Marktstände. Irgendwann aber nahm das Kochen an den Ständen überhand, und so zog der eigentliche Markt in eine neue Betonstruktur einen Steinwurf von der alten Halle entfernt. Seither ist diese eines der preiswertesten und originellsten Restaurants Willemstad – und die Kochstelle von Zus di Plaza eine Institution im Herzen der Insel-Hauptstadt.

Curaçao, ein eigenständiges Land im Königreich der Niederlande, besitzt natürlich karibiktypische Traumstrände. Die schönsten Buchten mit puderweißem Sand an türkisfarben leuchtendem Meer liegen im Nordwesten der Insel. Und auch Palmen kommen vor. Aber noch viel mehr Kakteen. Auf den Mauern und Parkplätzen sonnen sich Iguanas, die grünen Leguane. Bis zu einem Meter lang können die zackig gemusterten kleinen Drachenwesen werden, die vegetarisch leben und bisweilen in den Kochtöpfen der Insulaner landen.

Fast jeden Tag Kaktussuppe

Iguana-Eintopf ist eine der exotischen Spezialitäten der Inselküche, die ihre Wurzeln in der Ära der Sklaverei haben. „Wir wissen, was damals passiert ist, aber wir sehen uns nicht als Opfer, sondern schauen nach vorn“, sagt Bigala Cecilia mit Blick auf diese Zeit. Bigala führt Besucher durch die Natur Curaçaos, die gleich an den Grenzen Willemstads beginnt. In einer Lagune stehen Flamingos, die Morgenluft ist erfüllt von Vogelstimmen. Mit ihrer Arbeit als Guide hat sie ihren beiden Kinder das Studium finanziert. Ihr Sohn ist gerade mit dem Diplom in der Tasche aus Holland zurückgekehrt, die Tochter arbeitet als Psychologin in den Niederlanden. Dabei stammt Bigala aus ärmlichen Verhältnissen: „Meine Mutter kurierte alles mit Kräutern aus dem Garten, und das meiste, was wir aßen, stammte ebenfalls von dort.“ Kaktussuppe zum Beispiel, die von den Bewohnern Curaçaos heiß geliebt wird, aß sie als Kind fast jeden Tag.

Im Tula-Museum in einer ehemaligen Plantage aus der Kolonialzeit weiht Nette Willems die Besucher in die Geheimnisse dieser exotischen Spezialität ein. Die von Stacheln befreite, zerstampfte Schale des Kadushi-Kaktus wird mit Wasser gekocht. Je nach Vorratslage kommt Fisch oder Fleisch hinzu: „Zum Beispiel ein Schweineschwanz“, erklärt Nette und lacht. „Ich koche jeden Sonntag für meine Familie Kaktussuppe. Wir lieben sie.“

Das Experiment zeigt: Die Konsistenz des Süppchens ist ein wenig schleimig, der Geschmack aber klar „dushi“: Das bedeutet im kreolischen Idiom Papiamentu schmackhaft, aber auch schön, nett und freundlich, passt also eigentlich immer.

Einfach den Tanten zugeschaut

Dushi ist auch der „Bolo pretu“, ein dunkler Früchtekuchen, der auf Curaçao traditionell zu Familienfeiern gebacken wird. Jeritza Beaumont, die erste Fernsehköchin der Insel, variiert das alte Rezept mit einem Schuss Blue Curaçao – dem echten natürlich, der aromatisch ist statt süß und klebrig und aus den Schalen guter Bitterorangen hergestellt wird.

Seit 1988 verkauft Jeritza die Kuchen, die sie in drei Öfen in ihrer sonnendurchfluteten Küche backt. Seit 2014 hat sie ihre eigene Fernsehsendung „Sweet Hour“. Darin zeigt sie, wie man kreolisch inspirierte Kuchen und bunte Geburtstagstorten für Kinder backt. Gedreht wird hier, in ihrer Küche, wo über der Tür eine Uhr in Form einer Küchenmaschine hängt und auf der Mauer vor dem offenen Fenster Iguanas sitzen, die wissen, dass die Chefin ihnen gelegentlich Oliven spendiert.

Wann sie backen gelernt hat, vermag die 58-Jährige nicht genau zu sagen. „Wir haben es in unseren Genen, wirklich gelernt habe ich es nie.“ Gerade hat sie zwei Kuchen für eine Hochzeit in den Ofen geschoben. Nun packt sie fertige Kuchenstücke in Goldpapier. „Als kleines Kind habe ich einfach meinen Tanten und Cousinen beim Backen zugeschaut.“

Kakteen statt Bananen

Als sie nach der Schule in einer Bank zu arbeiten begann, backte sie für Freunde und Kollegen. Schließlich reduzierte sie die Stunden in der Bank immer mehr zugunsten des Bolo pretu und anderer schwerer, süßer Kuchen – bis für die Bank keine Zeit mehr übrig war. Heute hängen an der Wand Diplome der Meisterkurse, die Jeritza Beaumont seither absolvierte. In Stoßzeiten helfen ihr eine der beiden Töchter – die andere lebt in Holland –, die Nachbarin oder eine Freundin, die von Bonaire herüberkommt.

Auf Curaçao dreht sich eben sehr viel ums Essen. Aber nicht alles. Die Insel, die den Holländern aufgrund ihrer Kargheit einst wertlos erschien, so dass sie sie nur als Umschlagplatz für Sklaven nutzten, besitzt reiche Natur. Das Gebiet rund um den Christoffel Mountain, der mit 375 Metern höchsten Erhebung der Insel, ist sogar als Nationalpark geschützt: 2300 Hektar zerklüfteter Hügel und trockener Vegetation unter sengender Sonne. Zu Fuß lässt er sich unter einem breitkrempigen Sonnenhut erkunden. Wer die Sonne fürchtet, nimmt das Auto, denn im Park gibt es außer Wanderpfaden auch hinlänglich ausgebaute Schotterpisten und ein paar Straßen.

Schweine, Esel und Ziegen zählen neben endemischen Vögeln wie dem Curaçao-Falken und der Curaçao-Schleiereule sowie den Iguanas zur Fauna des Parks; sie sind Abkömmlinge der Tiere, die einst Spanier auf der Durchreise als lebendiges Vorratslager aussetzten.

Auf einem Hügel sind die Grundmauern einer Plantage aus dem 18. Jahrhundert zu erkennen. Wo einst Mangos, Bananen und Bohnen gediehen, wachsen heute Kakteen: Kadushi, die sich so gut als Suppe machen, der pfeilgerade wachsende Datu, der stachelige Früchte trägt, aber auch Flechten, Orchideen und in der Regenzeit ein paar tapfere Blumen.