Grünen-Chef Cem Özdemir bringt mit seinem Kompromissvorstoß Union und FDP in Zugzwang. Foto: dpa

Die grüne Kompromissbereitschaft in der Verkehrs- und Klimapolitik hat am Dienstag Bewegung in die Jamaika-Verhandlungen gebracht. Nur einer sieht das nicht so.

Berlin - Ein Kompromissvorstoß von Cem Özdemir hat am Dienstag mit dazu beigetragen, Bewegung in die bisher völlig festgefahrenen Sondierungsgespräche von Union, FDP und Grünen zu bringen. Der Grünen-Chef war zuvor in einem Interview mit dieser Zeitung von der Forderung abgerückt, dass ein Jamaikakoalitionsvertrag ein Enddatum für Diesel und Benziner festschreiben müsse: „Mir ist klar, dass wir alleine nicht das Enddatum 2030 für die Zulassung von fossilen Verbrennungsmotoren durchsetzen werden können.“ Am Montagabend hatte er zudem in einer Kurznachricht auf Twitter nur noch von einem „schrittweisen Kohleausstieg“ gesprochen und damit eine zweite Maximalposition der Grünen geräumt.

FDP-Chef Christian Lindner reagierte positiv auf die Signale, wobei er die flexiblere Haltung bei der Kohle noch höher wertete als den Verzicht auf ein Ausstiegsdatum für Verbrennungsmotoren. Mit einem indirekten Hinweis auf Baden-Württembergs Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, dessen extrem kritische Worte zur 2030-Marke beim jüngsten Parteitag heimlich gefilmt worden waren, meinte Lindner, bei diesem Thema seien sich die Grünen ohnehin nicht einig gewesen. Kretschmann selbst lobte in Stuttgart denn auch die Initiative Özdemirs: „Jeder muss auch mal nachgeben, sonst kommen wir in den Verhandlungen nicht voran.“

Der Vorsitzende der Liberalen kündigte gleichwohl an, seinerseits nicht mehr auf einer großen Steuerreform mit einem Entlastungsvolumen von 30 bis 40 Milliarden Euro zu bestehen, sondern Abstriche bei der Größenordnung in Kauf zu nehmen. Sein Vize Wolfgang Kubicki wiederum signalisierte Kompromissbereitschaft der Liberalen auf dem Feld der Europapolitik, wo die FDP bisher die härteste Position eingenommen hatte.

Dobrindt reagiert harsch auf das Angebot der Grünen

Die CSU gab dagegen kein einheitliches Bild ab in ihrer Reaktion auf Özdemirs Ansage. Lob kam vom bayerischen Innenminister Joachim Herrmann: „Das ist vernünftig und erleichtert Verständigungen.“ Dagegen äußerte sich der frühere Bundesverkehrsminister und neu gewählte CSU-Landesgruppenchef im Bundestag, Alexander Dobrindt, ungewöhnlich hart auf das grüne Angebot, nicht länger auf dem Ausstiegsjahr 2030 zu beharren: „Das Abräumen von Schwachsinnsterminen ist noch kein Kompromiss.“ In CSU-Parteikreisen war von einem „relativ wertlosen Geschenk“ die Rede: „Dass die Grünen ihre Position zum Verbrennermotor würden räumen müssen, war schon vorher klar, weil dies für uns ein unverhandelbarer Punkt gewesen ist.“ Die Umweltpartei dürfe nun aber nicht denken, dass es damit genug sei: „Fahrverbote und die Blaue Plakette sind damit noch nicht vom Tisch.“

Kritik aus einer ganz anderen Richtung gab es am Dienstag von der grünen Jugendorganisation. „CDU, CSU und FDP blockieren bisher auf ganzer Linie, grüne Erfolge sind kaum erkennbar“, monierte deren Bundessprecherin. Aus diesem Grund hätten die Grünen nicht wie Özdemir in Vorleistung gehen und Kernforderungen wie das Ende des Verbrennungsmotors frühzeitig aufgeben sollen. „Normalerweise kippen die Grünen erst in den Koalitionsverhandlungen um; neu ist, dass sie ihre Überzeugungen schon vorher aufgeben“, ätzte Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Korte: „Am Anfang der von Özdemir angekündigten Woche der Wahrheit sind wir gespannt, was die Grünen bei den Sondierungen noch alles über Bord werfen, um im Boot bleiben zu dürfen.“

Bei den eigentlichen Sondierungsgesprächen wurde am Dienstag eine Prioritätenliste erstellt mit den Themen, die für die Parteien besonders wichtig sind – und entsprechende Aufträge an die zwölf thematischen Arbeitsgruppen verteilt. Diese kleinen Viererrunden sollen bis Donnerstagabend Lösungsmöglichkeiten für die entscheidenden Streitthemen aufzeigen, die dann wiederum in einer großen Runde am Freitag diskutiert werden sollen. Danach, so FDP-Generalsekretärin Nicola Beer, „gibt es sicher noch den einen oder anderen Punkt zu diskutieren auf der höchsten politischen Ebene“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will die Sondierungsgespräche mit den anderen Parteichefs am 16. November abschließen.