Morgens haben sich Merkel und Seehofer kurz getroffen, dann gehen sie getrennte Wege. Foto: dpa

Der Innenminister bleibt dem Integrationsgipfel der Kanzlerin fern. Er trifft lieber Österreichs Kanzler Sebastian Kurz. Die Vorsitzenden von CDU und CSU müssen nun klären, ob sie auch künftig noch zusammen regieren können.

Berlin - Es sind an diesem Tag weniger die Aussagen, denn die Bilder, die sich zum Eindruck einer ernsthaften Regierungskrise verdichten. Am Mittwochmorgen im Bundeskabinett reden Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Innenminister Horst Seehofer (CSU) noch kurz miteinander – dann gehen die beiden Unionsparteichef demonstrativ getrennte Wege.

Auf dem Fußballplatz von Rot-Weiß Viktoria 08 im Berliner Bezirk Wedding warten viele junge Mädchen mit Migrationshintergrud auf Merkel. Die Mädchen kommen zwei Mal die Woche zum Kicken, Selbstvertrauen tanken und Hilfe in allen Lebenslagen erhalten. „50 Prozent des Trainings sind Sozialarbeit“, sagt Holger Kulick aus dem Trainerteam: „Vor dem Integrationsgipfel wollen wir der Kanzlerin zeigen, wie der Integrationsalltag aussieht.“ Auch Cacau, einst VfB-Torjäger und jetzt Fußballdeutschlands Integrationsbeauftragter, steht auf dem Platz. „Beim Fußball gelten für alle dieselben Regeln, jeder wird gebraucht“, sagt er: „Wenn wir dieses Prinzip auch in unserer Gesellschaft leben könnten, wäre viel gewonnen.“

Merkel will neue Konzepte zur Integration

Aus diesem Grund geben Merkel und ihre Integrationsbeauftragte Annette Widmann-Mauz später im Kanzleramt den Startschuss für einen Nationalen Aktionsplan Integration. Das, was schon läuft, soll besser, gebündelt und stärker aufeinander abgestimmt werden. Wo es hakt, sollen neue Konzepte her. „Integration muss früher ansetzen durch Wertevermittlung von Anfang an“, sagt die Baden-Württembergerin Widmann-Mauz: „Wir müssen fördern, aber auch fordern, dass alle, die hier leben, ihre Potenziale voll einbringen.“

Bundesinnenminister Seehofer, in dessen Zuständigkeitsbereich die Integration fällt, ist nicht mit im Kanzleramt dabei. Er hat als erster Innenminister überhaupt abgesagt, angeblich nicht wegen des asylpolitischen Streits mit Merkel, sondern wegen eines Zeitungsbeitrags der Gipfelteilnehmerin Ferda Ataman, die am Mittwoch zusammen mit Merkel und Widmann-Mauz bei der Pressekonferenz auftritt. Sie ist Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, versteht sich als Vertreterin derjenigen Menschen mit Migrationshintergrund, die schon lange in Deutschland leben und sich von den jüngsten Debatten ausgegrenzt fühlen: „Das ist auch unsere Heimat“, sagt sie am Mittwoch. In ihrem Artikel hatte sie dem Heimatminister vorgeworfen, dass es ihm „um Blut und Boden geht“. Er, Seehofer, könne nicht teilnehmen, wenn er mit dem Heimatbegriff der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht werde, begründet der CSU-Vorsitzende nun seine Absage.

Seehofer geht zu einem ungewöhnlichen Treffen

Er tut das in Berlin, neben Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz stehend. Auch dies ist protokollarisch unüblich, dass sich ein Minister einzeln mit einem Regierungschef eines anderen Landes trifft, der noch dazu seinen bayerischen Gesprächspartner als „starken Partner“ in der Migrationsfrage bezeichnet – ein Begriff, der so am Vorabend nach dem Treffen mit Kanzlerin Merkel nicht gefallen ist.

Die Bilder des Tages passen insofern zu einer politischen Gemengelage, die sich innerhalb weniger Tage zu einer handfesten Regierungskrise ausgewachsen haben. Als Merkel vom G7-Gipfel in Kanada zurückkommt – als Lehre aus dem Desaster mit Trump eine Stärkung Europas im Sinn – wird sie dem Vernehmen nach kalt von Seehofers Masterplan-Entwurf erwischt. Der beinhaltet als einen von insgesamt 63 Punkten die Zurückweisung von Flüchtlingen an der Grenze, die schon in einem anderen EU-Land registriert beziehungsweise dort einen Asylantarg gestellt haben oder schon einmal zurücküberstellt wurden und trotzdem wieder an der Grenze auftauchen. Auch Merkel weiß, dass das genau der geltenden europäischen Dublin-Verordnungen entspricht, wonach das Ersteinreiseland für das Asylverfahren zuständig ist. Sie weiß aber auch, dass der Kollaps dieses Systems seit 2015 der Kern der Flüchtlingskrise ist, europäisch gelöst werden muss – und Seehofer mit dem vorgeschlagenen nationalen Alleingang vor dem EU-Gipfel Ende Juni ihrer Politik diametral widerspricht.

Fundamentale politische Atacke

Die politische Attacke ist so fundamental, weil zumindest ein Lösungsversuch auf EU-Ebene kurz bevorsteht. Im Mai 2016 hat die EU-Kommission einen Vorschlag für eine Dublin-Reform mit Verteilungsverfahren und finanziellen Ausgleichszahlungen vorgelegt. Darüber wurde auf Ministerebene lange erfolglos verhandelt, weshalb die Staats- und Regierungschefs im Dezember 2017 versprachen, bis Juni 2018 ein neues EU-Asylsystem aus der Taufe zu heben. Das Innenministerium, dessen Staatssekretär Stephan Mayer Anfang des Monats beim letzten EU-Vorbereitungstreffen in Luxemburg noch erhebliche „Defizite“ sah, setzt deshalb keine Hoffnung mehr auf Merkels europäischen Ansatz. Die Kanzlerin dagegen will wenigstens noch den Versuch zu Ende bringen dürfen. Dass Seehofer ihr bisher sogar das nicht zugestehen will, ist der Kern des Konflikts.

Am Mittwochabend finden Merkel und Seehofer wieder zusammen und treffen sich immerhin zum Gespräch, um ihren Streit beizulegen. Die einfachste Lösung wäre, der Kanzlerin bis zum EU-Gipfel Zeit für eine europäische Lösung zu geben. Sollte Seehofer dazu nicht bereit sein, dürfte klar sein, dass es längst nicht mehr um die Sache selbst, sondern um Merkels Macht.