Das Schlachthaus in Anderlecht bei Brüssel ist der einzige Ort in Belgien, wo Tiere geschächtet werden. Doch über dieser religiöse Praxis des Schlachtens tobt seit Jahren ein Kampf. Foto: Krohn/Krohn

Die religiöse Praxis des Schlachtens ist fast im ganzen Land verboten. Nun wird auch in Brüssel darüber diskutiert, doch Juden und Muslime wehren sich.

Brüssel - Im Schlachthof von Anderlecht sind die Arbeiter die Anfeindungen leid. „Wir sind keine Tierquäler“, sagt ein junger Mann vor dem Tor des historischen Gebäudes, dessen Eingang von zwei mächtigen Stieren aus Bronze flankiert wird. Immer wieder würden sie von Tierschützern an den Pranger gestellt. Der Grund: das Abbatoir d’Anderlecht ist der einzige Betrieb in ganz Belgien, wo Tiere nach jüdischem und muslimischem Ritual ohne Betäubung mit einem Schnitt durch die Kehle getötet werden.

Ein Verbot zielt nicht auf Religionsgemeinschaften

Der Streit tobt seit vielen Jahren und hat sich noch einmal verstärkt, nachdem in Flandern und Wallonien diese Praktik Ende September endgültig verboten wurde. Auf Initiative von Bernard Clerfayt, Minister für Tierschutz der Brüsseler Regionalregierung, beschäftigt sich nun auch das Parlament der Hauptstadt mit der Angelegenheit.

Der Politiker weiß, dass er ein äußerst sensibles Thema auf die Tagesordnung gebracht hat. Aus diesem Grund unterstreicht Bernard Clerfayt, dass „die Maßnahme nicht auf eine bestimmte Religionsgemeinschaft abzielt, sondern ausschließlich dem Tierschutz dient“. Vor allem die jüdische Gemeinschaft reagierte empört, als das Schächten von Tieren in den anderen Landesteilen Belgiens untersagt wurde. Das sei eine klare Botschaft an die Juden Belgiens, kommentierte Moshe Kantor, Präsident des Europäisch-Jüdischen Kongresses, in Brüssel das Urteil, ihre „Rechte sind im Vergleich zu denen von Tieren zweitrangig“. Die Exekutive der Muslime Belgiens argumentierte etwas zurückhaltender, dass die „religiösen Schlachttechniken voll und ganz mit den Anforderungen des Tierschutzes vereinbar“ seien.

„Das Tier verliert nach dem Durchschneiden der Kehle innerhalb von 10 bis 15 Sekunden das Bewusstsein“, sagte Joris Tiebout, Präsident des Schlachthofes von Anderlecht. Die belgische Tierschutzorganisation Gaia spricht stattdessen von bis zu zwölf Minuten langem Tierleid.

Das Schächten ist gängige Praxis in Brüssel

Tatsache ist, dass das Schlachten ohne Betäubung im Abbatoir d’Anderlecht gängige Praxis ist. So wurden dort im Jahr 2020 knapp 15 000 Rinder geschlachtet, davon 65 Prozent ohne Betäubung. Von fast 20 000 Schafen und Lämmern wurden 80 Prozent auf diese Weise getötet. Dabei werden alle Arbeitsschritte von Videokameras aufgezeichnet, um die Misshandlung der Tiere beim Schlachtvorgang zu verhindern.

Der Verantwortlichen des Schlachthofes weisen auch auf den wirtschaftlichen Faktor hin. Paul Thielmans, Sprecher von Abattoirs SA, erklärt, dass bis zu 300 direkte und indirekte Arbeitsplätze bedroht seien, würde das rituelle Schlachten verboten. In seinen Augen wäre es auch „heuchlerisch“. Die Großhandelskunden würden dann auf Schlachthöfe im Ausland ausweichen, etwa in Nordfrankreich. Sein Vorschlag ist, in der EU eine gemeinsame Position zum Schlachten nach religiösen Vorschriften und zum Import von zertifiziertem Fleisch zu entwickeln. Das hieße aber, dass es noch sehr lange dauern würde, die Balance zwischen Religionsfreiheit, wirtschaftlichen Interessen und Tierschutz zu finden.