Polizisten versuchen, die demonstrierenden Rechtsextremen am Montagabend in Chemnitz in Schach zu halten. Foto: dpa

Nach den Auseinandersetzungen in Chemnitz fordern Politiker ein stärkeres Engagement der Bürger gegen Rechtsextremismus. Tatsächlich bilden sich schon Initiativen, auch in Stuttgart.

Berlin/Stuttgart - Nach den rechtsradikalen Ausschreitungen in Chemnitz hat der Chef der Unionsfraktion im Bundestag, Volker Kauder, ein öffentliches Aufbegehren der Bürger gefordert. Es gebe für das, was in Chemnitz passiert sei, „überhaupt keine Rechtfertigung“, sagte Kauder. Es dürfe keinesfalls der Verdacht aufkommen, so etwas könne auf Verständnis treffen. „Wir müssen eher die Menschen, die sich davon abwenden, die das ablehnen, auffordern, sich auch dagegen zu positionieren“. Nach dem Tod eines 35-jährigen Deutschen in Chemnitz hatte am Sonntag ein Mob von rund 800 Personen Jagd auf Menschen mit fremdländischem Aussehen gemacht hatten. Der Tat verdächtig sind ein Syrer und ein Iraker. Am Montag demonstrierten etwa 6000 Rechts- und 1000 Linksextreme.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Burkhard Lischka, unterstützt Kauders Appell. „Die Zivilgesellschaft darf nicht einer brüllenden Minderheit die Meinungshoheit überlassen“, sagte Lischka unserer Zeitung. Zustimmung kommt auch von der katholischen Kirche. „Es ist richtig, dass hier nicht alleine die Politik gefragt ist, sondern jede und jeder Einzelne in der Gesellschaft“, sagte Prälat Jüssen, Leiter des katholischen Büros der Bischofskonferenz in Berlin unserer Zeitung. „Gemeinsam müssen wir für Toleranz, Demokratie und Weltoffenheit eintreten und denen die rote Karte zeigen, die mit Hass und Gewalt gegen unsere Mitmenschen vorgehen.“ Zugleich müssten Christen aber darauf bedacht sein, „Gräben in der Gesellschaft nicht weiter zu vertiefen, sondern auch auf jene zugehen, die eine andere Meinung vertreten als wir“.

Demonstrationen am 13. Oktober geplant

Tatsächlich gibt es Anzeichen für das Aufstehen der Zivilgesellschaft. So wird es am 13. Oktober in mehreren europäischen Städten zu Demonstrationen kommen, zu denen fünf Millionen Bürger erwartet werden. In Berlin ruft das Bündnis „#unteilbar“ zu einer Großdemonstration „für eine offene und solidarische Gesellschaft“ auf. Dem Bündnis gehören 450 Organisationen an. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehören etwa die Musikband die „Die Ärzte“ und die Schriftstellerin Eva Menasse.

Auch in Stuttgart vereinen sich mehr als 160 Institutionen zu einer Bürgerbewegung. Diese will in zahlreichen Veranstaltungen den 70. Jahrestag der UN-Menschenrechtscharta am 10. Dezember 1948 feiern. Der Blick geht dabei auch nach Chemnitz: „Überall werden Grundrechte wie die Pressefreiheit infrage gestellt. Daran merkt man, dass der Motor des Rechtsstaats zu stottern beginnt“, sagte Michael Kienzle, Vorstand der Stiftung Geißstraße, unserer Zeitung. Er hätte nicht gedacht, „dass es noch einmal notwendig wird, sogar in Europa die Menschenrechte zu verteidigen“, sagte der Initiator der Stuttgarter Menschenrechtsbewegung. Deswegen sei es „umso wichtiger, dass wir aus der Mitte der Gesellschaft heraus agieren“.