Liz Truss ist überzeugt, noch immer „Herrin der Lage“ zu sein. Foto: AFP/OLI SCARFF

Nach der spektakulären Bruchlandung der Premierministerin lenkt nun ihr neuer Finanzminister die Geschicke des Landes, und er kassiert so ziemlich alles, was sie auf den Weg gebracht hat.

Nach Kollaps ihrer Finanz- und Steuerpläne am Montag dieser Woche findet sich Tory-Premierministerin Liz Truss in der eigenen Partei in einer prekären Lage. Bei den Konservativen wächst der Ruf nach ihrer Ablösung als Partei- und Regierungschefin. Mehrere ihrer Abgeordneten haben bereits offen ihren Rücktritt verlangt. Sie selbst ließ erklären, sie habe nicht die Absicht zurückzutreten. Sie sei noch immer „Herrin der Lage“ und übe in Downing Street „die Kontrolle“ aus. Eine ihrer Parlamentarierinnen, Angela Richardson, fand aber, es sei schlicht „nicht mehr tragbar“, dass Truss „noch länger auf ihrem Posten bleibt“.

Mehrere Fraktionskollegen Richardsons haben sich ähnlich geäußert. Beim Koordinator der Tory-Fraktion, Sir Graham Brady, sollen 100 Briefe mit der Forderung nach einer Ablösung von Truss eingetroffen sein. Brady traf sich am Montag mit Truss wegen der Lage. Auch konservative Kommentatoren sehen kaum noch eine Chance für die Premierministerin. Die Frage, über wie viel Autorität Truss noch verfügt, wurde am Montag überall in Westminster gestellt, nachdem ihr neuer Finanzminister Jeremy Hunt am selben Tag nahezu ihr gesamtes Regierungsprogramm vom Tisch gefegt hatte.

Kurz vor dem Kollaps

Ohne Rücksicht auf die Staatsverschuldung hatte Truss ja ihren Parteimitgliedern sofortige Steuersenkungen versprochen und dies mit ihrem ehemaligen Finanzminister Kwasi Kwarteng in Form eines „Mini-Budgets“ umzusetzen versucht. Die Idee war, dass radikale Steuersenkungen und Vergünstigungen für die Reichen für neues Wirtschaftswachstum sorgen würden. „Wachstum, Wachstum, Wachstum“ lautete der Slogan von Truss.

Das Maßnahmenpaket, das ein enormes Loch in die Staatsfinanzen gerissen hätte, löste unmittelbar Marktturbulenzen aus, ließ das Pfund absacken, trieb Hypothekenzinsen und Kosten für Staatsanleihen in die Höhe und zwang die Bank von England zu einem Noteingriff, um den Kollaps von Rentenfonds zu vermeiden. In der Folge mussten Truss und Kwarteng, um Schlimmeres zu verhindern, auf geplante Steuerleichterungen für Topverdiener im Lande verzichten. Vorige Woche dann gab Truss auch ihren zentralen Plan einer Herabsetzung der Körperschaftssteuer auf.

Zudem feuerte sie ihren Weggefährten Kwarteng, um sich selbst zu retten. Den früheren Außenminister Jeremy Hunt ernannte sie zum neuen Finanzminister, um die Wogen zu glätten. Der sagte gleich am Wochenende, dass Truss „Fehler“ gemacht habe, die er nun korrigiere. Am Montag strich er fast das ganze Maßnahmenpaket von Truss. Nur zwei Reformen, die schon eingeleitet waren, sollen in Kraft bleiben, darunter eine Änderung der Grunderwerbsteuer, die Haus- und Wohnungskäufern zugutekommt.

Solidität ist jetzt Trumpf

Dagegen sollen die Einkommensteuer und andere Steuern nun nicht reduziert werden. Die Energiepreis-Deckelung soll nicht mehr zwei Jahre, sondern nur sechs Monate gelten. Zudem, so Hunt, müssten generell öffentliche Ausgaben beschnitten werden – was Truss ausgeschlossen hatte. Weitere Steuererhöhungen kämen, kündigte Hunt an. Solide Verhältnisse hätten Priorität, erklärte der neue Finanzminister am Montag mehrfach. Mit dieser Kehrtwende begrub er faktisch die politische Vision und alle Wahlversprechen der erst im September ins Amt gekommenen Premierministerin.

Mit ihrem Steuersenkungsprogramm, zugunsten der Reichsten und zulasten der Armen, hatte Liz Truss sich im Kampf um die Nachfolge Boris Johnsons in Szene gesetzt und die Parteibasis für sich eingenommen. Doch nun liege die „wirkliche Macht“ bei Finanzminister Hunt, meinten am Montag immer mehr Tory-Politiker. Truss sei spektakulär gescheitert, urteilte man in den Reihen der Labour Party. Der Chef der Liberaldemokraten, Sir Ed Davey, verlangte sofortige Neuwahlen. Die Tories hätten „schon jetzt die britische Wirtschaft demoliert“. Die Geldmärkte reagierten positiv, wiewohl noch abwartend, auf Hunts Kehrtwende.