Ralf Groher feiert mit der Bar am Wochenende. Foto: privat

Der Bar-Philosoph Ralf Groher feiert den 20. Geburtstag seiner Bar gewohnt unprätentiös.

S-West - Unter Speakeasy versteht man eine Bar, die von außen nicht als solche zu erkennen ist. Der Gast muss klingeln oder klopfen, bevor er im Reich des Hochprozentigen Platz nehmen darf. Der englische Name rührt daher, dass man sich in diesen New Yorker Refugien des Rausches leise („easy“) unterhalten musste. Der Grund ist einleuchtend: Öffentlicher Alkoholkonsum war in den Zwanzigern verboten. Heute ist das längst passé, auch ist dieses Elysium im Westen jedem zugänglich; die unscheinbare Tür in einem noch unscheinbareren Wohnhaus in der Augustenstraße hat aber mehr von einem Speakeasy, als man das manch anderem Stuttgarter Bar-Konzept attestieren kann.

Eine Bar ist immer auch ein Zufluchtsort

Die Bar. Ein Name, der zunächst prätentiös klingen mag, weil er ja zu sagen scheint: Wir sind das Nonplusultra. Betritt man Ralf Grohers Kellerreich, stellt man fest: Von arrogantem Gebaren könnte dieser Ort nicht weiter entfernt sein. Vielmehr geht es seinem langhaarigen Besitzer um einen Mikrokosmos, der Stammgästen und Gelegenheitstrinkern seit 20 Jahren ein zweites Zuhause ist. Manchmal auch ein erstes. Seine Zutaten: Alte Jazz-Platten, gute Drinks, kompetente Beratung.

Ralf Groher ist 2001 unvergessen gestartet „mit null Euro Budget und großen Zielen“. Wo andere mit „Startending“, mit Tattoos, Schiebermützen, Hosenträgern und Vollbärten beeindrucken wollen, ist Groher eine Mischung aus Philosoph, Spirituellem, Herbergsvater und überhaupt Stuttgarts treuster Verfechter der alkoholischen Klassiker. In den letzten 16 Jahren hat er am Konzept nichts geändert. Und in den letzten fünf Jahren trotzdem drastische Veränderungen miterlebt. Stand er 2012 neben wenigen Läden wie der damals noch recht neuen Schwarz-Weiß-Bar allein auf weiter Spirituosenflur, hat sich die Bar-Dichte der Stadt seither ziemlich erhöht. „Grundsätzlich ist es super, dass eine mittelgroße Stadt ein ordentliches Angebot hat“, beginnt er mit bedächtigen Worten. Er steckt sich eine Zigarette an – Overstolz ohne Filter – und nippt an seinem Espresso. „Ich wünsche mir nur, die Läden würden etwas weniger London spielen.“

23 Gin Tonics? Davon hält Groher überhaupt nichts

Für Groher, der einige Zeit für die Gastronomie im BIX Jazzclub verantwortlich war, ist ein Schlagwort wie Barkultur eben nicht damit abgehakt, dem Gast 23 verschiedene Gin Tonics anzubieten. „Man muss sich an seine Gäste herantasten“, betont er. Dann wieder: Zigarette, Espresso, Schweigen. Groher ist Zen pur. „Wenn jemand zu uns kommt, der sonst ins Enchilada geht, starten wir klassisch: Whisky Sour, Manhattan, historische Drinks eben, die man probiert haben sollte.“

Groher ist das Trinken wichtig. Nicht um des Rausches Willen. Sondern wegen der entschleunigenden Zelebrierung einer eigenen Kultur. Das schätzen seine Gäste. Viele von ihnen halten ihm seit Jahren die Treue, trotz der zahlreichen Mitbewerber. „Vertrauen ist das Wichtigste.“ Groher nickt bedächtig und blickt in seiner leeren Bar umher. „Der Gast soll sich wohlfühlen. Im Grunde“, stellt er mit einem Lächeln fest, „müsste man bei der Stadt Subventionen beantragen, weil eine solche Bar ein so wichtiger sozialer Ort ist. Für mich hat mein Laden eine soziale Verantwortung.“

Dezente Musik, gute Gespräche, Beratung und Handys, die in der Tasche bleiben: Die Bar ist ein schummriges Gegenstück zu den grellen, lauten Läden, die in den letzten Jahren aus dem Boden schossen. Um besser oder schlechter soll es nicht gehen, dafür aber darum: „Meine Bar ist ein Schutzraum. Es gibt kaum ein Detail, das darauf hindeutet, wo wir uns befinden. Das ist entscheidend.“ Liebhaber des Whiskys, des Rums oder des Tequilas bekommen bei Grohers Auswahl feuchte Augen. Zum Geburtstag seines eigenen Mikrokosmos hat er der Bar eine neue Karte gegönnt. Die dürfte bei Gin-Tonic-Verfechtern für Stirnrunzeln sorgen: Erst auf der letzten Seite findet sich eine Handvoll Varianten des wohl unkaputtbaren Trend-Getränks. Groher seufzt: „Gin Tonic ist kein Getränk mehr, sondern ein Vehikel für Präsentation und Ego.“ Und er fügt hinzu: „ Sensorisch betrachtet gibt Gin nichts her, es ist ja wie Parfumherstellung: Ich kaufe billigen neutralen Sprit und aromatisiere ihn. Wie schön, wie tiefgründig und wie unergründlich dagegen Whisky ist. Das tut weh.“

Zum Jubiläum tritt Groher in der eigenen Bar auf

Wenn Groher am Sonntag, den 19. November, die Geburtstagsparty seines Babys feiert, wird er es sich nicht nehmen lassen, auch in seiner Funktion als Sänger im Ralf Groher Quintett tätig zu werden. Ansonsten wird es ein Abend wie jeder andere in der Augustenstraße: Verlässlichkeit, Stabilität und familiäre Atmosphäre zu besten Drinks. „Das ist nicht sexy“, sagt er süffisant, „und auch nicht das, was die Menschen als Sensation verstehen. Doch unsere Sensationen erschließen sich eben nicht auf den ersten Blick.“ Auch nicht auf den ersten Schluck.