Heftige Demonstrationen wie in Heidenau blieben im Südwesten bislang aus. Die Gewaltbereitschaft gegen Flüchtlinge ist in diesem Jahr jedoch gestiegen. Foto: dpa

Eigentlich steht der Südwesten im Vergleich zu anderen Bundesländern bislang verhältnismäßig gut da, was Rechtsextremismus angeht. Doch das Flüchtlingsthema wird zunehmend von Rechten instrumentalisiert. Auch im Südwesten gibt es „braune Flecken“.

Stuttgart - Die Flüchtlingsdebatte hält Deutschland in Atem. 15.000 Hilfesuchende kamen allein im August nach Baden-Württemberg, wie ein Sprecher des Integrationsministeriums bestätigte. Dies sei ein historischer Höchstwert. Zwar zeigt sich der Großteil der Bevölkerung offen und hilfsbereit. Doch Rechtsextreme nutzen die derzeitige Lage aus, um Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen.

Das Landeskriminalamt Baden-Württemberg gebe derzeit noch keine aktuellen Zahlen heraus, jedoch bestätigte ein Sprecher: „Die rechtsextremen Straf- und Gewalttaten sind in diesem Jahr im Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegen.“ Es sei demnach ein Zusammenhang zwischen den steigenden Flüchtlingszahlen und der Anzahl der rechten Verbrechen zu erkennen.

Vergleichsweise positive Zahlen im Vorjahr

Dabei stand Baden-Württemberg 2014 in Sachen Rechtsextremismus verhältnismäßig gut da: Der Landesverfassungsschutz registrierte 1800 Rechtsextremisten im Südwesten, wie es im diesjährigen Verfassungsschutzbericht heißt. Die Zahl stagnierte im Vergleich zum Vorjahr. Andere Bundesländer, beispielsweise Nordrhein-Westfalen (3470), Sachsen (2500) und Bayern (2200), nannten in ihren aktuellen Berichten höhere Zahlen.

Die rechtsextremen Verbrechen gingen in Baden-Württemberg 2014 sogar zurück: So gab es hier 865 Straf- sowie 23 Gewalttaten. Im Vergleich dazu: Nordrhein-Westfalen registrierte im Vorjahr 3286 Straf- und 370 Gewalttaten.

Höhere Dunkelziffer vermutet

Die Dunkelziffer der Verbrechen im Südwesten könnte allerdings noch wesentlich höher sein, vermutet der Politikwissenschaftler Timo Reinfrank: „Vor allem in ländlichen Regionen ist die Bereitschaft, beispielsweise den Nachbarn anzuzeigen, wesentlich geringer“, sagt der Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung, die sich gegen Rechtsextremismus engagiert. Die Sensibilität der Mitbürger, glaubt Reinfrank, sei in Großstädten grundsätzlich ausgeprägter.

Generell existieren laut Landesamt für Verfassungsschutz keine “rechten Hochburgen“ im Südwesten, wohl aber gibt es Gegenden, in denen Rechtsextremismus verstärkt auftritt. Dazu zähle beispielsweise die Region in und um Karlsruhe und der Rhein-Neckar-Kreis.

Was die Gewalt gegen Flüchtlinge angeht, so seien dem Landesverfassungsschutz in diesem Jahr „keine koordinierten gewalttätigen Aktionen [...] bekannt“. Es gebe jedoch vereinzelte Demonstrationen, wie auch gewalttätige Übergriffe auf Asylbewerber oder Flüchtlinge.

Flüchtlinge sind „Sündenbock“ für Rechtsextreme

Das Thema Flüchtlinge sei für Rechtsextremisten aus verschiedenen Gründen attraktiv, sagt Rolf Frankenberger von der Universität Tübingen: „An den hohen Migrantenanteil hier in der Region hat man sich schon gewöhnt. Jetzt tauchen auf einmal viele neue Menschen auf, die in den Augen der Rechten keine Berechtigung haben, hier zu sein“, so der Politikwissenschaftler. So werden die Flüchtlinge schnell als Sündenbock für Unzufriedenheit identifiziert.

Außerdem schätzt Frankenberger es aus logistischer Sicht als relativ einfach ein, gegen Flüchtlingsheime zu demonstrieren: „Gefühlsmäßig liegen die meisten Unterkünfte ja nicht im Stadtzentrum, sondern weiter außerhalb.“ Diese Abgeschiedenheit erleichterte Demonstrationen, aber auch Anschläge.

Hasskriminalität im Internet nimmt zu

Auch das Internet nutzen Rechtsextreme dem Verfassungsschutz zufolge immer häufiger, um ihre Ideologien zu verbreiten. Diese Zunahme beobachte man allerdings schon seit mehreren Jahren. Einen weiteren, damit zusammenhängenden Trend sieht Rolf Frankenberger in den sogenannten „Hate Crimes“ (Hasskriminalität).

Demnach werden viele fremdenfeindliche Kommentare nicht etwa von bekennenden Rechtsextremisten verfasst, sondern von Internetnutzern, die ihrem Ärger und ihrer Unzufriedenheit Luft machen wollen. „Diese Menschen fühlen sich häufig in ihrer sozialen Existenz bedroht“, so der Politikwissenschaftler. Die Hemmschwelle, derartige Äußerungen zu tätigen, werde durch die Anonymität des Internets gesenkt.

Insgesamt habe sich die Situation des Rechtsextremismus im Südwesten laut Landesamt für Verfassungsschutz im Laufe der Jahre verändert: Demnach ersetzten lose Zusammenschlüsse immer häufiger feste Gruppierungen in der Szene. Grund dafür seien moderne Kommunikationsmittel: „Um Mitstreiter zu mobilisieren, ist im Internetzeitalter keine feste Organisation mehr nötig“, sagte ein Sprecher.