Jean-Claude Juncker bei der Rede im Europaparlament in Straßburg. Foto: AP

Der Ansatz des Präsidenten der EU-Kommission, den Euro überall in der EU einzuführen, setzt hohe Erwartungen. Die Umsetzung kann schwierig werden, meint unser Kommentator Markus Grabitz.

Straßburg - Es war eine Ruck-Rede, die der Präsident der EU-Kommission da gehalten hat. Wie die Mitarbeiter des damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog vor dessen Berliner Rede hatten auch das engste Umfeld von Jean-Claude Juncker die Erwartungen nach oben geschraubt. Und der Luxemburger hat geliefert – einen ebenso ehrgeizigen wie visionären Masterplan für die Ertüchtigung der EU.

Der besondere Charme daran ist: Was Juncker vorschlägt, ist machbar. Änderungen der EU-Verträge wären nicht notwendig. Bei Änderungen sind in etlichen Ländern wie Irland Volksbefragungen zwingend vorgeschrieben, deren Ausgang, das wissen die Europäer aus leidvoller Erfahrung, gelegentlich wie beim Russisch Roulette sind. Außerdem dauerte es mehrere Jahre, bis Vertragsänderungen endlich durchgewinkt wären. Nur: So viel Pathos wie einst Herzog hatte Juncker nicht im Angebot.

EU soll schneller entscheiden

Dafür haben es seine Vorschläge in sich: Juncker will, dass die EU schneller entscheidet. Dafür soll auch in der Steuer- und Außenpolitik bei Entscheidungen im Rat, also dem Gremium der Mitgliedsländer, nicht mehr das Prinzip der Einstimmigkeit gelten. Denn es ist schwierig und dauert oft lange, Konsens unter den Regierungen in 27 Hauptstädten zu erreichen. Künftig würde es ausreichen, mehr als die Hälfte jener Mitglieder, die für 65 Prozent der EU-Bevölkerung stehen, hinter ein Vorhaben zu bringen. Käme Juncker damit durch, würde die EU zweifellos an Handlungsfähig gewinnen.

Fraglich ist aber, ob die EU der 27 für die Ausweitung der Mehrheitsentscheidungen reif ist. Auch die grundvernünftige- Entscheidung, Griechenland und Italien in der Flüchtlingskrise zu entlasten und Migranten auf die anderen Staaten umzuverteilen, war ja nach dem Prinzip der qualifizierten Mehrheit getroffen worden. Zumindest Ungarn, das dagegen gestimmt hatte, will sich aber nicht einmal nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) fügen. Die Steuer- und Außenpolitik sind aber so wichtige und sensible Politikfelder, dass es sich nicht wiederholen darf, wenn Mehrheitsentscheidungen anschließend nicht akzeptiert werden.

Kein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“

Juncker hat zudem dem „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ eine Absage erteilt. Da unterscheidet er sich von Angela Merkel. Er will nicht hinnehmen, dass einige ambitionierte Mitgliedsländer bei der Vertiefung der Zusammenarbeit vorangehen und die anderen hinterherhinken. Juncker bemüht sich, die EU zusammenzuhalten. Das ist ein Angebot an die Osteuropäer, die ohnehin mit Brüssel Probleme haben. Womöglich gibt es mit dem Austritt der Briten, die ewige Quertreiber waren und einen Sonderweg beanspruchten sowie dem gestiegenen außenpolitischen Druck in Zeiten von Despoten in der Nachbarschaft, die Chance auf mehr Einvernehmen. Da ist es auch verständlich, wenn Juncker ein Instrument entwickeln will, um Ländern wie Rumänien und Bulgarien zu helfen, die Bedingungen für den Beitritt zum Euro- und Schengen-Raum zu erfüllen. Nur muss ausgeschlossen sein, dass dabei geschummelt wird. Zu oft wurden alle Augen zugedrückt, etwa wenn es darum ging, zu hohe Haushaltsdefizite zu tolerieren.

Jetzt gilt es, Juncker ehrgeiziges Reformprogramm umzusetzen. Die Regierungen in den Hauptstädten müssen den Weg frei machen, damit die EU schlagkräftiger wird. In Brüssel weiß man, dass damit das heikle Kapitel erst beginnt. Versprechungen gab es viele. Problematisch wird es, wenn’s ums Umsetzen geht.

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