Waldemar Wolbert wartet seit sieben Jahren auf eine Niere. Ein quälender Zustand. Denn Spenderorgane sind rar. In Stuttgart hoffen Ärzte auf eine Gesetzesreform.
Das lange Warten ist eine Herausforderung im Leben von Waldemar Wolbert. Sieben Jahre dauert das nun schon. 2018 hat die Niere des heute 64-Jährigen ihren Dienst versagt. Seither ist er wieder auf die Dialyse angewiesen, dreimal die Woche, jeweils fünf Stunden lang. Wie an diesem Morgen. Danach ist er immer müde. „Radfahren könnte ich heute nicht“, sagt Wolbert.
Und er muss beim Trinken wie beim Essen vorsichtig sein. „Ein Liter pro Tag, mehr nicht“, ist die Maßgabe bei der Flüssigkeitsaufnahme. „Was ich trinke, bleibt im Körper“, ohne Niere habe man „keine Ausscheidung mehr“. In der Dialyse werde der Körper nicht nur entgiftet, „es kommt auch das überflüssige Wasser raus“, sagt Waldemar Wolbert. Zur Kontrolle seines Wasserhaushalt stellt er sich regelmäßig auf die Waage.
Wenn er „überwässert“ ist, hat das gravierende Folgen. „Dann kann ich nicht mehr flach liegen, ich bekomme Atemnot, das Herz wird belastet“, erzählt der 64-Jährige, der in Steinheim an der Murr lebt. Der überaus heiße Juni war eine beschwerliche Zeit für ihn, ständig verbunden mit der Frage: „Darf ich was trinken?“ Auch beim Essen muss er aufpassen. Nicht nur, weil auch Lebensmittel Wasser enthalten. Auch zu viel Salz ist problematisch. Es kann zu Bluthochdruck und zu Wassereinlagerungen führen, und es macht durstig. „Wir kochen seit Jahren salzlos“, sagt Waldemar Wolberts Frau Martina.
Und wichtig zu bedenken: Wo ist Kalium drin? Die Niere reguliert den Kaliumhaushalt, filtert das Alkalimetall aus dem Blut und scheidet es über den Urin aus. Geschieht das nicht, kommt es zu Herz-Kreislauf-Problemen. Kartoffeln, verschiedene Gemüsesorten und Beeren enthalten Kalium. Zu gern würde Waldemar Wolbert mal wieder eine Schale Erdbeeren essen. „Heute sind es dann nur fünf Erdbeeren“, erzählt er, sonst nimmt er zu viel Kalium auf.
An diesem Tag ist das Paar im Klinikum Stuttgart, bei einem Informationsabend für Patienten auf der Organ-Warteliste. Der Andrang im Vortragssaal ist groß. Etwa 150 Personen sind gekommen, etliche der Besucher müssen stehen. Das Klinikum der Stadt betreibt ein großes Transplantationszentrum. Circa 500 Personen im Großraum Stuttgart bräuchten laut Klinikum eine neue Niere, 238 sind derzeit eingetragen auf der Warteliste von Eurotransplant. Die Organisation teilt die Organe innerhalb der beteiligten Ländern in Europa zu.
Doch Spenderorgane sind gerade in Deutschland sehr rar. Im Vorjahr wurden in der Republik 2075 Nierentransplantationen vorgenommen, 1443 der Organe stammten von Verstorbenen, 632 waren Lebendspenden. Doch rund 10 300 weitere Patienten warten auf einen solchen Eingriff. Neun Jahre dauert es im Schnitt bis zur erlösenden Transplantation.
„So kann es nicht weitergehen, wir brauchen bessere Rahmenbedingungen“, sagt Vedat Schwenger. Der Nephrologe und Ärztliche Direktor leitet das Transplantationszentrum im Klinikum. Aufgrund der langen Wartezeiten und der gesundheitlichen Belastungen der Dialyse-Patienten werde „jedes Jahr der Tod von Hunderten Menschen in Kauf genommen“, kritisiert Schwenger. Im Vergleich zur Dialyse verdoppelt sich die Lebensverlängerung der Patienten mit einer Transplantation.
Zwischen 60 und 70 Nierentransplantation werden im städtischen Klinikum jedes Jahr vorgenommen. Im Bundesschnitt sind etwa 30 Prozent der verpflanzten Organe Lebendspenden von Angehörigen oder anderen nahestehenden Personen, im Klinikum liegt dieser Wert bei etwa 40 Prozent. Vedat Schwenger empfindet daher die in Berlin geplante Reform des Transplantationsgesetzes als sinnvoll: Bei der Lebendspende soll dann nämlich auch die sogenannte Cross-over-Spende möglich sein. Ein Paar, bei dem das Organ des Spenders etwa wegen der Blutgruppe oder Gewebemerkmalen nicht zum Empfänger passt, kann dieses gegen das Spenderorgan eines anderen Paares, welches das gleiche Problem hat, tauschen.
Im Stuttgarter Transplantationszentrum begrüßt man jede Möglichkeit, die den Spenderpool erhöht. Die Anwesenden im Vortragssaal werden auch darüber informiert, dass Nieren von Verstorbenen, die an Hepatitis C gelitten haben, heute gut verwendet werden können. Dank moderner Medikamente, die gleich nach der Transplantation regelmäßig verabreicht werden, kann die Hepatitis-Infektion des Organs in nur zwei Monaten beseitigt werden. Das Klinikum hat dabei schon gute Erfahrungen gemacht: Von den 25 Organen, die dort im Jahr 2024 transplantiert worden sind, waren drei Hepatitis-C-positiv.
Für Vedat Schwenger führt aber kein Weg an der Einführung der sogenannten Widerspruchslösung vorbei. Zwar sind in Umfragen 84 Prozent der Bürgerinnen und Bürger offen für eine Organspende, aber nur 44 Prozent haben einen Organspendeausweis. Der Ärztliche Direktor führt dies auf „Bequemlichkeit“ zurück. Derzeit muss man seine Bereitschaft zur Organentnahme im Todesfall eigens erklären, mit der Widerspruchslösung würde dies vorausgesetzt und man müsste dem ausdrücklich widersprechen, wenn man nicht bereit dazu ist. Die meisten Staaten haben diese Regelung. Deutschland gehört hier zu den wenigen Nachzüglern in Europa.
Niere von der 70 Jahre alten Mutter bekommen
Mit elf Spendern pro Million Einwohner liegt die Bundesrepublik nur auf Platz 19. Zum Vergleich: Portugal belegt Platz eins und kommt auf dreimal so viele Spendernieren. Und in den meisten europäischen Ländern werden Organe zur Transplantation nicht nur bei Hirntod des Spenders entnommen, sondern auch nach Herz-Kreislauf-Stillstand, also nach einem Herztod. Mit dieser Regelung hat Spanien die Zahl der Organspenden pro eine Million Einwohner auf mehr als 40 verdoppelt.
Immerhin funktioniert das System der Identifikation von Organspendern in den Krankenhäusern heute gut. „Es geht uns nicht mehr viel durch die Lappen“, sagt Nephrologe Schwenger. So wurden dem Stuttgarter Transplantationszentrum von Eurotransplant im Jahr 2011 noch 91 Nieren zugewiesen, von denen dann 39 tatsächlich transplantiert wurden. Diese Zahl der Organzuweisungen hat sich bis zum Vorjahr zwar auf 183 verdoppelt. Allerdings wurden von diesen Nieren doch nur 35 eingepflanzt. Der größte Teil war nach einer Prüfung vor Ort doch nicht geeignet. Das hat auch damit zutun, dass die Spender immer älter werden, auch wenn das in vielen Fällen kein Problem ist. „Im Schnitt hätten wir gerne etwas jüngere Spender“, sagt der leitende Oberarzt Markus Krautter.
Gerade auf ältere Spender setzt Waldemar Wolbert. Der 64-Jährige hat schon einmal im Jahr 2003 die Niere einer 70 Jahre alten Frau eingesetzt bekommen – die Spenderin war seine Mutter. Drei Jahre zuvor hatten die Nieren des damals 40-Jährigen wegen einer Autoimmunerkrankung den Dienst eingestellt. Nach der OP konnte der Kaufmann 16 Jahre lang ein ziemlich normales Leben führen. Er war bei einem Automobilzulieferer tätig und ist stolz, dass er seither stets gearbeitet hat. „Ich hatte immer den Ehrgeiz, nicht wegen Krankheit auszufallen“, erzählt er. Er hat auch weitergearbeitet, als er 2018 wieder an die Dialyse musste. Häufig ging er nachts zur Blutwäsche, um tagsüber arbeiten zu können.
Seit Mai ist Waldemar Wolbert in Rente. Wenn er bald das 65. Lebensjahr erreicht hat, eröffnet sich ihm die Chance, ein neues Spenderorgan zu bekommen. Dann kann er am European Senior Program (ESP) teilnehmen. Das sieht vor, dass die Empfänger bevorzugt Organe von Spendern erhalten, die ebenfalls 65 Jahre und älter sind. Die Wartezeit beträgt hier nur vier Jahre. Da er aber schon seit sieben Jahren auf der Liste steht, ist Waldemar Wolberts Zuversicht auf ein Organ-Angebot groß: „Das kann zeitnah passieren.“ Er weiß: Das Leben mit einem Spenderorgan sei „kein Vergleich mit dem Dialyse-Dasein“.