Das Innenministerium hält die Rockergruppe Osmanen Germania für gefährlich. Allein in Baden-Württemberg wurden deshalb am Dienstag acht Objekte durchsucht.
Jettingen/Stuttgart - Zwei, drei Minuten geisterten die Strahlen von Taschenlampen durch die Dunkelheit des Jettinger Fitness- und Kampfsportstudios. Dann führten maskierte Polizisten den Präsidenten des Nagolder Osmanen Germania Boxclub mit Handschellen gefesselt aus dem Studio ins seine benachbarte Wohnung.
Razzia im beschaulichen Jettingen im Nordschwarzwald. Um 6.17 Uhr hatten Polizisten in grünen Einsatzanzügen an die Türen der Wohnung und des Sportcenters geklingelt. Sekunden später stiegen sie die Stufen der weiß getünchten Treppenhäuser hinauf. Vor dem Haus im Unterjettinger Gewerbegebiet warten Ermittler des Landeskriminalamtes darauf, dass ihre uniformierten Kollegen die Situation in der Wohnung und den Geschäftsräumen Ahmet B.s unter Kontrolle hatten. Dann begannen die Kriminalen mit der Durchsuchung.
Ziel der Razzia: Um ein Verbot der als Boxclub auftretenden, mehrheitlich von türkischstämmigen Männern gebildeten Osmanen Germania vorzubereiten, wollten Fahnder bei Durchsuchungen in Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen Erkenntnisse über Strukturen und Aktivitäten der rockerähnlichen Gruppe gewinnen.
Führungsduo in U-Haft
Dazu bot der geschäftsführende Innenminister Thomas de Maiziere (CDU) bundesweit mehr als 800 Beamte auf. Unter ihnen waren auch Spezialkräfte der Polizei. In Nordrhein-Westfalen durchsuchten Polizisten 41 Objekte vor allem im Rhein-Ruhr-Gebiet. In Hessen waren es zehn Objekt – unter anderem in Dietzenbach und Oberursel. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet den Osmanen Germania Boxclub. Im Südwesten waren mehr als 100 Beamte bei den Durchsuchungen in Crailsheim und Gerabronn (beide im Landkreis Schwäbisch Hall), Jettingen (Landkreis Böblingen), Mannheim sowie in den Gefängnissen Offenburg und Stuttgart-Stammheim im Einsatz.
In den Justizvollzugsanstalten sitzt derzeit das frühere Führungsduo des Weltverbandes der Osmanen, Mehmet Bagci und Selcuk Sahin, in Untersuchungshaft. Ihnen wirft die Staatsanwaltschaft Stuttgart mehrere Gewaltverbrechen vor. Gegen die beiden und sechs weitere Mitangeklagte wird ab dem 26. März vor dem Landgericht Stuttgart verhandelt. Bagci und Sahin waren im Sommer vergangenen Jahres – wie auch der Präsident der Stuttgarter Osmanen-Sektion, Levent Uzundal – nach Recherchen der Ermittlungsgruppe „Meteor“ festgenommen worden. Die Sonderkommission des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg, der Bundespolizei und der Polizeipräsidien Ludwigsburg und Stuttgart war vor allem wegen gewalttätiger Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der kurdisch beherrschten Rockergruppe „Bahoz“ (kurdisch für Sturm) und den Osmanen gebildet worden.
ZDF-Moderator Böhmermann im Visier
Zumal die vermeintlichen Osmanen-Boxer auch Kritiker des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyib Erdogan wie den ZDF-Moderator Jan Böhmermann ins Visier nahmen. Im Dezember berichteten unsere Zeitung und das ZDF-Politikmagazin „Frontal 21“ unter Berufung auf beiden Medien vorliegende Abhör- und Observationsprotokolle, dass der türkische Geheimdienstkoordinator, Abgeordnete der Regierungspartei AKP und Jugendfreund Erdogans, Metin Külünk, die Bestrafung des Satirikers in Auftrag gab.
Dies geschah zumindest im Fall Böhmermann Anfang April 2016 über den Mannheimer Vorsitzenden des Lobbyvereins „Union der Europäisch-Türkischen Demokraten“ (UETD). Die Wohnung des UETD-Vorsitzenden Rhein-Neckar – Mannheim, Yilmaz Ilkay Arin, wurde Dienstagmorgen – zum wiederholten Mal – ebenfalls durchsucht. Über ihn, so ein Bericht einer deutschen Sicherheitsbehörde, ließ Külünk den Osmanen Germania auch Geld für Waffenkäufe zu kommen. Wenn er es nicht selbst erledigte: Am 1. Juni 2016 dokumentierte das Hamburger Mobile Einsatzkommando, wie Külünk in Berlin Osmanen-Chef Mehmet Bagci einen Umschlag mit Geld übergab. Wenig später berichtete Bagci seinem Stellvertreter Sahin und UETD-Mann Arin telefonisch von der Geldübergabe.
Versuchter Mord, Menschenhandel und Erpressung
Die Erdogan-nahe UETD griff in der Vergangenheit mehrfach auf Mitglieder der Osmanen Germania zurück, um ihre Veranstaltungen von den Kampfsportlern absichern zu lassen. Das geschah auch in Stuttgart. Der Vorsitzende des Landesverbandes Württemberg, Sahin Öner, nahm erst Mitte Januar an einem Treffen ausgewählter UETD-Chefs mit Erdogan und Külünk in der Türkei teil. Dorthin setzten sich mindestens drei Mitglieder der Stuttgarter Osmanen ab, die von deutschen Ermittlungsbehörden wegen versuchten Mordes, Menschenhandel und schwerer räuberischer Erpressung gesucht werden. Der Stuttgarter Ableger benannte sich im Frühjahr 2017 in „Nomads Süd“ um.
Bis zum Jahresende 2016 stand ihm als Vizepräsident Ahmet B. vor, dessen Haus in Jettingen am Dienstag durchsucht wurde. Die Nagolder Sektion der Osmanen gilt als einzige mannstarke Gruppe der rockerähnlichen Gruppe, die derzeit in Baden-Württemberg aktiv ist. Allerdings bilden sich – wie in der Region Ludwigsburg – offenbar neue Strukturen.