Kindern etwas beibringen zu dürfen, ist für viele Lehrkräfte nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung. Foto: picture alliance/dpa/Philipp von Ditfurth

Viel Unterricht fällt aus, weil Personal fehlt. Gleichzeitig haben sich angehende Lehrkräfte an unsere Redaktion gewandt, weil sie keinen für sie passenden Job finden. Was läuft da schief?

Klassen werden vorübergehend zusammengeleget, einzelne Fächer für ein Schuljahr vom Stundenplan getilgt, Pensionäre geben weiter Unterricht und Teilzeitkräfte werden gebeten, ihr Deputat aufzustocken – alles, weil Personal fehlt. Auch die angehenden Lehrkräfte vom Seminar Stuttgart hören und lesen solche Meldungen immer wieder. Einige von ihnen haben sich an unsere Redaktion gewandt. Sie haben gymnasiales Lehramt mit unterschiedlichen Fächerkombinationen studiert: Sprachen, Ethik, Biologie, Geschichte. Angesichts des viel zitierten Lehrermangels sind sie nun frustriert, verunsichert und erstaunt darüber, wie schwer es für sie ist, eine attraktiven Job zu finden.

 

Manche würden Stellen mit unzumutbaren Fahrtwegen annehmen – aus Angst, sonst nichts zu bekommen. Ein Großteil werde ab September im Angestelltenverhältnis arbeiten, berichten die Referendarinnen und Referendare. Der gesamte Jahrgang sei betroffen. Sie hätten gute Noten, seien jung und motiviert. Die Ausbildung hindurch seien sie gut begleitet worden, „aber jetzt lässt man uns fallen wie eine heiße Kartoffel“, sagt einer der Betroffenen.

„Mangelnde Information“, „schlechte Kommunikation“ und „Intransparenz“ – diese Begriffe fallen während des Gesprächs immer wieder. Natürlich strebe sie eine Verbeamtung an, es gehe um einen sicheren Arbeitsplatz, berichtet eine Referendarin. Sie habe um die 50 Initiativbewerbungen geschrieben und mit diesen eine große Region abgedeckt. Doch sie habe nur Absagen erhalten. Daraufhin habe sie sich beim Regierungspräsidium (RP) gemeldet. „Ich habe die Auskunft bekommen, dass ich mit dem Fach Italienisch in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit Sicherheit keine verbeamtete Stelle bekomme.“ Zu Beginn ihres Studiums habe ihr niemand gesagt, dass man mit dieser Sprache so schlechte Chancen habe. „Das gehört für mich aber zur Transparenz dazu“, sagt die junge Frau. Sie überlege mittlerweile, ob sie noch einmal ein Erweiterungsfach studiere.

Von diesen Faktoren hängen die Einstellungschancen ab

Das Kultusministerium bestätigt: „Die Einstellungschancen hängen von der Schulart ab, von den studierten Fächern und den präferierten Regionen. Hier gibt es erhebliche Unterschiede“. Gymnasien seien besser versorgt als die Werkreal-, Real- oder Gemeinschaftsschulen sowie sonderpädagogische und berufliche Schulen. Was die Fächer betreffe, brauche es vor allem in Mathematik, Informatik und Kunst zusätzliche Lehrkräfte. Es gebe aber auch Schulfächer mit mehr Bewerbern als Stellen, wie zum Beispiel Englisch, Gemeinschaftskunde, Geschichte und Deutsch.

Hinzu komme, dass einige Gegenden im Land sehr viel beliebter seien als andere, so zum Beispiel Freiburg, Heidelberg, Mannheim, Karlsruhe und die Rhein-Neckar-Region. „Wer räumlich flexibel ist, hat derzeit so gute Chancen auf eine Einstellung wie selten“, heißt es in der Stellungnahme. Dass Berufsanfänger örtlich nicht festgelegt sein sollten, sei im Lehrerberuf schon immer so gewesen. „Wir brauchen engagierte und qualifizierte Lehrkräfte in allen Regionen.“

Angehende Lehrkräfte müssen flexibel sein

Das spiegele sich auch bei der Verbeamtung wider: „Baden-Württemberg verbeamtet seine Lehrkräfte – dazu stehen wir“, betont das Ministerium. Viele würden jedoch eine befristete Tarifstelle in ihrem Wunschgebiet gegenüber einer unbefristeten Beamtenstelle in einer Mangelregion bevorzugen. „Sie gehen lieber als Angestellte nach Freiburg, denn als Beamte nach Waldshut-Tiengen“, nennt das Ministerium ein Beispiel.

Wichtig sei auch: Einstellung im Angestelltenverhältnis würden nicht aus Spargründen erfolgen. Vielmehr könnten angehende Lehrkräfte so schon im aktuellen Schuljahr eingestellt werden, obwohl nicht genügend Beamtenstellen zur Verfügung stehen. „Wenn das Land sparen wollen würde, würde es eher keine Einstellung vornehmen und im kommenden Jahr eine Beamtenstelle ausschreiben. Dann wäre der Spareffekt viel größer“, stellt das Ministerium klar.

Junge Philologen kritisieren „verheerend schlechte Einstellungschancen“

Rückendeckung bekommen die angehenden Lehrkräfte von den Jungen Philologen. „Entgegen der Hilferufe des Kultusministeriums werden hoch qualifizierte Kolleginnen und Kollegen nicht mit Handkuss genommen“, heißt es in einer Mitteilung. Die Einstellungszahlen bei den Referendarinnen und Referendaren seien „verheerend schlecht“, kritisiert die Landesvorsitzende Stefanie Schrutz. Insgesamt gebe es aktuell etwa 580 zu besetzende Stellen an den Gymnasien und etwa 150 Stellen an den Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg. Bei etwa 1450 Bewerbungen könne nicht einmal jeder Zweite eine Stelle erhalten. Diese schlechten Perspektiven würden junge Lehrkräfte demotivieren und dazu führen, dass sich viele gegen ein Lehramtsstudium entscheiden. „Am Gymnasium bleiben derzeit viele fertig ausgebildete Lehrkräfte ohne Stellenangebot! Es besteht die Gefahr, dass dieses hoch qualifizierte Personal unserem Bildungssystem dauerhaft verloren geht“, schreibt der Interessensverband.

Das Ministerium hält dagegen und spricht von insgesamt 2800 Einstellungsmöglichkeiten für Gymnasiallehrkräfte. Denn diese würden nicht nur fürs Gymnasium und die Gemeinschaftsschule gesucht, sondern vor allem auch für die beruflichen Schulen, die ebenfalls zum Abitur führen. Daneben könnten Gymnasiallehrkräfte mit einer Zusatzqualifikation auch an Werkrealschulen und Realschulen sowie an Grundschulen arbeiten. Zudem seien bislang nur 65 der 150 für Gymnasiallehrkräfte an Gemeinschaftsschulen vorgesehenen Stellen besetzt. Und nur eine einzige Gymnasiallehrkraft habe sich bislang für die Arbeit an der Grundschule entschieden, „obwohl wir hier die Zusage machen, sie nach vier Jahren an eine Schule mit gymnasialem Bildungsgang zu versetzen“, so das Ministerium.

Einstellungschancen gymnasiales Lehramt

Stellen
482 Referendarinnen und Referendare haben in ihrer Bewerbung unter anderem den Stadtkreis Stuttgart explizit als einen von zehn möglichen Wunscheinstellungsbezirken angegeben. Umgekehrt waren in Stuttgart für das kommende Schuljahr 131 verbeamtete Stellen für das gymnasiale Lehramt ausgeschrieben, darunter waren auch Stellen an Gemeinschaftsschulen und beruflichen Schulen. Insgesamt sind für das nächste Schuljahr etwa 5000 Beamtenstellen zu besetzen, so das Kultusministerium.

Auswahl
Die Bewerberauswahl bei Stellenbesetzungen erfolgt nach dem rechtlichen Grundsatz von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Wer auf Lehramt studieren will, findet im Rahmen der Werbekampagne #lieberlehramt ein Merkblatt zu den prognostizierten Einstellungschancen.