Gruppenfoto von Angehörigen und Sympathisanten der mutmaßlichen Rechtsterrorgruppe S. im baden-württembergischen Alfdorf: Hat die Polizei in dem Fall mangelhaft ermittelt? Foto: StN/StN

Fehler- und lückenhafte Verschriftung mitgeschnittener Telefonate, mangelhafte Vorbereitung von Durchsuchungen und Festnahmen – im Verfahren gegen mutmaßliche Rechtsterroristen treten gerade nach der Zeugenaussage eines Hauptkommissars Mängel in den Ermittlungen zu Tage.

Stuttgart - Im Prozess gegen die Mitglieder der mutmaßlichen rechtsterroristischen Gruppe S. brodelt es – besonders bei den Verteidigern. Seit Sommer bemängeln sie fehlerhaft verschriftete Abhörprotokolle, mangelhaft auf Durchsuchungen und Vernehmungen vorbereitete Ermittler. Vor dem Stuttgarter Oberlandesgericht benannten sie jetzt offen die Schwächen in der Ermittlungsarbeit: Oft seien die Ermittlungen von Beamten geführt worden, die nicht im Staatsschutz ausgebildet worden seien. „Dass die Polizisten vor den entscheidenden Durchsuchungen und Festnahmen am 14. Februar 2020 nach eigener Aussage ‚zusammengetrommelt‘ wurden, scheint mir ein Grundproblem dieses Verfahrens zu sein“, sagte Rechtsanwalt Jörg Becker in einer Erklärung.

Der Generalbundesanwalt wirft den zwölf Angeklagten vor, sie hätten Moscheen angreifen, dort ein Blutbad anrichten und so einen Bürgerkrieg auslösen wollen, der zum Systemwandel in Deutschland führen sollte. Weil es vor diesem Hintergrund darauf ankommt, was wer wann genau gesagt hat, bemängelte Verteidiger Philipp Grassl schon am 11. Verhandlungstag im Juli „die fehlerhaften Abschriften der Telefonüberwachung“. Wenig später wunderte es seine Kollegin Kerstin Rueber-Unkelbach, dass „die Angeklagten entlastende Gesprächspassagen nicht in den verschrifteten Protokollen auftauchen“.

Entlastende Passagen in den Telefonaten nicht verschriftet?

So wies Verteidigerin Sylvia Schwaben jetzt auf ein Gespräch hin, in dem ihr Mandant Markus K. sagt: „Ich habe keine Lust mehr auf Aggressionspotenzial. Im privaten Umfeld ja, sonst nicht.“ Damit drücke er aus, so die Juristin, dass K. das von der Anklage unterstellte Ziel eines Umsturzes nicht mittrug – ein K. entlastendes Indiz.

In einem anderen verschrifteten Protokoll ist aus einem Gespräch des Angeklagten Thomas N. mit seinem Bruder wiedergegeben: „Merkel und Hitler seien beide Juden.“ Im Mitschnitt heißt wörtlich: „Rothschild leitet Europa, der Drecksjude. Und die ist auch jüdischer Abstammung, die Frau Merkel. Auch der Adolf Hitler ist ein Jude.“

Solche Fehler sind wohl auch ein Grund dafür, dass der vorsitzende Richter des 5. Strafsenats, Herbert Anderer, an 13 der bislang 29 Verhandlungstage die Mitschnitte aufgezeichneter Telefonate im Gerichtssaal abspielen ließ. „Entscheidend ist“, gab er vergangene Woche vor, „was wir hier im Gerichtssaal hören.“ Zumal die Juristen jetzt auch Kopien der Audios bekamen. So sollen sie die Gespräche selbst abhören und beantragen können, ihnen wichtige Telefonate auch offiziell in den Gerichtsverhandlungen zu hören.

Richter: „Eines Polizisten unwürdig“

Auch die Durchsuchungen und Festnahmen von zwölf der 13 mutmaßlichen Gruppenmitglieder am 14. Februar 2020 muten nach der Schilderung eines Kriminalhauptkommissars des Landeskriminalamtes alles andere als professionell vorbereitet an. Einen Tag vor den Razzien sei nachmittags „alles bei uns zusammengetrommelt worden, was irgendwie frei war für die Aktion. Da ist alles rekrutiert worden“. Der Fall sei kurz in einer Einsatzbesprechung vorgestellt worden. Den Beamten seien die Objekte im gesamten Bundesgebiet für die Durchsuchungen zugewiesen worden.

Der Kriminalist, seit 2017 im LKA mit Ermittlungen im Bereich des Islamismus betraut, hatte bis dahin „dienstlich noch nie etwas mit Rechts zu tun“. Von dem für ein Objekt in München zuständigen Ermittlertrios sei einzig ein Kollege schon vorher mit der Gruppe S. befasst gewesen. „Er hat mich auf der Fahrt nach München kurz ins Bild gesetzt.“ Der andere Kollege sei aus Karlsruhe gekommen und mit eigenem Auto nach Bayern gefahren. Der Beschluss für die um 6 Uhr geplante Durchsuchung sei den Beamten erst um 5.30 Uhr übergeben worden.

Trotzdem vernahm der Kriminale um 13.30 Uhr einen der Hauptbeschuldigten des Verfahrens. Heute hat er kaum noch Erinnerungen an das Verhör: Einmal habe der Angeklagte das Vernehmungsprotokoll handschriftlich verändert, war er überzeugt. Richter Anderer lässt die 14 Seiten der Mitschrift auf die übergroßen Bildschirme des Gerichtssaales projizieren: 17-mal hat Frank H. das Protokoll abgeändert. Es zudem mit „sinngemäß“ unterschrieben. Was er damit habe aussagen wollen, will der Richter wissen. Das wisse er nicht genau, sagt der Ermittler. Ob H. damit vielleicht zum Ausdruck habe bringen wollen, dass die beiden Befrager seine Antworten zusammengefasst und der Sekretärin diktiert hätten, hakt Anderer nach. Das könne sein, weicht der Hauptkommissar aus. „Wie Sie sich hier präsentieren, ist eines Zeugen der Polizei unwürdig“, sagt Anderer, der Angeklagten und Zeugen bislang immer wertschätzend und auf Augenhöhe begegnete.

Nicht genug Staatsschützer bei den Ermittlungen?

„Hier ermittelten Beamte ohne Kenntnis des Verfahrens und des Ermittlungsstandes, ohne Kenntnis zu den Personen, ohne Kenntnis des Sachverhaltes oder der Beschuldigten. Beamte, denen der fachliche Hintergrund des Staatsschutzes im größten rechtsterroristischen Ermittlungsverfahren nach dem NSU schlicht fehlte“, kritisiert Verteidiger Jörg Becker in einer Erklärung vor dem Gericht.

Sein Kollege Philipp Grassl sekundiert: Die Vernehmung des Hauptkommissars habe offenbart, „dass der Polizeieinsatz insgesamt nicht gut vorbereitet war. Schlechte Koordination der in letzter Minute eingesetzten Beamten und ihre mangelnden Kenntnisse über den Gegenstand des Verfahrens führten zu lückenhaften Ermittlungsergebnissen“.

Richter Anderer vergab inzwischen weitere Termine für den Prozess - bis zum Sommer 2023.