Die Juristen Sergine Falilou Saw und Christina Lafontaine beim Rechtsstaatsunterricht mit Geflüchteten in Waiblingen Foto: Stoppel

Beim Rechtsstaatsunterricht an der Volkshochschule Unteres Remstal erfahren Geflüchtete, welche Rechte und Pflichten sie als Bürger haben. Das Interesse am freiwilligen, kostenlosen Kurs ist groß. Vier weitere folgen in diesem Jahr.

Waiblingen - Ordnung, Sicherheit und Gesetze, das sind die Begriffe, die am häufigsten fallen als Antwort auf die Frage: „Was gefällt Ihnen an Deutschland?“ Gestellt hat sie die Richterin Christina Lafontaine, die sonst am Sozialgericht in Stuttgart Recht spricht. An diesem Nachmittag aber spricht sie in Waiblingen über das Recht, und zwar zusammen mit ihrem Kollegen Sergine Falilou Saw. Fast 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich für den dreistündigen Kurs an der Volkshochschule Unteres Remstal angemeldet.

Die Altersspanne reicht von Anfang 20 bis Ende 60, die Frauen und Männer kommen aus Afghanistan, aus Syrien, dem Irak und aus Indien. Allen gemeinsam ist, dass sie mehr darüber erfahren wollen, wie der deutsche Staat funktioniert und welche Rechte sie als Bürger haben. „Wir wollen uns integrieren“, sagen zum Beispiel die seit einigen Monaten in Korb lebende Syrerin Rajaa Gharib und ihr aus dem Irak stammender Mann Haytham Al-Ogaidi.

Gleiche Rechte für Männer und Frauen

„Richtig. Ankommen. Rechtsstaatsunterricht für Flüchtlinge“ lautet der Titel des kostenlosen Angebots, das die Volkshochschule in Kooperation mit dem Justizministerium anbietet. Dass Christina Lafontaine und Sergine Falilou Saw den Kurs erst zum zweiten Mal abhalten, hat nichts mit mangelndem Interesse der Zielgruppe zu tun. „Auf die Ausschreibung des Justizministeriums haben sich sehr viele Richter und Staatsanwälte gemeldet, deshalb kommt man nicht so oft dran“, sagt Christina Lafontaine, die wie ihr Kollege einen Kurs als Vorbereitung auf ihre Rolle als Dozentin absolviert hat. „Wir haben keine Powerpoint-Präsentation vorbereitet, sondern wollen lieber mit Ihnen in den Dialog treten“, sagt Sergine Falilou Saw und ermuntert die Zuhörer, viele Fragen zu stellen. Damit das ohne Missverständnisse klappt, übersetzt die VHS-Dozentin Lanna Altakleh ins Arabische. Schon die Vorstellungsrunde zeigt: Alle Teilnehmer sprechen ganz passabel Deutsch, manche sogar sehr gut, obwohl sie erst seit wenigen Monaten hier leben.

„Hier gibt es Sicherheit und in Syrien Krieg“, beantwortet ein Mann die Frage danach, was er an Deutschland schätzt. Sein Landsmann lobt Gesetze und Ordnung: „Aber es ist zu kalt, in Syrien ist das Wetter besser.“ „Mir gefällt an Deutschland, dass Frauen und Männer gleiche Rechte haben und Frauen eine Ausbildung machen können“, sagt die 28-jährige Jaghdip Kaur, die gerne Zugbegleiterin werden würde: „Das war ein Grund, wieso ich gekommen bin.“ Über Demokratie wisse sie nicht viel, erzählt die Inderin. Das soll sich nun ändern.

Wieviele Bürger vertritt ein Abgeordneter?

Anhand von Beispielen erklären Christina Lafontaine und Sergine Falilou Saw die wichtigsten Begriffe: vom Rechtsstaatsprinzip über Demokratie und die Gewaltenteilung bis hin zu den Grundrechten und der Prozesskostenhilfe. „Gesetze gelten für alle, niemand steht über dem Recht“, sagt Sergine Falilou Saw: „Auch Frau Merkel muss sich daran halten.“ Das Grundgesetz als wichtigstes Gesetz stehe über allem, schütze Grundrechte wie Meinungs- und Religionsfreiheit und den Bürger vor dem Staat und vor Dritten. Eine Lehre, die man aus der jüngeren deutschen Vergangenheit gezogen habe, sagt Richter Sergine Falilou Saw: „Demokratie alleine reicht nicht, es sind Grenzen nötig. Hitler wurde demokratisch gewählt.“ Die Zuhörer diskutieren und stellen Fragen: Wie viele Bürger vertritt ein Bundestagsabgeordneter? Gewinnt bei einem Prozess immer der Angeklagte mit dem berühmteren Anwalt? Nein, beantwortet Richter Saw letztere Frage: „Anders als in den USA gilt bei uns der Amtsermittlungsgrundsatz. Wir müssen alles aufklären, was für und gegen jemanden spricht.“

„Wir sind nicht da, um zu sagen, dass hier alles besser ist“, betont Christina Lafontaine, und verteilt einige Fallbeispiele, welche die Teilnehmer bearbeiten sollen. Etwa den einer syrischen Frau, deren Mann nicht will, dass sie arbeiten geht. „Ist das okay?“ lautet die Frage an die Teilnehmer. In Deutschland nicht. Allerdings galt auch hierzulande lange Zeit: wollte eine Frau arbeiten, brauchte sie die Erlaubnis ihres Gatten. Das Gesetz wurde 1977 geändert.

Vier weitere Kurse

Initiative: Rund 300 Richter und Staatsanwälte haben sich laut dem baden-württembergischen Justizministerium als freiwillige Dozenten für das Projekt „Richtig. Ankommen. Rechtsstaatsunterricht für Flüchtlinge“ gemeldet. Laut dem Justizminister Guido Wolf haben in den ersten sechs Monaten rund 1500 geflüchtete Menschen daran teilgenommen. Das Projekt wurde Ende 2017 für die Dauer von zwei Jahren verlängert. Pro Jahr sind je 200 000 Euro dafür vorgesehen.

Termine: Die Volkshochschule Unteres Remstal bietet in diesem Jahr noch vier weitere kostenfreie Kurse an, an denen neben Geflüchteten auch andere Interessierte teilnehmen können. Der nächste Termin findet am 23. April von 18 Uhr an in der VHS-Außenstelle in Fellbach statt. Anmeldungen sind noch möglich (Telefon 0 71 51/95 88 00 oder auf der Internetseite unter www.vhs-unteres-remstal.de).