AfD-Chef Bernd Lucke Foto: dpa

Eigentlich ist mit Populismus „Nähe zum Volk“ gemeint – welcher Demokrat sollte da etwas dagegen haben? Doch Populisten haben keinen guten Ruf. In Deutschland müssen sich die Bürger vor ihnen aber keineswegs fürchten, meint ein namhafter Politikexperte.

Stuttgart - Fachleute beobachten mit Sorge einen Aufstieg rechtspopulistischer Parteien in Europa. „Rechts- und nationalpopulistische Parteien konnten sich fast überall in Europa als relevante politische Kräfte etablieren“, heißt es in einer Studie der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, die am Montag in Berlin vorgestellt wurde. Dies gehe zulasten aller traditionellen Parteien. Der Erfolg der EU-Gegner sei bemerkenswert, und rechtspopulistische Parteien spielten dabei eine Vorreiterrolle.

Zusätzlich zu Elitenkritik, Fremden- und Islamfeindlichkeit zeichneten sie ein „Feindbild Europa“. Dies beeinflusse etablierte Parteien in der EU, die Parteienlandschaft in vielen europäischen Ländern verändere sich dauerhaft. „Nationale Politik und Europapolitik stehen in vielen Ländern durch die harten Forderungen von Rechts- und Nationalpopulisten unter Druck“, schreiben die Studienautoren.

Um solchen Tendenzen entgegenzutreten, raten sie unter anderem dazu, komplexe Sachverhalte in der Europapolitik verständlich zu erklären, die Vorteile der Europäischen Integration klar herauszustellen und die Botschaften der Rechtspopulisten durch direkte thematische Auseinandersetzung zu „entzaubern“.

Fuß fasste der Populismus in Europa in den 80er Jahren. Der Erfolg populistischer Parteien ist der Ausdruck der Angst bei vielen, dass der Reichtum und die Mittel, die der Wohlfahrtsstaat bietet, durch die Politiker der etablierten Parteien zum Fenster rausgeschmissen werden. Als Ikone der Populisten gilt Jörg Haider, der österreichische Politiker, der 2008 bei einem Autounfall ums Leben kam – der klassische rechte Populist. „Mir geht es um Lösungen, nicht um Posten“, tönte er einst im Wahlkampf. Erst nach seinem Tod wurde das Ausmaß der Korruption klar, die sich in seiner Regierungszeit als Kärntner Landeshauptmann (Ministerpräsident) breitgemacht hatte.

Heinz-Christian Strache, Haiders Nachfolger als FPÖ-Chef, gibt sich zwar auch noch populistisch, mit populistisch gefärbten Kampfreden hält er sich jedoch in letzter Zeit vornehm zurück. Die Wortführer der europäischen Rechtspopulisten sitzen mittlerweile in Frankreich und Holland: Die Chefin der Front National, Marine Le Pen, und der Niederländer Geert Wilders – EU-Gegnerin die eine, Islambekämpfer der andere – haben sich eben auf ein Bündnis im Europa-Parlament verständigt. Einen Namen als europafeindlicher Populist hat sich auch Nigel Farage gemacht, Chef der UK Independence Party (UKIP) und Mitglied des Europa-Parlaments seit 1999. Bei der Europawahl Ende Mai 2014 könnten populistische Parteien neue Erfolge erzielen. In Brüssel geht die Angst um.

Ist Populismus also Gift für die Demokratie? Der österreichische Politologe Peter Filzmaier will nicht die Alarmglocken läuten, sieht aber die etablierten Parteien in der Pflicht. „Es ist Aufgabe der Politik und der Medien, komplexe Sachverhalte verständlich zu erklären.“ Die Sehnsucht nach Sofortlösungen sei gestiegen, und die Präsentation politischer Ideen müsse auf kürzestmögliche Art und Weise erfolgen. Als Grund nennt Filzmaier unter anderem die sozialen Netzwerke, die diesen Trend beförderten – auf Twitter etwa müsse in 140 Zeichen alles gesagt sein. „Das zwingt zu einer Übervereinfachung“, beklagt Filzmaier.

Der These, dass nur einzelne Gruppierungen am rechten Rand populistisch seien, widerspricht Filzmaier: „Es sind doch alle Parteien populistisch. Das ist eine Folge der Mediendemokratie.“ Eine Gefahr für die Demokratie besteht für Filzmaier freilich darin, dass der Populismus simple Antworten auf schwierige Fragen suggeriert.

Dieser Einschätzung pflichtet Florian Hartleb, Parteienexperte bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, bei. Durch Populisten werde „die Politik drastisch vereinfacht und dadurch aufgeregter, dann gibt es weniger Zeit für sachgerechte Lösungen.“ Doch in der Entwicklung lägen auch Vorteile, wie Hartleb befindet. „Die Volksparteien sind diskussionsfreudig und öffnen sich schnell neuen Ideen. Hier bieten sich auch Chancen durch soziale Medien“, sagte er unserer Zeitung.

Doch die Etablierten können nicht alle Strömungen einfangen. So dient sich die Alternative für Deutschland (AfD) den Euroskeptikern seit diesem Jahr als politische Heimat an. Die Partei war bei den Bundestagswahlen nur knapp an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Dass die AfD immer wieder in die Nähe des Populismus gerückt wird, geschehe nicht ganz zu Unrecht, befindet Hartleb. Wenn ihr führender Kopf Bernd Lucke versuche, auch Immigrationsfeindlichkeit auf die Agenda zu setzen, mache dies die AfD den rechtspopulistischen Parteien in Europa ähnlicher. Im Bundestagswahlkampf etwa hat die Partei in Mecklenburg-Vorpommern den Spruch „Einwanderung ja, aber nicht in unsere Sozialsysteme“ plakatiert. Lucke wehrt sich freilich nach Kräften, in die Nähe von Populisten gerückt zu werden, wie dies der Bundespräsident getan habe. „Populismus ist eine abwertende und negativ besetzte Bezeichnung, und der Bundespräsident hat sie auch so verwendet. Dagegen habe mich gewandt“, sagt er unserer Zeitung.

Mit rechtspopulistischen Parteien im Europaparlament gemeinsame Sache machen – nein, das kommt für Lucke nicht in Frage. Flugs dreht er den Spieß um – in Richtung CSU: „Was soll man denn von einer Partei halten, die eine Autobahnmaut von ausländischen Autofahrern fordert?“ Und gibt dann die Antwort gleich selbst: „Das ist doch extrem populistisch. Das zielt darauf ab, Ausländer, die beim Tanken doch auch die Mineralölsteuer bezahlen, anders zu behandeln als Inländer.“

Der angesehene Politikwissenschaftler Jürgen W. Falter nimmt Lucke allerdings vor dem Vorwurf des Populismus in Schutz („Er ist ein seriöser Wirtschaftswissenschaftler“), sieht aber in dessen Umfeld durchaus Vertreter, die mit den Verlockungen des Populismus liebäugeln.

Muss man sich angesichts der Wahlerfolge der Populisten in Europa Sorgen machen – Erfolge, die sich bei der Europawahl wiederholen könnten? Da wiegelt der 69-Jährige ab: „Populismus an sich muss nichts Schlechtes sein. Es kommt darauf an, wer es ist. In Deutschland sehe ich überhaupt keinen Anlass für Ängste.“ Hierzulande gebe es aufgrund der Vergangenheit keine echte rechtspopulistische Bewegung, sagt Falter unserer Zeitung, und sich schließt sich Filzmaier an: „Wenn man Demokratie zu Ende denkt, sind alle Parteien populistisch.“