Viele Leiharbeiter profitieren nicht von geplanter Gesetzesänderung Foto: dpa

Mit Infografik - Obwohl die Bundesagentur für Arbeit Besserung gelobt hat, vermittelt sie immer noch viele Arbeitslose in Jobs auf Zeit. Linke und Arbeitgeberverbände laufen Sturm gegen neues Gesetz.

Berlin/Stuttgart - Nach der Rente mit 63 und dem Mindestlohn ist die Reform des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) der dritte große Punkt im Hausaufgabenheft von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Noch dieses Jahr sollen die Vorarbeiten beginnen, teilt ihr Ministerium mit, 2015 soll das Gesetz beschlossen werden.

Schon jetzt laufen Politiker und Arbeitgeberverbände Sturm gegen die geplanten Änderungen. Im Koalitionsvertrag haben sich CDU und SPD darauf geeinigt, dass Leiharbeiter künftig nach neun Monaten das Gleiche verdienen sollen wie die Stammbelegschaft (Equal Pay) – und dass der Einsatz von Leiharbeitern auf 18 Monate begrenzt werden soll.

So lange jedoch sind die meisten Zeitarbeiter gar nicht bei ihrem Verleiher beschäftigt. Wie aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken hervorgeht, wurden im vergangenen Jahr 56 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse nach weniger als drei Monaten beendet. Demnach ist der Wert im Vergleich zu 2011 (51 Prozent) sogar noch angestiegen.

Zeitarbeit

Nach einer Analyse des Institutes für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) dauerten 2010 nur 27,6 Prozent der Leiharbeitsverhältnisse länger als neun Monate und lediglich 13,8 Prozent länger als 18 Monate. Das heißt: Knapp drei Viertel der Leiharbeitskräfte kämen demnach überhaupt nicht in den Genuss der geplanten Equal-Pay-Regelung. Von einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten hätte nur ein geringer Teil der Leiharbeitskräfte einen Vorteil. „Die geplanten Änderungen in der Leiharbeit sind reine Augenwischerei“, kritisiert Klaus Ernst, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Partei Die Linke im Bundestag, „denn fast niemand wird davon profitieren.“ Er fordert Equal Pay ab dem ersten Einsatztag und die Beschränkung der Überlassungsdauer auf drei Monate. „Nur so können Leiharbeit und Lohndumping wirksam eingeschränkt werden.“

Das Bundesarbeitsministerium wollte dies unter Verweis auf die erst anlaufenden Vorarbeiten nicht kommentieren.

„Von Equal Pay kann heute keine Rede sein“

Kritik kommt auch aus dem Lager der Arbeitgeber. „Wir haben ohnehin bereits in elf Branchen Equal Pay“, sagt ein Sprecher des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) unserer Zeitung. „Dort erhalten die Mitarbeiter oft bereits nach sechs Wochen ihre erste Lohnerhöhung und nicht erst nach neun Monaten.“

Dieses Argument lässt Dieter Stang, Anwalt für Arbeitsrecht bei der Gewerkschaft IG Metall, nicht gelten. „Von Equal Pay kann heute keine Rede sein“, sagt er. „Ein Facharbeiter erhält heute trotz Branchenzuschlägen meist nur rund 60 bis 70 Prozent der Jahresvergütung eines Stammbeschäftigten in der Metallindustrie.“ Auch Stang fordert eine Equal-Pay-Regelung ab dem ersten Einsatztag. Noch mehr Verhandlungsbedarf sieht er bei der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten. „Hier wird die zentrale Frage sein, ob man die 18 Monate auf einen einzelnen Mitarbeiter bezieht oder auf einen Arbeitsplatz.“ Ziel der Reform ist zu präzisieren, dass Zeitarbeit nur ein vorübergehendes und kein dauerhaftes Instrument sein soll. „Gelten die 18 Monate aber nur für einen einzelnen Leiharbeiter, könnten die Firmen den Beschäftigten nach Ablauf dieser Frist einfach austauschen.“

Die Arbeitgeber fordern unterdessen noch viel mehr. Sie wollen eine Öffnungsklausel, mit der die 18-Monats-Regel aufgehoben werden kann. Für hoch qualifizierte Zeitarbeitnehmer stelle die Regelung eine konkrete Gefahr dar, sagt Volker Enkerts, Präsident des Bundesarbeitgeberverbands der Personaldienstleister (BAP). „Denn im Hochqualifizierten-Segment unserer Branche sind Projekte oft langfristig angelegt – beispielsweise in den IT- und Ingenieurdienstleistungen.“

Stang wundert die Forderung nicht: „Die Branche fürchtet um ihr Geschäftsmodell“, sagt der Jurist. „Denn Ziel des Gesetzes soll sein, dass mehr Leiharbeiter von dem Verleih-Unternehmen übernommen werden. Dadurch stehen sie dem Verleiher natürlich nicht mehr zur Verfügung.“

Werden Arbeitssuchende regelrecht in die Zeitarbeit gedrängt?

Wie hoch der Stellenwert der Leiharbeit auf dem Arbeitsmarkt ist, zeigt die Antwort der Bundesregierung auf die Parlamentarische Anfrage. Demnach entfielen im Juli 33 Prozent der bei der Bundesagentur für Arbeit (BA) gemeldeten offenen Stellen auf die Leiharbeit. Arbeitsmarktexperten werfen der BA vor, Arbeitssuchende regelrecht in die Zeitarbeit zu drängen, da die Menschen dadurch schneller aus der Statistik verschwinden.

Ein Prüfbericht des Bundesrechnungshofs, der den Stuttgarter Nachrichten vorliegt, hat genau diese Praxis 2012 moniert. „Nach Auskunft unserer Gesprächspartner nutzen die Agenturen die Vermittlung in die Zeitarbeit bei der Stellenbesetzung intensiv“, heißt es in dem Papier. Mit Zeitarbeit könne sich die Agentur hohe Einstellungserfolge sichern. Obwohl die BA Besserung gelobt hat, ist die Vermittlungsquote in die Branche immer noch hoch: 2013 entfielen 31 Prozent der insgesamt 265 396 vermittelten sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse auf die Zeitarbeit. 2009 lag der Wert noch bei 24,4 Prozent. „Der hohe Anteil der Zeitarbeit sowohl an den Beschäftigungsaufnahmen von Arbeitslosen als auch an den gemeldeten Stellen hat zwei Gründe“, sagt eine Sprecherin der BA unserer Zeitung. „Zum einen ist die Zeitarbeit durch eine höhere Dynamik geprägt als andere Branchen.“ Zum anderen biete die Zeitarbeit viele Stellen im Helferbereich. „Etwa die Hälfte der Arbeitslosen hat keine abgeschlossene Berufsausbildung“, so die Sprecherin.

Dies sei vor allem problematisch, da Leiharbeitskräfte deutlich weniger Lohn erhielten als regulär Beschäftigte, kritisiert die Fraktion Die Linke. Bezogen jeweils auf sozialversicherungspflichtige Vollzeitbeschäftigte liege der Anteil von Niedriglohnbeziehenden bei Leiharbeitskräften mit 65 Prozent viel höher als in der Gesamtwirtschaft (20,4 Prozent).