Die Frontfrau der Französischen Rechten: Marine Le Pen. Foto:  

Keine andere Partei in Frankreich stellt bei den kommenden Kommunalwahlen so viele junge Kandidaten auf wie die Rechtspopulisten. Sie gehören zu Marine Le Pens Strategie der „Entdämonisierung“. Was treibt die jungen Politiker des Front National an?

Paris - Man muss die junge Frau eigentlich sympathisch finden, dieses selbstbewusste Energiebündel, das sich politisch engagiert – nach dem Motto: handeln statt meckern. Mathilde Androuët sagt, sie sei für eine Politik, die endlich den Menschen wieder ins Zentrum der Aktion stellt. Für eine echte Alternative zu den verlogenen Politikern des „Systems“. Deshalb ist die 29-Jährige vor zweieinhalb Jahren in eine Partei eingetreten, die von sich behauptet, die Menschen zu beschützen – aber nur bestimmte. Franzosen.

Mathilde Androuët ist beim Front National (FN). Dort stieg die redegewandte Absolventin einer Elitehochschule für Politikwissenschaften schnell zur Vizepräsidentin der Jugend-Sparte auf. Bei den Kommunalwahlen im März tritt sie im Pariser Vorort Houilles an. Dort lebt sie seit Kindesbeinen.

„Ich kenne die Probleme dort genau“, sagt sie. An viele Wähler hat sie einen Fragebogen verteilt, um zu erfahren, wo der Schuh drückt. Etwa dort: „Houilles ist nur noch eine Schlafstadt, ohne eigenes soziales Leben. Die kleinen lokalen Geschäfte mussten internationalen Großbanken weichen.“

Der FN-Erfolg stützt sich darauf, Probleme laut anzuklagen – seltener bietet er tragfähige Lösungen an. Wenn doch, dann klingen sie verlockend einfach: Grenzen schließen, aus dem Euro austreten, die eigene Wirtschaft massiv subventionieren – ob es „denen in Brüssel“ passt oder nicht.

Vom Votum im März erhofft sich die Partei die Bestätigung, Frankreichs dritte politische Kraft zu sein. Schon bei der Präsidentschaftswahl 2012 hatte Spitzenkandidatin Marine Le Pen 17,9 Prozent geholt, bei Erstwählern sogar 23 Prozent. Während sich Parteigründer Jean-Marie Le Pen für eine lokale Verankerung nicht interessierte und in der Protestrolle blieb, will seine Tochter Marine , die vor drei Jahren den Vorsitz übernahm, weiter – nach oben, an die Macht.

Dafür braucht sie mehr Sitze als bisher in den Stadt- und Gemeinderäten, und sie will Rathäuser übernehmen, auch wenn FN-Bürgermeister in einigen südfranzösischen Städten Negativbeispiele für katastrophale Budget-Verwaltung sind.

Doch nicht überall ist es dem FN gelungen, Kandidaten für eine eigene Liste zu finden. Ein Drittel tritt erstmals an, rund 40 Prozent sind unter 30. Keine andere Partei schickt so viele Neu- und Jungpolitiker ins Rennen wie der FN – unbelastete Gesichter, die mit dem früheren Image einer reaktionären Randpartei aufräumen und den FN zum Vertreter der „kleinen Leute“ machen sollen. Sie scheinen ebenso modern und mediengewandt wie die 45-jährige Le Pen.

Die zweifach geschiedene Mutter dreier Kinder, die demonstrativ Sympathie für Schwule zeigt, hat von ihrem Vater das rhetorische Talent geerbt, formuliert aber weitaus vorsichtiger. Wurde der mittlerweile 85-Jährige mehr als 20-mal wegen Aufstachelung zum Rassenhass oder Beleidigung verurteilt, käme ihr ein Satz zu den Gaskammern im Zweiten Weltkrieg, die nur ein „Detail der Geschichte“ seien, nicht über die Lippen. Klar distanziert hat sie sich aber nie von den bösen Ausrutschern ihres Vaters, des FN-Ehrenpräsidenten.

Regierungschef Jean-Marc Ayrault warnt längst vor einer „neuen extremen Rechten, ansprechender, geschickter und präsentabler“. Während viele Medien den Rechten Le Pen links liegen ließen, wird seine Tochter überall wie selbstverständlich als Vertreterin der Opposition eingeladen, ebenso wie ihre Nichte Marion Maréchal-Le Pen, mit 24 Jahren jüngste Abgeordnete in der Nationalversammlung, oder der 32-jährige Partei-Vize Florian Philippot, Bürgermeisterkandidat im lothringischen Forbach.

Die neue junge Garde gehört zu Le Pens Strategie der „Entdämonisierung“, um die Partei gerade für mehr junge Leute und Frauen wählbar zu machen. Eine Partei, die sich lieber „patriotisch“ als „nationalistisch“ nennt, die Nazi-Symbole und offen rassistische Sprüche verbietet. Wenn Mitglieder die dunkelhäutige Justizministerin Christiane Taubira als „Affenweibchen“ beschimpfen, werden sie verlegen als seltene Ausnahmen abgetan.

Die Europa-Kritikerin Le Pen vernetzt sich zudem mit Gesinnungsgenossen wie Geert Wilders von der niederländischen Freiheitspartei (PVV) oder Vertretern der rechtspopulistischen Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ). Sie droht jenen mit juristischen Schritten, die ihre Partei „rechtsextrem“ nennen. Schon ihr Vater bestand darauf, der FN sei weder links noch rechts. Sondern anders und angeblich besser.

Androuet trat „dank Marine“ und deren Professionalität in die Partei ein, während Le Pen senior so etwas wie „eine Romanfigur“ sei. Der jungen Frau geht es um „Ideen“ – für ein souveränes Frankreich, gegen das liberale System. Für das sogenannte soziale Programm des FN, nach dem Jobs, medizinische Betreuung, Sozialleistungen und -wohnungen primär Franzosen zustehen sollen. Ein radikaler Einwanderungsstopp sei auch für Migranten wichtig, die auf der Basis falscher Versprechen kämen. Frankreich habe selbst genug Probleme und könne ihnen nichts anbieten.

„Wer uns rassistisch nennt, hat nichts verstanden“, sagt  Androuët. Um sich solchen Vorwürfen zu entziehen, trat sie beim FN bisher dennoch nur unter dem Namen Elsa Vassent auf. Erst als Kandidatin muss sie sich wohl oder übel outen. „In der Kommunikationsagentur, in der ich arbeite, kommt das ganz schlecht an “, gibt sie zu. „Und ich habe keine Patentante mehr. Sie hat mir einen Brief geschrieben, dass sie das nicht akzeptieren kann.“ Das habe sie getroffen, während ihr die Beleidigungen von Fremden oder flüchtigen Bekannten egal seien. Auch ihre beiden Brüder wollen mit ihrem Engagement nichts zu tun haben.

Selbst die Eltern, früher FN- und heute Nichtwähler, halten Distanz. „Wir reden nicht mehr über Politik.“ Wenn die Rechtspopulisten immer attraktiver für die Jugend werden, so nur bei einem Teil, sagt der Soziologe Sylvain Crépon: „Nämlich bei denen, die in Krisenzeiten auf den Arbeitsmarkt kommen und sich Sorgen über ihre Zukunft machen. Kritisch gegenüber der Globalisierung, stammen diese jungen Leute meist aus einfachen Schichten und haben wenig Diplome.“

Einerseits profitiert Le Pen von der latenten Furcht vor einer „kulturellen Invasion“ durch Fremde, vor allem Muslimen, andererseits vom wachsenden Pessimismus im Land, wo mehr als ein Viertel der unter 26-Jährigen Arbeit suchen und Misstrauen gegenüber allen Institutionen herrscht, vom Staat bis zur Kirche. Sie macht sich zum Sprachrohr all jener, die sich von den übrigen Parteien im Stich gelassen fühlen – und das werden immer mehr. In Umfragen schließen nur noch 58 Prozent aller Franzosen und 45 Prozent der unter 25-Jährigen aus, dem FN ihre Stimme zu geben.

Ein Drittel der Franzosen nennt den FN dagegen eine glaubwürdige politische Alternative. Bei den Europawahlen im Mai könnte er mit 23 Prozent stärkste Partei werden. Die Franzosen hätten die Nase voll von immer denselben Gesichtern, sagt FN-Funktionär Philippot triumphierend: „Wir geben den talentierten Jungen eine Chance.“

Er wolle nicht unbedingt Berufspolitiker werden, sondern vor allem etwas bewegen, sagt demgegenüber Paul-Alexandre Martin, im Vorstand der FN-Jugendbewegung und Wahlkampf-Organisator in Lyon. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2012 hatte er fast 14 Prozent geholt.

Der 23-jährige Student tritt höflich auf. Was er dazu sagt, dass Experten fast unisono die wirtschaftspolitischen Forderungen Le Pens in der Luft zerreißen, allen voran die nach der Rückkehr zum Franc? „Wir haben ein glaubwürdiges Programm, das der Sparpolitik ein Ende setzt“, erwidert der junge Mann. Frankreich könne schnell seine Budget-Probleme loswerden, wenn es die 70 Milliarden Euro pro Jahr für Einwanderung nicht mehr aufbringen müsse. Der Front National hat seine Rhetorik geändert, nicht aber seine rechtsnationale, ja rechtsextreme Gesinnung. Martin ist wortgewandt genug, um Ängste zu zerstreuen. Ihm winkt eine politische Karriere.