Jeden Tag transportieren drei Transporter Regioräder quer durch die Stadt. Foto: /Lichtgut /Leif Piechowski

Das Regiorad-System in Stuttgart funktioniert alles andere als perfekt, wie eine Datenauswertung unserer Zeitung zeigt. Drei Transporter bringen die Leihräder Tag für Tag zurück in die Halbhöhe. Die Verwaltung will bald gegensteuern.

Stuttgart - Die Regioräder können so praktisch sein: Mal kurz von A nach B radeln oder einen der vielen Stuttgarter Hügel hinunterrollen: Gerade in der Innenstadt ist es meist nicht weit zu einer der 75 Stationen. Allein, aufmerksamen Kunden mag es hin und wieder auffallen, dass an manchen Terminals stundenlang sehr wenige oder gar keine Räder stehen, während anderswo die Abstellplätze knapp werden.

Dass das Entleih- und Rückgabesystem nicht perfekt funktioniert, zeigt eine umfassende Datenauswertung unserer Zeitung. Zwischen August 2018 und Juli 2019 haben wir an sämtlichen Regiorad-Stationen alle zehn Minuten die Zahl der verfügbaren Räder protokolliert – dank offener Datenschnittstelle ist das leicht möglich. Durchsucht man den so entstandenen Datensatz mit fast zwei Millionen Datenpunkten nach Mustern, schälen sich drei Arten von Regiorad-Stationen heraus. Besonders in den Außenbezirken finden sich Regiorad-Standorte, an denen kaum Räder entliehen werden, wie etwa in Weilimdorf oder Sillenbuch. Im Stadtzentrum gibt es Stationen mit hoher Fluktuation, beispielsweise am Marienplatz oder in der Lautenschlagerstraße. Und schließlich existieren Entleihstellen wie an der Schwabstraße, am Kochenhof oder in der Löffelstraße in Degerloch, wo der Bestand der verfügbaren Räder regelmäßig auf null sinkt, um wenig später sprunghaft wieder anzusteigen.

Diese dritte Gruppe, sämtlich klar oberhalb des Stadtzentrums gelegen, wird regelmäßig von drei Sprintern angefahren. Im Innern finden jeweils zwei Dutzend Räder Platz, die von DB-Connect-Mitarbeitern dann an den entsprechenden Terminals abgestellt werden. Ein- bis dreimal in der Woche werden die höher gelegenen Stationen auf diese Weise aufgefüllt, wie unsere Zahlen zeigen. Von der Schwabstraße, dem Kochenhof oder Degerloch fahren die Regiorad-Nutzer also regelmäßig jene Räder Richtung Talkessel, die dann per Transporter wieder an die Station zurückgebracht werden. Ist das die Idee hinter dem als umweltfreundlich und smart gepriesenen Radleihsystem?

Bis zu 100 Räder werden pro Tag durch die Stadt transportiert

Das bestätigt Ralf Maier-Geißer, der bei der Stadtverwaltung für nachhaltige Mobilität zuständig ist: Die Rückführung von Rädern sei Teil des Vertrags mit der Bahn-Tochter DB Connect, die das Regiorad-System (früher Call a Bike) in Stuttgart betreibt. Die zuständigen Mitarbeiter sind werktags zwischen 6 und 22 in der Stadt unterwegs und übernehmen zusätzlich Wartungs- und Reparaturaufgaben. An manchen Tagen fahren sie 20 Räder durchs Stadtgebiet, an manchen 100. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass die Mitarbeiter mit Reparatur- und Wartungsaufgaben voll ausgelastet seien, so Maier-Geißer. Es sei Sache der DB Connect, die Regioräder über das Stadtgebiet zu verteilen. „Das erste Jahr war zum Testen gedacht, zum Lernen. Jetzt steuern wir nach“, sagt Maier-Geißer.

Hier geht es zur Multimedia Reportage: Alles rund um die Leihfahrräder in Stuttgart.

Er sieht nicht nur, wie viele Räder an welcher Station stehen, sondern auch, wo sie entliehen und wieder zurückgegeben werden. Typische Regiorad-Routen führten vom Marktplatz zum Marienplatz, vom Wilhelmsplatz zum Hauptbahnhof oder vom Bahnhof Bad Cannstatt zum Mercedes-Benz-Museum: mit Bus und Bahn umständlich, zum Laufen zu weit. Während sich auf solchen ebenerdigen Strecken Angebot und Nachfrage einigermaßen ausgleichen, muss Maier-Geißer sich überlegen, wie sich folgendes Problem lösen lässt: dass die Kunden zwar runterrollen, aber nicht wieder hochstrampeln. Seine Idee: „Wir wollen an den höher gelegenen Stationen nur noch Pedelecs stationieren“. Die kosten, anders als die einfachen Räder ohne Elektromoter, von der ersten Minute an. Der Schwabe, so Maier-Geißers Plan, wird sich dann schon zweimal überlegen, ob er fürs gemütliche Hinunterrollen in die Stadt wirklich zahlen möchte. Der Rest ergebe sich über die Gewöhnung von selbst. Man sei dazu „mit der Stadt im Austausch“, so die Bahn-Pressestelle.

Neue Entleihstellen geplant

Ob das funktioniert, wird sich zeigen. Derzeit werden neue Ständer gebaut, etwa am Feuersee. Zudem passt die Stadt die Mindestbestückung bestimmter Leihstationen an. Hier hat die Verwaltung ein Mitspracherecht, die DB Connect hat dann ein bestimmtes Zeitfenster, in dem die Entleihstelle mit neuen Rädern zu bestücken ist. Je besser die Mindestbestückung zum Bedarf in einem Gebiet passt, desto seltener muss der Transporter mit neuen Rädern anrücken. Darüber hinaus sollen von Herbst an weitere Entleihstellen entstehen, um „den Binnenverkehr in den Stadtbezirken anzukurbeln“, so Maier-Geißer, etwa „vom Bezirksrathaus zur S-Bahn“. Eine Handvoll Stationen soll in Zusammenarbeit mit der Uni Stuttgart an den Standorten in Vaihingen und in der Innenstadt entstehen. Auch aus den Stadtbezirken kämen immer wieder Anfragen nach weiteren Regiorad-Standorten. Bis zum nächsten Frühjahr soll sich deren Zahl um 25 auf dann 100 erhöhen. Der Gemeinderat hat schon zugestimmt; die Bahn kündigt an, noch im September mögliche Standorte zu besichtigen.

Vorerst werden die Transporter trotzdem weiter Regioräder durch die Stadt fahren. Besonders nach dem Wochenende ist viel zu tun, weil die Räder da anders genutzt werden als unter der Woche. Ganz werde man auf die Rückführungen nicht verzichten können, so Maier-Geißer, erst recht nicht in einer Stadt mit der Topografie von Stuttgart. Regiorad-Stationen, an denen nur ein oder zwei Räder stehen, sieht er aber nicht als Problem – „solange die anderen alle unterwegs sind“.