In Ravensburg locken gleich zwei stimmungsvolle Christkindelsmärkte. Foto: Oberschwaben Tourismus

Als Stadt der Türme zeigt sich Ravensburg auf den ersten Blick. Als Stadt der kaufmännischen Erfolgsgeschichten auf den zweiten.

Ravensburg - Annette Billmann ist guter Dinge: Die erste Kundin hat bereits Becher und eine Butterdose gekauft, und der Tag ist noch jung. Seit 25 Jahren töpfert ihr Mann Volker, und seit fünf Jahren stehen sie auf dem Reischmann-Weihnachtsmarkt in Ravensburg, direkt vor dem gleichnamigen Modehaus. „Der Chef des Modehauses wählt aus, welche Kunsthandwerker auf dem Markt verkaufen“, erzählt sie. Die Künstler kommen aus dem In- und Ausland: der Holzbildhauer Kakzimierz Kowalczyk aus Polen, die Binsenstuhlflechter Beckers-Verhees aus Holland, die Treibholzkünstlerin Renate Mayer aus Norddeutschland.

Warum aber kümmert sich ein Modehaus um einen Weihnachtsmarkt? Weil es sich davon auch eigene Vorteile verspricht. Wen der Weihnachtsmarkt lockt, schaut vielleicht auch ins Modegeschäft. Vor vier Jahren feierte die Firma Reischmann 150. Geburtstag, vor zehn Jahren bekam sie den „Standort-Oskar Ravensburg“ verliehen, für herausragendes unternehmerisches Engagement. Die Unternehmerfamilie ist typisch für die ehemals freie Reichsstadt. Der Handel hat Ravensburg reich gemacht und hält die Stadt mit heute 50 000 Einwohnern weiterhin in Schwung.

Die attraktivste Einkaufsstadt im weiten Umkreis ist Ravensburg auf jeden Fall. Gut geführte Fachgeschäfte finden sich in den Gassen, auch Unikate wie ein Spezialgeschäft für den traditionellen Bogensport, für Jonglierbedarf und Drachen. Echte Hutgeschäfte und Papeterien, die ihren Namen verdienen, Buch- und Spieleläden sowieso.

Eine der jünsten Eröffnungen ist ein Buchladen

Letzteres versteht sich quasi von selbst, in der Heimat des Otto-Maier-Verlags, heute Ravensburger. Auch das ist eine unternehmerische Erfolgsgeschichte, die sich in den Räumen des ehemaligen Stammsitzes nacherleben lässt. Das moderne Museum lädt im historischen Haus zum Mitspielen ein und macht auch Kindern großen Spaß.

Eine der jüngsten Eröffnungen ist ein Gewürzladen, im September hat er in bester Lage am Marienplatz aufgemacht. Astrid Schneider Kloos und Julia Schröter sind die Inhaberinnen. Ihr Konzept „Violas’“ stammt aus Hamburg von der Gewürzkönigin Viola Fuchs. Vom ersten Tag an brummte der Laden, der neben 1001 Gewürzen auch Risotto und Nudeln, Öle und Küchenaccessoires anbietet.

Der zweite Weihnachtsmarkt, der Christkindlesmarkt, findet sich unübersehbar zu Füßen des rot verputzten Rathauses von 1386 und des Waaghauses, eines früheren städtischen Kaufhauses von 1496, direkt neben dem Blaserturm, der im Sommer einen trefflichen Blick über die gotische Stadt bietet. Bis 1911 wurde der Ausguck vom Turmwächter, dem Blaser, besetzt, was aufs Beste seinen Namen erklärt.

Das Wahrzeichen von Ravensburg ist ein weißer, schmaler Turm, der Mehlsack

Das Wahrzeichen Ravensburgs ist allerdings der „Mehlsack“, der sich hinter dem Obertor 51 Meter hoch über die Stadt erhebt. Weiß und schmal ist der Turm, wie ein früherer Mehlsack eben.

Museumsviertel ist vielleicht ein großes Wort für die kleine Ecke der Altstadt unterhalb vom Obertor, in der sich die vier Museen der Stadt finden. Doch alle vier haben es in sich: Allein das Humpis-Quartier birgt so viele Geheimnisse, dass man einen ganzen Tag bräuchte, sie zu ergründen. Auf den ersten Blick sind es leere Häuser, sieben alte, entkernte Häuser. Aber schon im ersten Raum, im Haus des Lederhandwerkers aus dem Jahr 1050, entdeckt man spannende Geschichten, die noch interessanter werden, sobald man den Audioguide aktiviert.

Die sieben Altstadthäuser zeigen den Kern der alten Stadt, die Stadtentwicklung, die sich bildenden Zünfte und die Vergnügungen der Bewohner. Ravensburg war eine reiche Stadt, lag sie doch an einer bedeutenden Handelsstraße von Ulm an den Bodensee.

Das Kunstmuseum erhielt 2013 den deutschen Architekturpreis

Die Familie Humpis, nach der das Museum genannt wurde, gehörte zur adeligen Oberschicht und war im Fernhandel tätig. Hans Humpis stellte sechsmal in Folge den Bürgermeister. Oben unter dem Dach gurren die Tauben, glücklicherweise nur vom Band. Der Innenhof des Museums wurde mit einem Glasdach geschlossen. Zurück in der Marktstraße, zurück im 21. Jahrhundert. So glaubt man zumindest, bis man mit der freundlichen Bedienung in der Chocolaterie Henger ins Gespräch kommt. Vorne am großen Fenster stehen zwei Tische, im hinteren Teil des Cafés warten Plüschsofas. Ja, etliche Damen würden noch heute deutlich lieber hinten sitzen, denn man solle besser nicht sehen, dass die schwäbische Hausfrau den Tag mit Kaffeetrinken verbringe.

Auch die Reisenden wollen nicht des Müßigganges bezichtigt werden, also auf ins Kunstmuseum. Erst im letzten Jahr wurde es eröffnet, als weltweit erstes Passivhaus- Museum der Welt erhielt es den deutschen Architekturpreis 2013. Von außen wirkt es mit seinen kleinen Fenstern eher wie ein Gefängnis. Also hinein. Zunächst einmal die Sammlung Peter und Gudrun Selinka, eine der hochklassigen Privatsammlungen in Süddeutschland.

Dazu kommen Wechselausstellungen, gerade zu Otto Mueller. Auch diese Ausstellung ist absolut sehenswert. Die von außen kleinen Fenster sind erleuchtet und faszinieren im Treppenhaus, das Kuppeldach aus alten Ziegeln eines abgebrannten Klosters in Belgien ebenso. Modern und historisch, in neuer Form vereint. Das passt perfekt zur alten Stadt Ravensburg.