Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück am Dienstag in der Sitzung des Bundestages. Foto: dpa

In der letzten Sitzung des Bundestags vor der Wahl knöpft sich SPD-Kandidat Steinbrück noch einmal die Kanzlerin vor. Als schwere Kränkung empfinden es die Genossen, dass Merkel den Sozialdemokraten in einem Interview die Europa-Tauglichkeit abgesprochen haben soll.

Berlin - Der letzte Schlagabtausch zwischen Kanzlerin und Herausforderer im Bundestag vor der Wahl dürfte bei Union und SPD ein ungutes Gefühl hinterlassen. Wären sie zur großen Koalition gezwungen, hätten sie es nun schwerer. Der Grund: Die SPD fühlt sich von Merkel verraten.

Die Kanzlerin, ihr Vize und der Außenminister wirken nicht begeistert auf ihrer Regierungsbank in dieser wohl allerletzten Parlamentssitzung vor der Bundestagswahl. Dabei steht im Moment gar nicht SPD-Herausforderer Peer Steinbrück am Rednerpult, der zuvor vor allem Merkel sichtlich unangenehm war. Jetzt spricht FDP-Mann Rainer Brüderle. Thema der Debatte: "Situation in Deutschland".

Der FDP-Fraktionschef will die Biografien von Angela Merkel, Philipp Rösler und Guido Westerwelle für den Wahlkampf nutzen: eine ostdeutsche Kanzlerin, ein in Vietnam geborener Vizekanzler und ein homosexueller Außenminister. Für den 68-jährigen Brüderle ein Beleg für die Modernität von Schwarz-Gelb. Für die drei - und wahrscheinlich die ganze große Mehrheit in Deutschland - längst gelebte Wirklichkeit, die nichts über politische Kompetenz aussagt. Jedenfalls wirken die drei Regierungsspitzen ein bisschen irritiert.

Steinbrück und Merkel haben schon gesprochen. Es waren Wahlkampfreden. Der Saal blieb ruhig. Die Abgeordneten kennen die Argumente. Wenig Höhepunkte, Stimmung eher mau, jeweils zwei Minuten Schlussapplaus im eigenen Lager. Der vorherige Schlagabtausch zwischen Koalition und Opposition zur Frage, ob das Parlament nicht noch einmal über die NSA-Geheimdienst-Affäre sprechen sollte, war heftiger. Die Opposition scheiterte mit entsprechenden Anträgen.

Doch eines bleibt hängen: Die SPD ist glaubhaft empört über Merkel, was für diese nicht weiter der Rede Wert wäre, wenn nicht am 22. September Bundestagswahl wäre. Denn es ist keineswegs sicher, dass es für eine Fortsetzung der schwarz-gelben Koalition reicht. Und dann hätte Merkel am ehesten mit der SPD politische Schnittmengen.

Steinbrück zitiert aus einem noch gar nicht gesendeten ARD- Interview mit Merkel, in dem die Kanzlerin die SPD als europapolitisch unzuverlässig bezeichnet haben soll. Die Sozialdemokraten fühlen sich da maßlos ungerecht behandelt.

Immerhin haben sie Merkels Euro-Rettungspolitik immer wieder gestützt und ihr die Kanzlermehrheit gesichert, während immer wieder Unions- und FDP-Abgeordnete dagegen gestimmt haben. Merkel in die Augen schauend, sagt Steinbrück: "Sie müssen wissen, dass Sie damit Brücken zerstören." Gemeinsamkeiten könnten für die Zukunft unmöglich werden.

Die Kanzlerin wirkt selten verlegen. Aber wenn, dann streicht sie sich mitunter eine Haarsträhne hinter das Ohr und schaut zur Seite. So auch am Donnerstag. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier legt später noch nach: "Uns gegenüber ist das eine Sauerei. Statt dankbar zu sein, schmeißen Sie mit Dreck nach den Leuten, die zu Ihnen gestanden haben, als Ihre Leute schon auf der Flucht waren."

Linksfraktionschef Gregor Gysi macht der SPD ein Koalitionsangebot: "Liebe SPD, ich weiß Ihre Leidensfähigkeit ist unbegrenzt, aber wenigstens sozialdemokratisch könnten Sie doch endlich werden. Dann könnten wir einen Politikwechsel und eine deutlich gerechtere Gesellschaft anstreben."

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Brüderle zieht über die Grünen her, sie wollten Deutschland mit Vorschriften wie zur vegetarischen Ernährung zur "Zwangserziehungsanstalt für Nicht-Grünen-Wähler" machen. Grünen- Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt kontert: "Lieber einmal in der Woche freiwillig Spinat mit Ei als jahrelang unfreiwillige Überwachung durch die NSA." Man könne sich bald auf Rezeptpflicht für Weißwürste einstellen, weil zu viel Antibiotika im Fleisch sei.

Wie auch immer diese Debatte über die Lage in Deutschland von den einzelnen Abgeordneten empfunden worden sein mag - manche, die nicht wieder kandidieren, haben schon jetzt Entzugserscheinungen. Wie Ex-Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Er sagt im ZDF: "Für Trinker gibt's eine Trinkerheilanstalt. Für Politiker gibt es leider nichts entsprechendes - sonst würde ich mich da anmelden."