Die erneute Kritik an rechtsextremistischen Bestrebungen in der Bundeswehr hat eine lange Vorgeschichte. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer scheint gewillt, nun hart durchzugreifen.
Berlin - Ein zwölfseitiger Brief erschüttert die Bundeswehr. Direkt adressiert an Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, aufgesetzt von einem Hauptmann des Kommandos Spezialkräfte, gewährt er tiefe Einblicke in die Elitetruppe, in der rechtsextreme Gesinnungen und Umtriebe „ignoriert oder gar toleriert“ würden, wie der „Spiegel“ in seiner jüngsten Ausgabe schreibt. Als Beispiele führt das zwölfseitige Schreiben unter anderen an, wie in Anspielung auf den codierten Hitlergruß im Funkverkehr das Rufzeichen „Y-88“ verwendet wurde oder ein Ausbilder sich einer „aggressiv nationalkonservativen Gesinnung“ rühmte.
Schon im Mai war im Zuge einer Polizeirazzia in Sachsen ein schlechtes Licht auf das in Calw ansässige Elitekommando gefallen. Bei dem festgenommenen Soldat, der durch eine mit rechtsextremer Symbolik aufgeladene Abschiedsparty für einen KSK-Kommandeur im April 2017 auffällig geworden war, hatten interne Ermittler zudem Waffen und Sprengstoff in einem privaten Versteck entdeckt.
Der Fall Franco A. löst eine breite Debatte aus
Debattiert wird über solche und andere Fälle jedoch schon länger. Auslöser dafür war, dass im Februar 2017 der Terrorverdacht gegen den Offizier Franco A. bekannt wurde. Er brachte eine breite Diskussion um Rechtsextremismus in der Truppe in Gang – und der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen viel Kritik innerhalb der Bundeswehr ein, da sie sich in einer ersten Reaktion pauschal über ein Haltungsproblem in der Bundeswehr und einen „falsch verstandenen Korpsgeist“ geäußert hatte.
Bis heute ist der Fall Franco A. juristisch nicht geklärt, und auch die Frage einer Einbindung in ein rechtsextremes Netzwerk ist nicht aufgearbeitet. Die Affäre kam ins Rollen, als der Soldat bei der Rückreise aus Österreich mit einer illegalen Waffe gefasst wurde, die er zuvor aus einem Versteck in einer Toilette geholt hatte. Bei einer Durchsuchung fanden Sicherheitsbehörden neben Devotionalen und Chats eine Liste mit Namen von Politikern, die Franco A. im Visier gehabt haben soll. Schnell wurde bekannt, dass A. sich eine zusätzliche Scheinidentität als syrischer Asylbewerber zugelegt hatte und in Bayern in einer Unterkunft untergebracht war, während er eigentlich Dienst beim Jägerbataillon 291 in der deutsch-französischen Brigade in Illkirch bei Straßburg versah. Die rechtsextreme Orientierung von Franco A. war lange zuvor bekannt. Obwohl seine Masterarbeit 2013 ein rechtsextremes Weltbild offenbarte, wurde er befördert.
Ermittlungen des Generalbundesanwalts
Der Generalbundesanwalt übernahm im Mai 2017 die Ermittlungen, auch gegen zwei weitere Soldaten wurde zunächst Haftbefehl erlassen. Der Verdacht lautet auf einen geplanten rechtsterroristischen Anschlag unter falscher Flagge. Die Tat sollte laut Generalbundesanwalt als radikalislamistischer Terrorakt eines anerkannten Flüchtlings aufgefasst werden. Ende 2017 wurde Anklage erhoben. Es folgte ein langer Rechtsstreit über deren Zulassung – erst vergangenen November ließ der Bundesgerichtshof sie tatsächlich zu.
Einer der beiden ebenfalls beschuldigten Soldaten wurde wegen Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Die Ermittlungen gegen den zweiten Soldaten, Maximilian T., wurden eingestellt – er arbeitet heute im Bundestagsbüro eines AfD-Abgeordneten, obwohl ihn der Militärische Abschirmdienst (MAD) als Rechtsextremisten einstufte. Nach Recherchen der „tageszeitung“ zum rechtsextremen „Hannibal“-Netzwerk waren sowohl Franco A. als auch Maximilian T. Mitglied einer Prepper-Chatgruppe, die der damalige KSK-Soldat André S. alias Hannibal ins Leben gerufen hatte.
„Mit ein bisschen Kosmetik ist es nicht getan“
Auf den Fall Franco A. und dessen Weiterungen hatte Kramp-Karrenbauers Amtsvorgängerin von der Leyen unter anderem mit dem sogenannten „Traditionserlass“ reagiert. Er gab den Soldaten vor, auf der Suche nach Vorbildern vorrangig die eigene Bundeswehrgeschichte zu bemühen – und führte beispielsweise zu Umbenennungen von Kasernen. Während es im Verteidigungsministerium heißt, dass die nach Brüssel abgewanderte Ministerin „gute Vorarbeit“ im Kampf gegen den Rechtsextremismus geleistet habe, wird doch genauso deutlich, dass im Bezug auf das Kommando Spezialkräfte „bisher so gut wie nichts geschehen“ sei. Dabei ist der Anteil der vom MAD geführten Verdachtsfälle dort um ein Vielfaches höher als im Rest der knapp 185000 Männer und Frauen zählenden Truppe: Gegen 550 von ihnen ermittelt der Militärgeheimdienst, darunter sind 20 Angehöriges des Spezialkräftekommandos, das über eine Personalstärke von rund 1000 Soldaten verfügen soll.
Schon vor Erhalt des Briefes hatte Kramp-Karrenbauer eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis zur Sommerpause über organisatorische Konsequenzen für die KSK beraten soll. Ihr gehören neben Staatssekretär Peter Tauber und Eberhard Zorn als Generalinspekteur der Bundeswehr auch der KSK-Kommandeur an – bei ihrem ersten Treffen am Freitagabend lag der Brief bereits auf dem Tisch. Seitdem ist klar, dass die Geduld mit den Zuständen in der Elitetruppe zu Ende geht. Dafür spricht auch, dass der sogenannte „Whistleblower“ nicht von der Ministerin des Geheimnisverrats bezichtigt, sondern vielmehr für seine offenen Worte gelobt wurde: „Wer Missstände benennt, hilft sie zu beseitigen. Wer schweigt, ist Teil des Problems.“ Der Hauptmann wurde inzwischen dem KSK-Stabschef zugeteilt.
So spricht vieles dafür, dass Kramp-Karrenbauer die Forderung erfüllt, die beispielsweise auch Agnieszka Brugger gegenüber unserer Zeitung erhebt: „Die Verteidigungsministerin muss jetzt knallhart untersuchen und grundlegende Konsequenzen für das KSK ziehen“, so die stellvertretende Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Bundestag, „auch eine Neuaufstellung muss als Option auf dem Tisch liegen“. Aus dem Ministerium klingt das kaum anders: „Mit ein bisschen Kosmetik ist es nicht getan.“