Angela Merkel hat in Davos vor nationalistischer Abschottung gewarnt, aber noch keinen großen Entwurf für die Europäische Union präsentiert. Foto: AP

Die Rede der Kanzlerin in Davos war noch nicht die Erwiderung auf Macrons Pläne. Sie muss einerseits auf die neue Groko warten, hat andererseits aber auch eine Chance verpasst, meint Christopher Ziedler.

Berlin - Sie hätte schon anders gekonnt, wollte aber nicht: Mit dem Europakapitel des Sondierungspapiers im Rücken, das Angela Merkel mit dem früheren Europaparlamentspräsidenten Martin Schulz formuliert hat, hätte die Kanzlerin in Davosschon einen größeren europapolitischen Anlauf nehmen können. Der Text spricht eine viel europäischere Sprache, als sie zuvor mit der FDP benutzt wurde – nicht umsonst geht die SPD derzeit mit dem „europäischen Aufbruch“ hausieren.

Einen konkreten Plan hat die Groko in spe aber noch nicht. Dafür sind die Unklarheiten in den Mehr-Europa-Formulierungen zu groß. Diese seien gewollt, hat Merkel gesagt, als sie kürzlich Emmanuel Macron besuchte – um Raum zu lassen für Gespräche mit Frankreich, aus denen bis März ein abgestimmter Vorschlag hervorgehen soll. Macron weiß bereits, dass Merkel für Europa weite Wege gehen würde – die deutsche und europäische Öffentlichkeit kennt Merkels Antwort auf Macrons Pläne aber noch nicht. Die kann sie mit voller Legitimation natürlich erst geben, wenn sie erneut zur Kanzlerin gewählt würde. Sie hat aber die Chance verpasst, die Bürger vorzubereiten, vielleicht sogar skeptische Sozialdemokraten, die bald über ihre Zukunft abstimmen, zu überzeugen – auch wenn die Kapitalistenhochburg Davos dafür sicherlich nicht der passende Ort gewesen wäre.