Bürgergeldstatt Hartz IV: Mit diesem Vorschlag könnte die SPD sich endgültig von der Großreform ihres Ex-Parteichefs Gerhard Schröder abwenden Foto: imago

Die SPD will den Sozialstaat umfassend reformieren. Doch die Frage nach den Kosten haben die Genossen bisher weitgehend ausgespart.Und wie schätzen Experten die Wirksamkeit der Reformen ein?

Berlin - So gut wie in den vergangenen Tagen war die Stimmung bei der SPD lange nicht mehr. Der Erneuerungsprozess sei abgeschlossen, verkündete Parteichefin Andrea Nahles bei der Vorstandsklausur am Sonntag und Montag in Berlin. In den Umfragen schlägt sich das zwar noch nicht so richtig nieder, aber immerhin weiß die SPD jetzt, wohin sie will: nach links. Die Partei bastelt an einem Gesamtkonzept für eine Reform des Sozialstaats. Unter anderem will sie Hartz IV durch ein neues Bürgergeld ersetzen, mit weniger Sanktionen und weniger Zugriff des Staates auf Ersparnisse. Das wirft die Frage auf, wie solche Reformen bezahlt werden könnten.

Wie teuer würde der geplante Umbau des Sozialstaats?

Bei der Klausur hat die SPD-Führung ein Papier verabschiedet, das sich auf Reformen in der Arbeitswelt konzentriert. Weitere Vorschläge für Rente, Gesundheit, Pflege und Wohnen sollen folgen. Zu den bereits bekannten Reformplänen gehört auch die von Sozialminister Huberts Heil entwickelte Grundrente. Allein sie soll mit einem mittleren einstelligen Milliarden-Betrag zu Buche schlagen. Die SPD weiß zwar noch nicht, wie teuer ihre Vorhaben in der Summe werden könnten, aber sie hat eine Vorstellung davon, wo Geld zu holen wäre. Für den Erhalt des Sozialstaats müsse man „auch Superreiche zur Verantwortung ziehen“, sagte Generalsekretär Lars Klingbeil am Montag im ZDF. „Die Vermögensteuer ist ein Punkt, über den wir als SPD nachdenken.“ Die Steuer ist seit 1997 faktisch abgeschafft. Mit einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes liebäugeln die Sozialdemokraten ohnehin.

Müsste das ganze Geld denn aus den Staatskassen, also vom Steuerzahler kommen?

Die Grundrente will die SPD in der Tat aus dem Bundeshaushalt zahlen. Die arbeitsmarktpolitischen Forderungen, auf die sich der Parteivorstand jetzt verständigte, tangieren hingegen auch die Sozialkassen, in die bekanntlich Arbeitgeber und Arbeitnehmer einzahlen. So sollen ältere Beschäftigte künftig länger Arbeitslosengeld I beziehen können. Wer seinen Job verliert, soll einen Anspruch auf Qualifizierung haben, wobei entsprechende Maßnahmen dann die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds verlängerten. Der Mindestlohn soll auf 12 Euro pro Stunde steigen. Das ginge also zunächst zulasten der Arbeitgeber. Firmen, die sich nicht an Tarifverträge halten, sollen steuerlich schlechtergestellt und von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden.

Wie reagieren die Sozialpartner?

Die Gewerkschaften sind regelrecht begeistert. „Die Sozialdemokraten korrigieren jetzt die Fehler der Vergangenheit, indem sie etwa die Bezugsdauer des Arbeitslosengelds I verlängern, die Sanktionen bei Hartz IV abmildern und den Anspruch auf Weiterbildung stärken wollen“, sagte DGB-Chef Reiner Hoffmann. Die Arbeitgebervereinigung BDA hingegen bringt sich mit Macht gegen die Vorschläge in Stellung.

Was sagen unabhängige Experten?

Der Chef des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA), Hilmar Schneider, sagte unserer Zeitung: „Die Forderung nach einer Abschaffung der Sanktionen beim Arbeitslosengeld II ist absurd.“ Wer glaube, dass Sanktionen unnötig seien, gehe entweder davon aus, dass die Jobcenter ohnehin nicht helfen können – oder dass Bezieher der Grundsicherung schon von sich aus alles in ihrer Macht Stehende tun, um eine Beschäftigung zu finden. „Beides entbehrt jeder Grundlage“, sagte Schneider. Wer sich nicht helfen lassen wolle, habe keinen Anspruch auf Unterstützung durch die Solidargemeinschaft. „Die Existenz von Sanktionen ist im Übrigen auch dann wichtig, wenn sie niemals verhängt werden“, ergänzte Schneider. „Allein die Möglichkeit, dass sie verhängt werden können, hat einen heilsamen Einfluss auf das Verhalten der Betroffenen.“ Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Marcel Fratzscher, sagte: „Ich begrüßte ausdrücklich den Willen der SPD, die Sozialsysteme so neu zu gestalten, dass die Eigenverantwortung der Menschen gestärkt wird, dass erbrachter Leistung mehr Respekt gezeugt wird und positive Anreize geschaffen werden.“ Fratzscher schränkte jedoch ein: „Ganz hinter sich können und sollen reformierte Sozialsysteme Hartz IV aber nicht lassen, dieses System hat sich im Großen und Ganzen bewährt und muss ergänzt und verbessert werden.“