Wahlrecht mit 16: Das ist nur ein Reformvorhaben in einem großen Paket für die nächsten Kommunalwahlen, das Grün-Rot derzeit schnürt. Foto: Fotolia

In Gemeinden und Kreisen sollen Bürger ihre Vertreter früher, häufiger und direkter wählen - Es gibt Fallstricke.

Stuttgart - Es gibt Forderungen, die gehören quasi zum Mobiliar einer Partei – beim Umzug aus der Opposition in die Regierung nimmt man sie selbstverständlich mit. Bei der SPD ist das zum Beispiel die Volkswahl der Landräte, bei den Grünen gehört die Abneigung gegen zu viele Bürgermeister in Kreistagen dazu. Deshalb hat es im Mai vergangenen Jahres niemanden überrascht, dass beide Vorhaben im grün-roten Koalitionsvertrag auftauchten.

„Mehr Demokratie in den Kommunen“ heißt das Kapitel, in dem sich noch weitere Reformziele finden: So soll bei Bürgerbegehren und -entscheiden der Themenkatalog erweitert, die Frist verlängert und die Quoren abgesenkt werden. Jugendliche sollen bereist mit 16 wählen dürfen, Jugendgemeinderäte erhalten ein verbindliches Antrags- und Rederecht im Gemeinderat.

Wahlchancen für Frauen sollen steigen

Aber auch Bürgern aus der Türkei und anderen Ländern außerhalb der EU will man Zugang zur Wahlurne verschaffen – was freilich eine bundesgesetzliche Änderung voraussetzt. Und nicht zuletzt sollen die Wahlchancen von Frauen steigen: entweder über eine Quote oder die Pflicht, die Listen paritätisch zu besetzen.

All das schnürt das Innenministerium derzeit zu einem großen Paket: „Es gibt noch keinen Referentenentwurf, aber wir arbeiten daran“, sagte Innenminister Reinhold Gall (SPD) unserer Zeitung. Parallel dazu diskutieren die beiden Regierungsfraktionen das Mammutvorhaben, das bis Ende des Jahres das Parlament passieren soll. Immerhin findet die nächste Kommunalwahl bereits 2014 statt, und im Frühjahr 2013 werden die ersten Listen aufgestellt.

Im Prinzip ziehen Grüne und Rote dabei an einem Strang: „Wir wollen mehr Transparenz und mehr Beteiligungsmöglichkeiten“, sagt Grünen-Fraktionsvize Andreas Schwarz, der am Dienstag erstmals in großer Runde über das Vorhaben referiert hat. Sein SPD-Kollege Walter Heiler, Vorsitzender des Innenausschusses, bekräftigt: „Das sind ja alte politische Forderungen.“

30 Prozent Kreistagsmitglieder auch mit kommunalem Wahlamt

Dennoch bergen sie mehr politischen und rechtlichen Sprengstoff, als man zu Oppositionszeiten wahrhaben wollte. Das zeigt sich zum Beispiel an der Forderung , OBs, Bürgermeister und Beigeordnete aus den Kreistagen zu verbannen. Währen die Grünen massiv auf diesen Schritt drängen, bremst die SPD – und zwar nicht nur deshalb, weil sie eine beachtliche Zahl solcher „Bürgermeister-Kreisräte“ in ihren Reihen hat.

„Ich persönlich fände es falsch, wenn die Kompetenz der Bürgermeister nicht mehr in den Kreistagen vorhanden wäre“, sagt Innenausschuss-Chef Heiler, der gleichzeitig Bürgermeister der Stadt Waghäusel ist. Als solcher steht er aber auch unter der Rechtsaufsicht des Landratsamts – also jener Behörde, die er als Kreistagsmitglied kontrolliert: „Das darf eigentlich auch nicht sein.“

Gut 30 Prozent der Kreistagsmitglieder üben gleichzeitig ein kommunales Wahlamt aus, rund ein Viertel als Bürgermeister. Dürfen sie 2014 alle nicht mehr antreten? Im Koalitionsvertrag ist lediglich ein vorsichtiger Prüfauftrag vermerkt. Doch wie die beiden Regierungsfraktionen aus dem Dilemma herausfinden, ist nicht ansatzweise erkennbar.

Landräte müssten künftig Wahlkampf machen

Das gilt noch mehr für die Absicht, Landräte künftig vom Volk wählen zu lassen. Im Prinzip stehen Grüne und Rote zu dieser alten Forderung. Doch hinter vorgehaltener Hand räumen Abgeordnete wie Regierungsmitglieder ein, dass dabei Fallstricke lauern. Das beginnt mit dem Problem, dass Landräte künftig Wahlkampf machen müssten. Legt man die bei Bürgermeisterwahlen üblichen Kosten von 0,50 bis zu einem Euro pro Einwohner zugrunde, kommt man etwa im Kreis Karlsruhe locker auf eine sechsstellige Summe: „Ich frage mich, woher das Geld kommen soll“, sagt Heiler.

Dürfen in Landratsämtern dann nur noch kommunale Beamte arbeiten? Und was passiert, wenn nur zehn Prozent der Bürger überhaupt wählen gehen? Muss dann wieder der Kreistag einspringen? All diese Fragen sind noch nicht beantwortet. Dass Landtagsabgeordnete vollständig im Schatten der direkt gewählten Landräte stünden, ist dabei noch das geringste Problem.

„Die Forderung nach der Direktwahl ist schnell formuliert, ich aber will, dass man darüber nachdenkt, welche Folgen das hat“, sagt Gall. Könnte es also sein, dass Grün-Rot die Volkswahl der Landräte gar nicht umsetzt? Gall darauf sibyllinisch: „Die Koalitionsvereinbarung ist keine Bibel.“