Während der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts protestierten Demonstranten in Karlsruhe gegen Sanktionen. Foto: dpa

Sind Hartz-IV-Sanktionen mit dem Grundgesetz vereinbar? Mit dieser Frage befasst sich das Bundesverfassungsgericht.

Karlsruhe - Hubertus Heil ist in der Regel durchaus für einen lockeren Spruch zu haben. Am Dienstag war der Arbeitsminister in den Gängen des Bundesverfassungsgerichts eher einsilbig unterwegs. Gerade mal ein kurzes Statement vor der Verhandlung gab er zu Protokoll, dann herrschte Schweigen. Er freue sich auf das Verfahren heute, so der Minister, denn er sehe „eine Riesenchance für eine gesellschaftspolitische Debatte“. Danke, keine Nachfrage bitte.

Die gesellschaftliche Debatte gibt es schon lange. Stephan Harbarth, der zum ersten Mal als Vorsitzender des Ersten Senates eine Verhandlung leitete, machte daher gleich zu Beginn klar, um was es beim Bundesverfassungsgericht nicht gehen wird: nicht um die Höhe des Arbeitslosengeldes II und schon gar nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen. „Erstmals stellt sich jedoch die Frage, was der Staat und damit auch die Gemeinschaft von Menschen fordern darf, bevor sie Sozialleistungen erhalten – und was er dann eventuell auch durch Sanktionen erzwingen darf“, sagte Harbarth, der noch vor wenigen Wochen als Abgeordneter für die CDU im Bundestag saß.

Wenn ein Job abgelehnt wird, werden die Leistungen gekürzt

Verweigern arbeitslose Hartz-IV-Empfänger einen zumutbaren Job oder brechen sie eine Ausbildungsmaßnahme ab, werden die Leistungen um 30 Prozent des Regelsatzes gekürzt. Bei einem zweiten Regelverstoß innerhalb eines Jahres erhöht sich die Sanktion auf 60 Prozent. Und beim dritten Regelverstoß sind es sogar 100 Prozent. Ob das mit der Verfassung in Einklang steht, werden die Verfassungsrichter in ein paar Monaten entscheiden.

Für Hubertus Heil ist die Stellungnahme komplizierter. Als enger Vertrauter des Ex-Kanzlers Gerhard Schröder und ehemaliger Generalsekretär seiner Partei hat Heil die Hartz-Reformen einst verteidigt. Als SPD-Politiker sträubt er sich aktuell nicht gegen Diskussionen in seiner Partei, die Regeln zu reformieren. Und als Arbeitsminister muss er sie nun verteidigen.

Der Arbeitsminister will Sanktionen auf den Prüfstand stellen

Nach knapp vier Stunden, in der ersten Verhandlungspause, gab sich der Arbeitsminister dann offener. Die abgestimmte Position der Bundesregierung habe er vertreten, sagte Hubertus Heil, nun gelte es das System „politisch weiterzuentwickeln“. Sanktionen gelte es auf den Prüfstand zu stellen, zum Beispiel, dass bei Fehlverhalten auch die Kosten für die Unterkunft gekürzt werde. Grund für die wiedererlangte Lockerheit: Heil glaubte, einen Trend aus den ersten Verhandlungsstunden ablesen zu können. Und der heiße: Mitwirkungspflichten seien notwendig.

Das ist eine mögliche, aber keineswegs die ausschließliche Interpretation dessen, was bisher geschah. Tatsächlich ist es eine ungewöhnliche Verhandlung gewesen, eine Aufklärungsstunde für die Richterbank, in der nicht die Vertreter zweier Parteien referiert hatten, sondern in der sich die Vertreter zweier Welten gegenüberstanden. Da ist zum einen die Welt der Jobcenter und Arbeitsvermittler. Für sie steht Detlef Scheele, seines Zeichens Vorsitzender der Bundesagentur für Arbeit. Scheele spricht von einem „partnerschaftlichen Prozess“ zwischen Hilfeempfänger und den Mitarbeitern der Jobcenter, er schildert, wie diese gemeinschaftlich Eingliederungsvereinbarungen ausarbeiten. Ihm zur Seite steht Claudia Czernohorsky-Grüneberg vom Jobcenter Frankfurt. Sie spricht von „Kunden“, die in den Jobcentern beraten werden. Und dann sind da die Vertreter der anderen Welt. Roland Rosenow vom Erwerbslosenverein Tacheles zum Beispiel. Es gebe wohl zwei Arten von Jobcentern, erklärt dieser, diejenigen, die sich vor Gericht präsentieren, und die anderen, in denen die Menschen seien, die sich dann an ihn wendeten. Caritas und Jobcenter beurteilen es unterschiedlich, ob einer Frau der kilometerlange Fußweg auf einem unbeleuchteten Feldweg zur Schichtarbeit zuzumuten sei. Und Friederike Mussgnug von der Diakonie berichtet über Fälle, in denen Sanktionen bei einem einzigen, fahrlässigen Versäumnis verhängt wurden.