Foto: Martin P. Bühler, Kunstmuseum Basel

Lucas Cranach der Ältere – mit einer exzellenten Ausstellung feiert Düsseldorf den Künstler, der Martin Luther ein Gesicht gab.

Düsseldorf - Eher unscheinbar hängen sie da im Museum Kunstpalast. Doch boten die beiden Bildchen einst sicher einigen Zündstoff. Das eine zeigt Martin Luther, Anfang vierzig, im schwarzen Gelehrtenrock. Dem frisch vermählten Priester tritt im zweiten Medaillon die um einiges jüngere Gattin zur Seite: die Ex-Nonne Katharina von Bora. Zusammen waren sie unschlagbar als Skandalpaar des Jahrhunderts – in aller Welt wegen seiner Sündhaftigkeit verschrien. Die beiden hörten nicht hin und gaben sich am 13. Juni 1525 das Jawort. Man darf vermuten, dass der Reformator zu diesem Anlass eine ganze Reihe solch praktisch zusammenklappbarer Hochzeitsbildnisse in Umlauf bringen ließ, allesamt gefertigt von Lucas Cranach dem Älteren und seiner Wittenberger Bildermanufaktur.

Dem Maler-Unternehmer und seinem unter Beteiligung vieler fleißiger Hände gefertigten Riesenwerk widmet sich jetzt eine Werkschau im Museum Kunstpalast. Die Ausstellung ist Düsseldorfs glänzender Beitrag zum laufenden Luther-Jahr. Bauen kann sie auf die Expertise und weltweiten Kontakte des im Museum beheimateten Cranach Digital Archive (cda), das seit acht Jahren Bilder, Quellen, kunsthistorische und kunsttechnologische Forschungsergebnisse rund um Leben und Werk des 1472 im fränkischen Kronach geborenen Künstlers sammelt und für jeden frei zugänglich ins Netz stellt. Ein einzigartiges Recherchetool – es erfasst und dokumentiert inzwischen 1600 Cranach-Werke weltweit.

Darunter befindet sich auch jenes kleine zur Vermählung gemalte Bildnispaar, das zur Schau aus Basel nach Düsseldorf gekommen ist. Es zeigt Luther, als er seine Thesen längst angeschlagen und auch schon die Bibel übersetzt hatte, einen weltberühmten Mann. Ob er es ohne Cranachs Hilfe so schnell so weit gebracht hätte? Das kann man bezweifeln, denn kaum ein anderer Künstler wäre wohl in der Lage gewesen, Luthers Kopf und seine Ideen so publikumswirksam ins Bild zu setzen und so effizient zu verbreiten. Cranachs Wirken als Medienmanager der Reformation – nicht das einzige spannende Kapitel in Leben, Werk und in der Ausstellung, die natürlich nicht erst mit Luthers Hochzeit einsetzt.

Im Wettstreit mit den Kollegen

Sie startet Anfang des 16. Jahrhunderts in Wien, dem damaligen kulturellen Zentrum des Reiches, wo Cranach – schon dreißigjährig – erstmals als Künstler fassbar wird. Von hier aus führt der Weg ins bis dahin vergleichsweise unbedeutende Wittenberg, das Friedrich III. sich gerade mit viel Ehrgeiz zur Residenz ausbaute. 1502 hatte der Kurfürst eine Universität ins 2000-Einwohner-Städtchen gepflanzt. Drei Jahre später rief er Cranach nach Kursachsen, der seine noch in Wien gepflegte expressive Ader als gut bezahlter Hofmaler schnell stilllegte. Neben dem Malen oder Drucken hatte er in Wittenberg diverse gestalterische Aufgaben zu erledigen. Mit seinen Gehilfen lieferte er Entwürfe für Glaser, Teppichknüpfer, Schlosser, Goldschmiede, Stempelschneider. Sie statteten Feste aus und brachten Farbe in die Kriegsausrüstung.

Erstaunlich, wie viel Energie dem Meister nebenbei für die malerischen Innovationen blieb. In Düsseldorf sieht man ihn im Wettstreit mit Kollegen. Allen voran Albrecht Dürer – dessen Version des Sündenfalls von 1507 er flugs eine eigene entgegensetzte. An die Stelle anatomischer Präzision und klassischer Formideale treten bei Cranach psychologische Feinheiten: Eva hat bereits zugebissen, Adam schaut irritiert zu ihr hinüber, während sie mit ihren merkwürdig übereinandergesetzten Füßen den Halt zu verlieren droht.

Die nackte Eva ist nur der Anfang. Ihr folgen etliche Akte, die mit weiblichen Reizen nicht geizen, egal ob als christliche Caritas oder als mythologische Grazie. Dabei lässt die schöne Einheitsfigur der Cranach-Frauen wenig Raum für anatomische Eigenheiten. Auch im Gesicht sehen sie sich mit ihren mandelförmigen Augen und dem spitzen Kinn oft zum Verwechseln ähnlich.

Beliebte Motive in Serie

Wohl mit Bedacht setzt der Malerstar auf einen einheitlichen Look, der für die wachsende Zahl an Mitarbeitern ohne große Mühe nachvollziehbar bleibt und offenbar auf allgemeine Wiedererkennbarkeit zielt. Spezialisten arbeiteten im Team, besonders beliebte Motive gingen in Serie. Unter den erhaltenen Gemälden sind allein vierzig der tugendhaften Lucretia gewidmet. Auch in der Ausstellung ist sie zugegen – nicht in tiefer Verzweiflung oder gar blutverschmiert tritt die Selbstmörderin hier auf. Nur zart berührt die Schöne mit dem Dolch ihre entblößte Brust. Das kam beim Publikum an.

Kein Wunder, dass auch Luther auf den Malerstar setzte. Sehr rasch wohl haben Theologe und Hofmaler die Potenziale einer Partnerschaft erkannt und tatkräftig zusammengefunden. 1518 schuf Cranach erste Titelholzschnitte zu Luthers Schriften, zwei Jahre später begann die Imagekampagne mit einem ersten Kupferstich-Porträt: Als Augustinermönch zeigt sich Luther schlicht und bescheiden, bildwürdig allein aufgrund seiner Gedanken. Cranach gab dem Mann hinter den Thesen ein Gesicht, das – durch die Zeit hindurch in diversen Bildnistypen ausformuliert – bis heute prägend wirkt.

Im Museum Kunstpalast führt der Weg vom Klosterbruder mit Tonsur über den vollbärtigen „Junker Jörg“ und den frisch rasierten Bräutigam bis zum fülligen Religionsstifter und Familienvater. Im Dienste der Reformation erfand der Künstler auch neue eigene Themen oder Inszenierungen. Etwa im Bild der Ehebrecherin: Christus fasst da die Sünderin sanft am Handgelenk und schützt sie vor der aufgebrachten Meute, die derber und dümmer kaum dreinschauen könnte. Etwas süßlich wirkt das heute, wenig mitreißend und allzu belehrend. Dabei malte Cranach ganz in Luthers Sinne mit didaktischer Zielrichtung.

Versierter Umgang mit Techniken und Gattungen

So erlebt man im Museum Kunstpalast einen Maler am Beginn der Neuzeit bereits voll im Bilde, wenn es um Verbreitungsmechanismen geht, um künstlerische Netzwerke, um Branding-Strategien und die Rationalisierung der Kunstproduktion, verstrickt im Ideentransfer und versiert im Umgang mit unterschiedlichen künstlerischen Techniken und Bildgattungen. Ein Manager, der in vielem enorm fortschrittlich daherkommt. Das hätte für die Ausstellung vollkommen genügt.

Eher überflüssig und wenig erkenntnisstiftend wirkt der Blick in die Moderne, den die Schau am Ende obendrauf setzt. Da kann man sich ansehen, was etwa Picasso aus Cranachs Venus machte oder wie Otto Dix das ungleiche Paar neu interpretierte. Auch Andy Warhol trägt zum Nachleben bei – zum Beispiel mit seiner Neuauflage von Cranachs „Bildnis einer jungen Frau“, das Barrett keck auf dem Kopf verschoben. Zwar sind die Siebdruck-Adaptionen des US-Künstlers schön bunt, aber sie wirken ziemlich blass im Vergleich zum bald 500 Jahre älteren Vorbild.