Der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat im Bundesrat für die Regelung der sicheren Herkunftsländer gestimmt. Foto: dpa

Am Ende stimmte Baden-Württemberg doch zu: Die Asylrechtsreform passierte mit grün-roter Hilfe den Bundesrat – zum Entsetzen mancher Grüner. Ministerpräsident Kretschmann muss nun hohe Wogen glätten.

Am Ende stimmte Baden-Württemberg doch zu: Die Asylrechtsreform passierte mit grün-roter Hilfe den Bundesrat – zum Entsetzen mancher Grüner. Ministerpräsident Kretschmann muss nun hohe Wogen glätten.

Berlin/Stuttgart - Gut zwei Kilometer Luftlinie vom Bundesratsgebäude tagt gerade der eintägige „Freiheitskongress“ der Grünen-Bundestagsfraktion in Berlin. Doch was die Bundestagsabgeordneten am Rande ihrer Diskussionen mit Bürgerrechtlern, Schriftstellern und Wissenschaftlern über „Freiheit im digitalen Zeitalter“ oder die „Burn-out-Gesellschaft“ über die Abstimmung in der Länderkammer hören, bringt sie in einen Zustand zwischen Enttäuschung und Entrüstung.

Drüben im Bundesrat hat es das grün-rot regierte Baden-Württemberg doch tatsächlich gewagt, aus der Phalanx der Bundesländer mit Grünen-Regierungsbeteiligung auszubrechen und einer Änderung des Asylrechts zuzustimmen. Tags zuvor noch hatte der baden-württembergische Bundesratsminister Peter Friedrich (SPD) ausdrücklich versichert, die Grünen würden in der Länderkammer geschlossen abstimmen: alle oder keiner. Und dann dieses Sondervotum Baden-Württembergs, mit dem die grün-rote Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann der Bundesregierung aus Sicht der Grünen hilft, ein Grundrecht zu schleifen, eines, für das Grünen-Parteitage immer wieder bis zur totalen Erschöpfung gestritten haben: das Asylrecht.

Die Bundesregierung verschärft also das Asylrecht, erklärt dabei Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina zu sicheren Herkunftsstaaten, und Regierungs-Grüne eines Bundeslandes (Baden-Württemberg) stimmen zu. Abgelehnte Bewerber aus diesen Balkanstaaten – vor allem der Minderheit der Roma, die sich in ihren Herkunftsländern diskriminiert fühlen – können damit schneller abgeschoben werden. Die Änderungen sollen laut Bundesinnenministerium bis spätestens Frühjahr 2015 in Kraft treten.

So viel Realpolitik bringt die ehemalige Grünen-Chefin Claudia Roth regelrecht in Rage. „Ein „schlechter Tag für die Grünen“ sei das, zetert Roth am Rande des Freiheitskongresses, und ein „rabenschwarzer Tag“ für das Grundrecht auf Asyl.

Auch Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kann ihre Enttäuschung kaum verbergen. „Ich halte die Entscheidung für falsch. Ich bedauere sie auch. Ich respektiere aber auch, dass einzelne Bundesländer zu einer anderen Entscheidung kommen als ich oder wir“, bemüht sie sich um Haltung.

Viele Grüne sind tief verärgert, da kann Kretschmann in der Länderkammer noch so wortreich erklären, er habe nach einer „auch für mich persönlichen schwierigen Entscheidung“ schließlich doch für Verbesserungen der Situation von Asylbewerbern und geduldeten Ausländern gestimmt. Denn: „Das Kompromissangebot der Bundesregierung ist ein substanzieller Gewinn für die Praxis.“

Kretschmann listet auf, was Grüne in Gesprächen mit der Bundesregierung für Asylbewerber in Deutschland erreicht haben. Die Residenzpflicht, wonach sich Asylbewerber nur in einer bestimmten Region aufhalten dürfen, wird ab dem vierten Monat ihres Aufenthalts für das gesamte Bundesgebiet abgeschafft. Sie kann allerdings in Einzelfällen wieder angeordnet werden, wie später Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagt. Albig ist gleichfalls empört: „Unser Boot ist noch lange nicht voll. Unser Boot ist unsere Verantwortung“, schimpft er über Asylrechtsverschärfung.

Auch wird das Arbeitsverbot für Asylbewerber nach den Worten von Kretschmann von bislang neun Monaten auf künftig drei Monate verkürzt. Und auch die Vorrangprüfung, nach der deutsche Arbeitsuchende zu bevorzugen sind, entfällt nach 15 Monaten. Grünen-Innenexperte Volker Beck gibt Kretschmann dann doch noch einen schönen Gruß mit auf den Weg nach Stuttgart: „Heute wurde das Menschenrecht auf Asyl für einen Appel und ein Ei verdealt.“

Nach Lesart der Regierungskoalition soll mehr Platz und Geld für Menschen aus gefährlichen Kriegs- und Krisengebieten wie Syrien, Somalia oder Eritrea frei werden. Diejenigen Politiker, die sich selbst als Anwälte der Asylbewerber und insbesondere der Roma vom Balkan verstehen, sind über diese Art der Verteilungsdiskussion entsetzt. Sie finden den neuen Asylrechtskompromiss zynisch, unmoralisch und kaltherzig.

Für den 13. Oktober lädt Kretschmann nun zu einem Flüchtlingsgipfel im Südwesten. Er hatte angekündigt, er wolle Kommunen, Kirchen und Hilfsorganisationen im Land erstmals an einen Tisch holen, um die Probleme bei der Aufnahme Zehntausender Asylbewerber in den Griff zu bekommen.