Der Politikwissenschaftler Hajo Funke bescheinigt den Sicherheitsbehörden, das Problem des Rechtsextremismus nun entschieden anzugehen. Foto: dpa/Tim Brakemeier

Wie gefährlich sind die Reichsbürger? Der Berliner Politikwissenschaftler Hajo Funke sieht Überschneidungen zwischen diesem oft rechtsextremen Milieu und der Querdenker-Szene.

In der Reichsbürgerszene soll sich eine terroristische Vereinigung gebildet haben, die mutmaßlich den Umsturz des politischen Systems in Deutschland vorbereitet hat. Die Bundesanwaltschaft ließ am Mittwoch 25 Menschen festnehmen. Hajo Funke ist Experte für Rechtsextremismus und Antisemitismus in Deutschland. Der Politikwissenschaftler lehrte von 1993 bis zur Emeritierung 2010 am Institut für Politische Wissenschaften der Freien Universität Berlin.

Herr Funke, manches an der Reichsbürger-Ideologie wirkt eher altbacken, manches gar lächerlich. Dennoch werden ihr rund 20 000 Menschen zugeordnet. Woher kommt die Attraktivität?

Es ist eine bunte Mischung: Da tummeln sich Selbstverwalter, Anti-Demokraten, Monarchisten. Aber dem unterliegt stets eine vollständige Ablehnung der demokratischen Grundordnung, wie sie zum Beispiel in der Ausstellung eigener Pässe zum Ausdruck kommt. In manchen Milieus kommt das an, nach dem Motto: Die trauen sich was. Dazu kommt eine andere Seite: eine glasklar rechtsextreme, terroristische Strategie der Errichtung eines Deutschen Reiches in den Grenzen von wahlweise 1871 oder 1937, also vom Elsass bis Ostpreußen. Sie setzen offen auf den Umsturz. Da erschließt sich mir nicht, warum die Behörden bislang sagen, dass nur ein geringer Teil der Reichsbürger klar rechtsextrem ist. Das ist eine Verharmlosung.

Lange hieß es, die Szene bestünde aus Einzelgängern. Offenbar ist sie aber doch gut vernetzt.

In der Tat hat man die Reichsbürger zu lange als wenig relevante Spinner angesehen. Aber die klare Ablehnung der demokratischen staatlichen Institutionen offenbart das rechtsextreme Denken. Und tatsächlich haben Umsturz und Attentatsfantasien und -Planungen in der Szene deutlich zugenommen. Das zeigt die Razzia. Es wurde ja erneut auch ein Mitglied der KSK-Kräfte der Bundeswehr festgenommen. Auch das macht deutlich, dass die Vernetzungsversuche nicht erfolglos sind. Es gibt moosartige und schwer zu erfassende Netzwerke.

Gibt es einen baden-württembergischen Schwerpunkt in der Szene?

Da bin ich vorsichtig, aber jedenfalls gibt es im Bereich des Rechtsextremismus immer auch Beziehungen zum Südwesten.

Welche ideologische Verbindung gibt es denn zwischen der Querdenker-Szene und den Reichsbürgern?

Da gibt es vielfältige Überschneidungen. Die Querdenker stellen ja selbst ein sehr ausdifferenziertes Milieu dar, das ins Rechtsextreme ausgreift. An den Rändern dieser Bewegung gibt es durchaus die Bereitschaft zur Gewalt, man denke an die Versuche, anlässlich einer Demonstration in Berlin in den Reichstag zu gelangen. Die Querdenker kritisieren den Staat als autoritär oder gar als Diktatur. Es liegt auf der Hand, dass sich dies bestens mit den Vorstellungen der Reichsbürger verträgt. Die waren bei den Corona-Demos regelmäßig dabei – als Einzelne oder als Formation.

Wie eng sind die Verbindungen zur AfD und den Reichsbürgern?

Eine heute festgenommene Richterin saß ja als Bundestagsabgeordnete im Parlament. Die AfD in ihrer Breite, ihr Jugendverband Junge Alternative, Reichsbürger und die Querdenker-Bewegung überlagern und ergänzen sich in der Demonstrationspraxis. Das ist bei Demonstrationen immer ein Geflecht. Alle diese Elemente eint die Agitation gegen Kernelemente unseres Staates.

Auch bei der Razzia vom Mittwoch zeigt sich, dass ehemalige oder noch aktive Bundeswehr-Soldaten in doch beträchtlicher Zahl involviert sind. Ist die Bundeswehr eine Brutstätte für solches Gedankengut?

Nein, der Ausdruck Brutstätte ist nicht angemessen. Die Bundeswehr ist schon sichtbar interessiert daran, diese Phänomene in den eigenen Reihen nicht weiter wachsen zu lassen. Umgekehrt wird ein Schuh daraus: Junge Männer, die sich von der Ideologie der Reichsbürger angezogen fühlen, suchen natürlich gezielt die Organisationen, in denen sie sich für ihre Zwecke besser ausbilden lassen können. Das sind natürlich Polizei und Bundeswehr. Dabei sind dann tatsächlich kleinere Netzwerke entstanden, die lange übersehen worden sind. Das darf man nicht verharmlosen, dennoch ist der Begriff Brutstätte nicht der richtige. Die Bundeswehr duldet das ja nicht, sondern versucht ja durchaus dagegen vorzugehen.

Wie müssen wir die aktuellen umfangreichen Razzien eigentlich interpretieren: Können wir beruhigt sein, weil der Staat sich als wach und wehrhaft präsentiert oder ist das Gegenteil der Fall und die Razzien offenbaren, wie groß das Problem ist und wie lange es unterschätzt wurde?

Wir sehen am Beispiel der Razzia, dass der Rechtsstaat in der Frage der Reichsbürger längst aufgewacht ist. Vor allem nach der Aufdeckung des NSU und seines Netzwerks begann eine neue Phase. Der lange NSU-Prozess, die umfangreiche Berichterstattung darüber, die vielen verschiedenen Untersuchungsausschüsse führten zu einer breiten öffentlichen Debatte in der Zivilgesellschaft. Mit einer Verzögerung führte das auch zu Neubesetzungen an der Spitze des Bundeskriminalamtes und des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Ich habe den Eindruck, dass insbesondere das Bundesamt für Verfassungsschutz unter einer Führung steht, die nun tatsächlich entschieden und konsequent diesen Tendenzen – übrigens auch in den Sicherheitsbehörden selbst – nachgeht. Das wird derzeit auch angestoßen und angetrieben durch die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Und auch exzellente Innenpolitiker aller demokratischer Parteien schauen auf diese Entwicklung. Da hat sich von oben Erhebliches gewandelt, nachdem der Druck von unten durch die Öffentlichkeit immer massiver geworden war. Eine sichtbare Konsequenz ist diese Razzia.