In Barcelona bejubeln Wahlhelfer eine gut gefüllte Abstimmungsbox. Foto: AFP

Das Referendum in Katalonien ist ein Desaster für Spanien und den Ministerpräsidenten in Madrid. Wenn jetzt noch irgendwas im spanisch-katalanischen Verhältnis zu retten sein sollte, dann geht das nur ohne Mariano Rajoy und seine Regierung, meint Martin Dahms.

Madrid - Die spanische Regierung hat die internationale Presse in Madrid während der vergangenen Wochen wiederholt zu Hintergrundgesprächen geladen, über die danach bitte nicht gesprochen werden sollte. Mehrere Minister versuchten den Korrespondenten zu erklären, was da gerade in Katalonien los sei. Was sie aber nie erklärten: Wie die Regierung das Unabhängigkeitsreferendum zu unterbinden gedenke. Man ging als Journalist mit dem Gefühl nachhause, dass die Verhinderungsstrategie höchste Geheimsache sei.

Was die wenigsten ahnten: Es gab keine Strategie.   Die Regierung von Mariano Rajoy geht aus diesem 1. Oktober höchst blamiert hervor. Das Referendum hat stattgefunden. Die Separatisten haben das Katz- und Maus-Spiel der vergangenen Tage gewonnen. Die meisten Wahllokale wurden geöffnet, es lagen Wahlzettel bereit, und es gab Urnen, in die man die Zettel hineinwerfen konnte. Die katalanische Regionalregierung wird versuchen, die Stimmen auch auszählen zu lassen, und man kann angesichts der Unfähigkeit der spanischen Behörden leicht vermuten, dass ihr auch das gelingen wird. Die Welt wird also bald erfahren, dass das Ja zur Abspaltung gewonnen hat – ein anderes Ergebnis ist nicht vorstellbar. Nur die besser Informierten wissen, dass dieses Ergebnis nicht ernst zu nehmen ist. Dafür fehlten die rechtsstaatlichen Garantien, weshalb viele Katalanen gar nicht erst zur Abstimmung gegangen sind.  

Steilvorlage für die katalanische Regionalregierung

Der zweite Sieg der Separatisten sind die Szenen von Polizeigewalt, von brutalen Beamten und blutenden Demonstranten. Eine Steilvorlage für die katalanische Regionalregierung: Welt, sieh her, so werden friedliche Katalanen von einer wild gewordenen spanischen Regierung behandelt. Es ist ein Desaster für Rajoy – und ein Desaster für Spanien. So wie dieser Sonntag abgelaufen ist, war er erst der Auftakt für noch viel schwerere Verwerfungen.

Gut denkbar, dass Kataloniens Regionalpräsident Carles Puigdemont, mutig geworden, in den kommenden Tagen eine einseitige Unabhängigkeitserklärung verkündet. Vor kurzem hat er das noch ausgeschlossen. Aber der Moment wäre günstig für ihn. Ein Desaster könnte auf das nächste folgen. Eine rebellische Region im Herzen der Europäischen Union würde die Agenda der EU, die schon genug mit dem Brexit und den grenzdemokratischen Regimen in Polen und Ungarn zu tun hat, noch weiter überfrachten.

Eine neue spanische Regierung muss her

Ausgelöst hat dieses Durcheinander die katalanische Regionalregierung, die sich über alle Gesetze im Namen einer aus dem Hut gezauberten Referendumsdemokratie hinweggesetzt hat. Aber es hilft nichts, jetzt mit dem Finger auf die katalanischen Separatisten zu zeigen. Sie werden so schnell nicht wieder vernünftig werden. Sie fühlen sich so stark wie nie. Wenn jetzt noch irgendwas im spanisch-katalanischen Verhältnis zu retten sein sollte, dann geht das nur ohne Rajoy und seine Regierung. Sie haben Spanien an diesem Sonntag schweren Schaden zugefügt.

Der inoffizielle Juniorpartner von Rajoys Volkspartei, die liberalen Ciudadanos, sollte sich mit den spanischen Oppositionsparteien zu einem Misstrauensvotum zusammentun. Eine neue spanische Regierung hätte vielleicht noch eine Chance, das Kind wieder aus dem Brunnen zu holen, das dort gerade hineingefallen ist. Für Rajoy wäre das eine fast unlösbare Aufgabe.