Theresa May will die Reihen für den Brexit-Austritt einen – nun wird sie von zwei Minister-Rücktritten überrascht. Foto: POOL

Die Rücktritte von David Davis und Boris Johnson schwächen Premierministerin May.

London - Lang hielt der Friede nicht – genau genommen fünfzig Stunden. Am Freitagabend hatte Theresa May zum Ende ihrer Klausursitzung noch geglaubt, sie habe ihr tief gespaltenes Kabinett erfolgreich auf eine gemeinsame, überraschend weiche Brexit-Position eingeschworen. Selbst Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis, die mit Kritik an Mays Vorstellungen nicht hinterm Berg gehalten hatten, versagten sich übers Wochenende jeglichen Kommentar.

Ein sehr ungewöhnliches Rücktrittschreiben

Doch der Burgfriede hielt nicht. Kurz vor Mitternacht am Sonntag zerstörte als erster Brexit-Minister Davis die bangen Hoffnungen in Downing Street. In einem ungewöhnlich direkten Rücktrittschreiben informierte Davis die Regierungschefin darüber, dass sie nicht länger den richtigen Kurs verfolge. May habe Großbritannien in eine „schwache Verhandlungsposition“ gegenüber der EU manövriert. Der Plan werde den Briten „mit Sicherheit nicht echte Kontrolle über unsere Gesetze verschaffen“, wie es May einmal versprochen habe, erklärte Davis. Er könne nicht weiter an der Spitze des Brexit-Ministeriums stehen, sagte Davis.

Mitarbeitern des Ministers war seit langem klar gewesen, dass Davis sich übel behandelt und zur Seite geschoben fühlte. Vor allem seit May sich über ihren persönlichen Ratgeber Oliver Robbins mit Brüssel kurz geschlossen hatte, und sie ihre eigene Brexit-Position zu entwickeln begann. Von Mays Plan, der erstmals eine „weiche Landung“ beim Brexit anstrebt, also weitere enge Anlehnung an die EU, hatte Davis vorige Woche sogar erst nach Angela Merkel erfahren. Bedenken, die er äußerte, waren weggewischt worden – wie so oft zuvor.

Die Lücke ist schnell gefüllt

In aller Eile suchte die Premierministerin die entstandene Lücke am Montagmorgen zu füllen. Auf Davis´ Platz rückte mit dem ehemaligen Anwalt und Diplomaten Dominic Raab ein anderer Brexiteer, der offenbar weniger Probleme mit Mays Brexit-Neuorientierung hat. Manche Tories, bestärkt durch den Rücktritt von Davis, fanden harsche Worte gegenüber May. „Die Regierungspolitik stinkt zum Himmel“, sagte Marcus Fysh. May wolle offenbar „ihre Wahlversprechen brechen“. Die Tory-Abgeordnete Andrea Jenkyns brummte grimmig: „Höchste Zeit, dass wir einen waschechten Brexiteer-Premier bekommen – jemanden, der wirklich an Brexit glaubt.“ Die Möglichkeit, dass zornige Tory-Parlamentarier der Premierminister das Misstrauen aussprechen könnten, wuchs so bedrohlich in Westminster im Laufe des Montag. Mehrere Dutzend Unterhaus-Abgeordnete haben bereits entsprechende Briefe an den dafür zuständigen Fraktions-Ausschuss geschickt. 48 Briefe werden gebraucht. Liegen die vor, muss sich May einer Abstimmung durch all ihre 316 Abgeordneten stellen.

Boris Johnson sort für Verwirrung

In Downing Street, dem Sitz der Premierministerin, rechnet man zwar damit, dass sie eine solche Kraftprobe gewinnen würde – schon weil die meisten ihrer Parteigänger Neuwahlen zum Vorsitz mitten in der Schlussphase der Brexit-Verhandlungen für eine Katastrophe halten würden. Aber die Ungewissheit, die der wachsende Groll verursacht hat, ist kein gutes Omen für die Premierministerin.

Für sehr viel Wirbel sorgte in dieser Situation such Außenminister Boris Johnson. Johnson hatte nach der Klausursitzung am Freitag Mays neue Brexit-Position mit reichlich unflätigen Worten bedacht. Danach aber zögerte der Herr des Foreign Office. Kürzlich hatte er noch erklärt, im Kabinett könne er eine nützlichere Rolle spielen als außerhalb der Regierung. Kritiker auf der Rechten wie der Linken spotteten, Johnson habe überhaupt keine Prinzipien, er klebe an seinem Ministerstuhl. Unschlüssig darüber, ob er gehen oder bleiben sollte, versteckte sich der Außenminister so erst einmal im Innern seines Ministeriums. Auf einer Sondersitzung des Kabinetts glänzte er durch Abwesenheit. Und seine Teilnahme an einem Mittagessen zur Eröffnung des Londoner Westbalkan-Gipfels sagte er ab. 15 Stunden nach Davis gab dann auch Johnson bekannt, dass er von seinem Amt zurücktrete. Es war ein Paukenschlag, der die Konservative Partei in der Hitze des Nachmittags vollends erschütterte. „Das ist die reinste Kernschmelze für Theresa Mays Regierung“, höhnte der Vize-Vorsitzende der Labour Party, Tom Watson. So musste es auch Theresa May vorkommen. Sie sah sich gezwungen, noch am selben Nachmittag im Unterhaus eine Erklärung zur Brexit-Klausur vom Freitag abzugeben. Mit dieser Erklärung hatte sie ihr Kabinett um sich sammeln und ihre Hinterbänkler beschwichtigen wollen. Stattdessen schien sie am Rande eines Abgrunds zu stehen.