Reinhold Würth (rechts) beim „Über Kunst“-Gespräch im Carmen Würth Forum Foto: Steffen Schmid

Reinhold Würth präsentiert sich beim „Über Kunst“-Gespräch mit „Stuttgart Nachrichten“-Autor Nikolai B. Forstbauer so vielfältig wie seine Sammlung: Heiter, nachdenklich – und „immer mit beiden Beinen auf dem Boden“.

Stuttgart - Viel wird über die gesellschaftliche Bedeutung von Kunst gesprochen. Die „Stuttgarter Nachrichten“ bieten hierzu mit eine eigene Veranstaltungsreihe. Angestammter Platz der „Über Kunst“-Gespräche ist die Staatsgalerie Stuttgart. Der Einladung, für ein „Über Kunst“-Gespräch mit Reinhold Würth, Vorsitzender des Stiftungsaufsichtsrats der Würth-Gruppe, das Carmen Würth Forum in Künzelsau zu nutzen, aber ist Nikolai B. Forstbauer, Titelautor der „Stuttgarter Nachrichten“, gerne gefolgt. Auf dem heutigen Würth-Campus mit inzwischen zwei Kunst-Museen hat die Identität von Unternehmen und Kunstengagement ihren Ursprung, hier entfaltet sich auch mit dem Skulpturenpark ein eigenes Kunst-Panorama.. Leicht wäre der Reinhold Würth Saal gefüllt gewesen, doch mehr als 500 Anfragen mussten abschlägig beschieden werden. „Stuttgarter Nachrichten“ wie die Würth Gruppe halten sich streng an die Abstands- und Hygieneregeln. 140 angemeldete Gäste sind beim „Über Kunst“-Dialog in dem 600 Plätze bietenden Saal erlaubt.

Würth warnt vor Corona-Folgen

Reinhold Würth spricht mit einer eigenen Melodie. Wird der Klang hart, ist das kein gutes Zeichen. Und so kündigt er im „Über Kunst“-Gespräch unserer Zeitung im Carmen Würth Forum in Künzelsau am Sonntagvormittag eben noch eine Erweiterung der Kunsthalle Würth an – „der Bauantrag ist fertig“ –, als er dann sagt: „Wissen Sie, aktuell ist ja in Deutschland das Insolvenz- und Konkursrecht außer Kraft gesetzt. Aber nächstes Jahr greift das wieder, und ich fürchte, wir werden einige Ereignisse dieser Art erleben.“ Die Stille im großen Saal spiegelt die Spannung. Und Würth ergänzt: „Die schwierige Zeit kommt erst noch“.

Kunst ist für alle da

Dann schaut der Vorsitzende des Stiftungsausschusses der Würth-Gruppe hoch. Der Glanz kehrt in die Augen zurück, als er wieder über Kunst spricht. Die Kunst bei Würth, die Kunst, mit der er sich umgibt und die er „möglichst vielen Menschen zugänglich machen“ möchte.

Das 2017 eröffnete Carmen Würth Forum ist ein guter Ort, um über Kunst zu sprechen: Am 28. Juni erst eröffnete die Würth-Gruppe in diesem Komplex am Firmenstammsitz in Künzelsau-Gaisbach das Museum Würth 2. Der Bau konzentriert die Formensprache des britischen Stararchitekten David Chipperfield noch einmal. „Weitblick – Reinhold Würth und seine Kunst“ heißt die erste Präsentation – ein Panorama der Vielfalt der Kunst.

Persönliche Entscheidungen

„Für mich“, sagt Würth im „Über Kunst“-Dialog mit Nikolai B. Forstbauer, „war es immer wichtig, dass die Kunstwerke, die ich kaufte, mir gefielen.“ Würth machte seine erklärte Subjektivität zum Leitfaden seiner Sammlung. So findet sich unter den nun 18300 Werken – allesamt im Unternehmenswert verankert – wenig nur von Joseph Beuys. „Die Materialien, mit denen er arbeitete, haben mich nicht überzeugt“, sagt Würth, um im gleichen Moment ins Schwärmen zu kommen: „Anselm Kiefer begeistert mich immer wieder. Es ist ein wunderbares Werk, das er erschafft.“

Kunst schafft Identität

Der Sammler als Impulsgeber – so ist das „Über Kunst“-Gespräch mit Reinhold Würth überschrieben. zahllosen Aktivitäten in den Bereichen Kunst, Architektur, Musik und Literatur gab und gibt der Unternehmer regional, national und international Anstöße. „So selbstlos ist das gar nicht“, sagt Reinhold Würth. Immer ging und geht es ihm darum, die Kunst zu einem Teil der Identität seines Unternehmens zu machen. „Ich wollte nicht“, sagt Würth, „dass wir in der Öffentlichkeit den Eindruck hinterlassen, eine Organisation zu sein, die nur auf Profit aus ist“. „Ich wollte, dass wir eine gewisse Leichtigkeit ausstrahlen, eine Kosmopolie, Weitläufigkeit.“

Plädoyer für freien Eintritt

Die Kunst bei Würth ist bei freiem Eintritt zu erleben. „Man spricht immer vom Unterschied zwischen Arm und Reich“, sagt er. „In der Kunst hat man die Möglichkeit, diese Disharmonie vollständig aufzuheben. Bei freiem Eintritt sind im Museum alle Menschen gleich. Mir war es ein Anliegen, Oasen zu schaffen, an denen dies möglich ist.“ All dies aber, macht er deutlich, muss erarbeitet und gesichert sein. „Ich bin mit beiden Füßen auf dem Boden“, sagt er. „Ich bin zu 90 Prozent Kaufmann, und das werde ich auch bleiben.“ Die Kunst? „War immer ein wichtiger Kontrapunkt zur harten Arbeit.“

Bewusste Stilvielfalt

Das Nebeneinander scheinbar gegensätzlicher sowie bekannter und weniger bekannter Künstlerpositionen prägt die Sammlung. Dafür gab es aus der Kunstszene nicht immer nur Beifall. „Wissen Sie“, sagt Reinhold Würth, „ich habe Respekt vor jedem Künstler“ – „weil ein Mensch, der im Bereich der schönen Künste etwas unternimmt, dabei ja immer sein Bestes gibt, das, was seiner Meinung nach sein Bestes ist. Und das dürfen wir nicht durch einen dummen Kommentar kaputt machen.“

Carmen Würths Impulse

Wie alles begann? Würth verweist auf seine Frau. Carmen Würth beauftragte einst den von Schwäbisch Hall aus international aktiven Fotografen und Galeristen Paul Swiridoff, Porträts ihrer Kinder anzufertigen. Erste Künstlerkontakte entwickelten sich, wurden, wie bei dem dänischen Bildhauer Robert Jacobsen, zu Freundschaften außerhalb aller Kunstmarkthierarchien: „Er hat ein beeindruckend tiefgängiges Werk geschaffen, fand aber doch nie die Beachtung der internationalen Szene“, sagt Würth über den erst nach seinem Tod 1993 neu entdeckten Jacobsen. Und: „Mir hat seine Bodenständigkeit gefallen, er war mehr Schmied als Kunstprofessor.“

Ebenfalls auf eine Anregung Carmen Würths geht der Ankauf der Fürstlich Fürstenbergischen Sammlungen 2003 zurück, mit der Reinhold Würth seinem Kunstinteresse eine neue Richtung hinzufügte: „Für das Mittelalter und die frühe Neuzeit hatte ich mich bis dahin überhaupt nicht interessiert.“ Die Präsentation der Sammlung in der sanierten Johanniterkirche Schwäbisch Hall verstärkte das neue Interesse noch: „Gelegentlich kaufen wir dazu.“

Die Grenzen des Machbaren

Sein historisches Interesse erklärt auch Reinhold Würths Verbindung mit dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart. Über 22 Jahre hin brachte er sich als Vorsitzender der Gesellschaft zur Förderung des Landesmuseums dort ein. Bis heute bleibt mitunter ein Kopfschütteln – „Wir haben dem Land zugearbeitet, aber wir wurden manchmal als lästig empfunden“, sagt er.

Blick auf die nächste Generation

Die Freiheit, zu agieren, zu entscheiden, zu forcieren, das wird spürbar, ist Würth bis heute wichtig. Konsequent meidet er Abhängigkeiten. „Es ist schön, wenn man so entscheiden kann“, sagt er. Reinhold Würth, der jüngst sein 70. Arbeitsjubiläum feierte, im April des Jahres 85 Jahre alt wurde, hat Vorsorge getroffen, dass sich dies nicht ändert. Sein Enkel Benjamin soll in zehn bis 15 Jahren die Leitung des Stiftungsrats der Würth-Gruppe übernehmen, Enkelin Maria, die in Zürich und Tübingen Kunstgeschichte studierte, langfristig im Kunstbereich des Unternehmens wirken. Noch aber sorgt hier Sylvia Weber als Geschäftsbereichsleiterin für Kunst und Kultur bei der Würth-Gruppe, für Tempo.

Begeisterung hält jung

Wie geht es weiter mit der Kunst? Noch bremst Covid-19 manche Pläne – eine Sanierung und Erweiterung der Kunsthalle Würth in Schwäbisch Hall habe – rund 20 Jahre nach ihrer Eröffnung 2001 – Priorität. Treu bleibt sich Würth im Gegenspiel der Kräfte. „Um halb zehn gestern Abend habe ich noch Geschäftsbriefe diktiert“, sagt er – „ich schließe mich nicht abends im Museum ein und kontempliere“, sagt er. Kommt er aber bei Tag auf den Würth-Campus in Künzelsau mit seinem ständig wachsenden Skulpturenpark, dem Carmen Würth Forum und inzwischen zwei Museumsbauten, ist er dann doch ganz der begeisterte Kunstsammler. „Da“, sagt Reinhold Würth, „muss ich mich manchmal selber ins Ohr zwicken, um mir klar zu machen, dass das alles wahr ist.“