FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke im Zwiegespräch mit dem Grünen-Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann Foto: dpa/Bernd Weißbrod

In der Debatte über mehr Ganztagsangebote an Grundschulen üben Ministerpräsident Kretschmann, FDP und SPD schon mal die Balance zwischen Kritik und Schulterschluss.

Stuttgart - Noch sind die Sondierungen über die nächste Bundesregierung erst am Anfang, da wärmen erste Lichtstrahlen der angestrebten Ampelkoalition die Debatte im Stuttgarter Landtag. Kurz bevor Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) seine Erklärung über den mit dem Bund vereinbarten Rechtsanspruch auf Ganztag in der Grundschule abgibt, sucht er im Plenarsaal den Schulterschluss mit FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke. Vielleicht hat der Regierungschef dem Liberalen nur zum sechzigsten Geburtstag gratuliert, vielleicht hat man gefachsimpelt. Jedenfalls war sichtbar, dass nach den gescheiterten Gesprächen über eine Landes-Ampel im Frühjahr die Gräben zwischen Grün, Gelb und Rot im Landtag in der Phase der Berliner Bündnisanbahnung nicht mehr unüberbrückbar sind.

 

Ab 2026 sollen Erstklässler die Wahl haben

Der grün-gelbe Schulterschluss war nicht das einzige derartige Signal. Sowohl Rülke als auch SPD-Fraktionschef Andreas Stoch hat man in Erwiderungen auf Kretschmann-Reden schon polemischer und aggressiver erlebt. Jetzt aber üben sich die beiden Landtagsoppositionellen in Erwartung einer Berliner Regierungskooperation in dem guten demokratischen Brauch, Kretschmanns Beitrag zu einem finanziell besseren Ganztagsübereinkommen mit dem Bund anzuerkennen und zugleich den Finger in die Wunden grün-schwarzen Regierungshandelns zu legen.

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Der Ministerpräsident hatte zum Auftakt der Debatte mit Eigenlob nicht gespart. Zu Recht verwies er darauf, dass ohne „die Hartnäckigkeit des Landes Baden-Württemberg“ das um viele Millionen verbesserte Vermittlungsergebnis nicht zustande gekommen wäre. Jetzt aber sind die Weichen so gestellt, dass das ab 2026 nach und nach jeder Erstklässler im Südwesten die Wahl zwischen klassischer Halbtags- oder einer um Betreuungsangebote ergänzten Ganztagsschule bekommen kann.

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Land will noch mehr Flexibilität schaffen

Es sei eine steile und falsche Behauptung, so Kretschmann, dass Baden-Württemberg beim Ausbau der Ganztagsbetreuung auf der Bremse steht. „Treiber“ sei das Land mit den Verbesserungen in den letzten zehn Jahren und mit der Absicht von Grün-Schwarz, die die Ganztagsangebote nach dem Willen der Eltern in den nächsten fünf Jahren noch flexibler zu gestalten.

Im Blick auf Berlin regte Kretschmann eine neue Föderalismuskommission an, bei der es nicht nur um eine „faire“ Verteilung der Steuermittel, sondern auch um die Frage nach der „guten Ordnung der Dinge im föderalen Staatswesen“ gehen sollte. Ganz im Geiste der neuen Kooperationsbereitschaft nahm FDP-Mann Rülke die Anregung sogleich als „sinnvoll“ auf. Es sei notwendig, Kompetenzen und Finanzen im Bund-Länder-Gefüge neu zu justieren. Allerdings sei „nachzuvollziehen wenn der Bund sicherstellen will, dass das Geld auch in Bildung und nicht in die Länderhaushalte fließt, wenn er Milliarden für die Digitalisierung der Schulen gibt“. Dies anzuerkennen könne Ziel einer solchen Föderalismuskommission sein. Kretschmann habe „beim Bund mehr Geld rausgeholt, das ist richtig“, sagte Rülke; aber zur Blaupause für den Erfolg tauge das noch nicht. Kretschmann habe nicht gesagt, wie das Land seinen Finanzanteil aufbringen und das nötige Fachpersonal gewinnen wolle. Außerdem vermisste Rülke ein Bekenntnis zu offenen und flexiblen Ganztagsangeboten an den Schulen des Landes im Gegensatz zu pädagogisch durchstrukturierten gebundenen Konzepten mit ganztägiger und fester Stundentafel. Nur bei CDU-Fraktionschef Manuel Hagel, der auch für den offenen Ganztag und die Wahlfreiheit der Eltern eintrat, fand Rülke dabei Unterstützung.

„Mehr Zeit für vertieftes Lernen“

Alle Redner im Landtag bekannten sich zu dem Ziel, mehr Bildungs- und Chancengerechtigkeit unabhängig von der Herkunft der Schüler erreichen zu wollen. SPD-Chef Andreas Stoch pochte vehement auf „mehr Zeit für vertieftes Lernen“ in festen Ganztagsschulstrukturen und hielt Kretschmann vor, dass die bisherigen Fortschritte in diesem Bereich allein auf die gemeinsame grün-rote Regierungszeit zurückzuführen sei, als die Ganztagsschule im Schulgesetz verankert wurde. Seither sei es vorbei mit Fortschritten; nur dreißig Prozent der gut 2000 Grundschulen im Land hätten auf Ganztagsbetrieb umgestellt, während die offenen kommunalen Betreuungsangebote nicht einmal die Mindestqualitätsanforderungen erfüllten. „Machen Sie Schluss mit reiner Betreuung, bei der man ,Ganztag‘ auf die Türe pinselt“, forderte Stoch.