In einem Notfall zählt jede Sekunde. (Symbolbild) Foto: dpa/Lukas Barth

Bis in einem Notfall der Rettungswagen da ist, kann es Minuten dauern – für eine Reanimation ist das häufig zu spät. Ein neues Projekt soll nun die Überlebenschancen bei einem Herz-Kreislaufstillstand steigern.

Etwa acht bis fünfzehn Minuten vergehen in Deutschland in der Regel, bis ein Rettungswagen am Unfallort eintrifft. Besonders im Falle eines Herz-Kreislaufstillstandes ist das zu lang.

 

Seit Anfang September besteht jedoch neue Hoffnung auf schnellere Hilfe, denn ein Projekt des Freiburger Vereins „Region Lebensretter“, das dieser ursprünglich 2018 in Freiburg initiierte, macht den Landkreis Tübingen und weitere Orte in der Region Stuttgart zu einer „Region der Lebensretter“. So soll die Wartezeit in einem Notfall deutlich reduziert werden. 24 Land- oder Stadtkreise rund um Tübingen haben sich dem Projekt mittlerweile angeschlossen – darunter etwa Böblingen, Calw, Freudenstadt, Villingen-Schwenningen und Freiburg. Doch was steckt dahinter?

Seit dem 1. September können sich qualifizierte Personen mit Reanimationsausbildung über die gleichnamige App „Region der Lebensretter 3.0“ als Ersthelferin oder Ersthelfer registrieren. Wird ein Notruf über die 112 abgesetzt, alarmiert die Feuerwehrleitstelle einen Rettungswagen und ein Notarzteinsatzfahrzeug. „Gleichzeitig werden die vier nächstgelegenen registrierten Ersthelferinnen und Ersthelfer über ihr Smartphone und eine spezielle App lokalisiert“, heißt es seitens des Uniklinikums Tübingen.

App ortet Ersthelfer am Notfallort

Die Ersthelferinnen und Ersthelfer wiederum bestätigen ihren Einsatz ebenfalls über die App, die sie dann auch zum Notfallort navigiert. „In der App integriert ist eine Karte, die die Standorte von zugänglichen Defibrillatoren in der Nähe anzeigt.“

Die App zeigt an, wo sich Defibrillatoren befinden. (Symbolbild) Foto: Region der Lebensretter

Laut Angaben des Uniklinikums teilt die App Helferinnen und Helfern auch eine Rolle zu, die sie am Notfallort übernehmen sollen: So reanimieren etwa zwei Personen, eine Person holt einen Defibrillator und die vierte weißt den Rettungswagen ein.

Pilotprojekt aus Freiburg

Die Aktion des gleichnamigen Vereins „Region der Lebensretter“ startete im Jahr 2017 als spendenfinanziertes Pilotprojekt bereits in Freiburg im Breisgau. Mittlerweile nehmen fast 9000 Personen in Baden-Württemberg und 15.000 Personen deutschlandweit teil. Seit 2018 hätten sich fast 2000 Helferinnen und Helfer in der App registriert. Die Lebensretter im Kreis Tübingen haben sich diesem Pilotprojekt angeschlossen.

Die Regionenkoordinatoren in Tübingen: Rettungsdienstleiter DRK Martin Gneiting und Leiter Notfallmedizin am Uniklinikum, Robert Wunderlich.

Und wie läuft das Projekt im Kreis Tübingen seit dem Start Anfang September an? „Wir haben Anfang Juli mit der Registrierung der Lebensretter begonnen und haben mittlerweile 1000 Lebensretterinnen und Lebensretter im Landkreis Tübingen, berufsgruppenübergreifend aus dem Rettungsdienst, aus den Kliniken, von Feuerwehr, Polizei und Medizinstudierenden“, sagt Dr. Robert Wunderlich, Notfallmediziner und einer der Leiter des Projekts am Uniklinikum Tübingen.

Lebensretter nach 70 Sekunden an der Einsatzstelle

Wie erste Erfahrungen seit Anfang September zeigen, träfen Lebensretter, die zusätzlich zum Rettungsdienst alarmiert werden, vor diesem ein und könnten früher mit lebensrettenden Maßnahmen beginnen, so Wunderlich. „Der zügigste Retter war bereits 70 Sekunden nach Notruf an der Einsatzstelle“, erzählt der Notfallmediziner.

Wie sich dies langfristig auf die Überlebensraten der Patienten auswirkt, wertet das Projekt-Team um Robert Wunderlich aktuell zusammen mit weiteren Regionen in der sogenannten „HEROES Studie“ aus. „Darin werden bis August 2025 Reanimationen vor- und nach Einführung des Systems miteinander verglichen“, so Wunderlich.

Finanziert wird das Projekt im Kreis Tübingen über Spenden der Stadt und des Landkreises Tübingen, des Rotary Clubs Reutlingen-Tübingen Nord sowie der Diözese Rottenburg-Stuttgart.

Wunderlich: Zu wenig Defibrillatoren im öffentlichen Raum

Für die Zukunft wünschen sich die Projektleiter zusätzliche Unterstützung und einen nachhaltigen Ausbau der Infrastruktur. „Leider wird das System nicht durch die Krankenkassen finanziert, die sich aktuell nicht dafür zuständig fühlen“, sagt Notfallmediziner Wunderlich. „Dies ist bei einer Gesamtzahl von ca. 50.000 Herz-Kreislaufstillständen pro Jahr in Deutschland und bis zu 250 im Landkreis Tübingen unglaublich. Es stellt uns vor finanzielle Herausforderungen.“

Im Ernstfall bereit sein -Lebensretter üben die Reanimation. Foto: DRK Tübingen

Mit Blick auf die Zukunft wünscht sich der Mediziner weitere Unterstützung – nicht mehr nur in Form von Spenden. „Davon müssen wir wegkommen und die Systeme standardmäßig über die Kostenträger finanzieren, nur so gelingt das nachhaltig“, so Wunderlich. „Weiterhin stehen wir vor der Herausforderung, dass es viel zu wenige öffentlich zugängliche Defibrillatoren (AEDs) gibt, die 24/7 erreichbar sind. Auch das muss sich dringend verändern, um eine flächendeckende Versorgung gewährleisten zu können.“

Voraussetzung für eine Registrierung als Ersthelfer

Die Mindestqualifikation für eine Teilnahme am System ist die 48 Unterrichtsstunden umfassende Ausbildung zum/zur Sanitätshelfer/-in oder zum/zur Feuerwehrsanitäter/in. Qualifiziert sind zum Beispiel Pflegefachkräfte, Ärztinnen und Ärzte, Rettungsdienstmitarbeitende, Medizinstudierende oder Notfallmedizinerinnen und Notfallmediziner.

Region der Lebensretter www.regionderlebensretter.de