Nur geschäftsführend im Amt: Der belgische König Philip sucht händeringend nach einer tragfähigen belgischen Regierung. Die neue Ministerpräsidentin Sophie Wilmes ist nur eine Übergangskandidatin. Foto: AFP/NICOLAS MAETERLINCK

Die politischen Perspektiven für Belgien sind düster. Die Regierungsbildung scheiterte, weil die Interessen der beiden Landesteile immer weiter auseinander driften. Ist die Einheit des Landes nun ernsthaft gefährdet?

Brüssel - Belgien ist blockiert. Knapp ein halbes Jahr nach den Wahlen sind die Versuche zur Regierungsbildung gescheitert. Die Lage ist verzwickt, weil im flämischsprachigen Norden des Landes die Nationalisten von der Neuen Flämischen Allianz (NVA) die stärkste Kraft sind und im französischsprachigen Süden die Sozialisten. König Philip, der als Staatsoberhaupt die Regierungsbildung moderieren muss, hatte eine Koalition zwischen diesen beiden politischen Kräften favorisiert. Doch am Montag zeichnete sich ab, dass die programmatischen Unterschiede zwischen Nationalisten und Sozialisten unüberbrückbar sind. Das Tischtuch zwischen den Chefs der beiden Parteien, Paul Magnette (SP) und Bart De Wever (NVA), gilt als zerschnitten.

Sozialisten im Süden, Nationalisten im Norden

Damit steht das Land Belgien vor einer ungewissen Zukunft. Immer mehr zeichnet sich ab, dass die Kluft zwischen den beiden Landesteilen, dem französischsprachigen Süden mit großen wirtschaftlichen Problemen und einem Drittel der Bevölkerung und dem flämischsprachigen Norden mit starkem Wirtschaftswachstum und geringer Arbeitslosigkeit, bedrohlich groß geworden ist. Dies wurde auch in den Sondierungsgesprächen deutlich: Die Sozialisten machten soziale Verbesserungen wie etwa ein niedrigeres Renteneintrittsalter, höhere Löhne und eine bessere Absicherung für Arbeitslose zur Vorbedingung für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen. Die flämische NVA will genau das Gegenteil: Wirtschaftsfreundliche Reformen und geringere Sozialtransfers.

Um den Zusammenhalt zwischen den beiden Landesteilen ist es schon jetzt schlecht bestellt. In früheren Staatsreformen waren den beiden Landesteilen bereits Kompetenzen wie etwa die Festsetzung von einigen Steuersätzen gegeben worden. Die flämischen Nationalisten dringen aber darauf, dass Flandern noch mehr Dinge selbst entscheiden kann und bringen dafür die Idee einer Föderation für Belgien, das ehemals zentralistisch organisiert war, in die Debatte. Die Sozialisten sind aber nicht bereit, der NVA für die Regierungsbildung im Hinblick auf weitere Staatsreformen entgegen zu kommen.

Löst sich der Staat auf?

Wie verhärtet die Fronten sind, das macht die Aussage des hochrangigen NVA-Politikers Ben Weyts nach dem Scheitern der Gespräche deutlich: Seine Partei sei auch weiter zu Gesprächen bereit, solange sichergestellt sei, dass die Flamen die Politik bekämen, die sie gewählt hätten: eine Politik von Mitte-Rechts im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft. Man sei offen, dieses Ziel in einer Regierung auf föderaler Ebene anzupeilen oder auch nach einer Staatsreform, „die dafür sorgt, dass wir darüber entscheiden können, was mit unserem Geld passiert“. Das Wort „wir“ steht in diesem Fall nicht für Belgier, sondern für Flamen.

Wie es jetzt weitergeht ist offen. Der König könnte versuchen, eine „Regenbogen“-Koalition zwischen Sozialisten, Grünen und Liberalen zu schmieden. Rechnerisch wäre dies möglich, obgleich mit hohem Risiko verbunden: Da die flämischen Nationalisten außen vor wären, würde die Koalition politisch in Flandern nur geringen Rückhalt haben. Denkbar sind auch Neuwahlen. Dabei steht viel auf dem Spiel. Es wäre auch eine Abstimmung darüber, ob der belgische Staat noch eine Zukunft hat oder ob das Land endgültig in zwei Teile zerfällt.