In dem blauen Köfferchen, das Alexander Gerst vor dem Start in der Hand hält, sitzt ein Ventilator aus Baden-Württemberg. Foto: AP

Wenn Astronauten ins All fliegen, profitieren davon auch Firmen aus Baden-Württemberg. Sie liefern Detektoren, Kommunikationstechnik oder Software. Bei der Mission von Alexander Gerst ist Hightech aus Baden-Württemberg ebenfalls mit im Spiel.

Stuttgart - Dass man bei einer Reise zur Raumstation ISS nicht allzu viel Gepäck mitnehmen kann, ist einleuchtend. Doch die blauen Koffer, die Alexander Gerst und seine Crewmitglieder in der vergangenen Woche beim Besteigen ihrer Sojus-Rakete in der Hand hielten, waren dann doch sehr klein. Viel mehr als die nötigsten Waschutensilien sowie ein paar Energieriegel fänden darin kaum Platz.

Doch die Koffer dienen gar nicht dem Gepäcktransport. In ihnen steckt vielmehr ein ausgeklügeltes Belüftungssystem, das über einen Schlauch mit den Raumanzügen der Astronauten verbunden ist. Andernfalls würden im Inneren der luftdichten Overalls schnell unerträgliche Temperaturen herrschen. Während des Flugs ins All sind die Astronauten an das Lüftungssystem der Rakete angeschlossen. Doch für die Zeit vor dem Start oder auch beim Astronautentraining in voller Montur mussten sich die Ingenieure eine andere Lösung einfallen lassen. Das Ergebnis sind die kleinen Koffer, die auch schon bei früheren Weltraummissionen zu sehen waren.

Ventilatoren kommen aus Mulfingen

Im Inneren dieser Koffer werkeln Radialventilatoren der Firma EBM Papst aus Mulfingen bei Künzelsau, der Heimatstadt von Alexander Gerst. Das baden-württembergische Unternehmen sieht sich als Weltmarktführer für Ventilatoren und die dazugehörigen Elektromotoren. Das Sortiment umfasst rund 20 000 verschiedene Produkte. „Wir wissen oft gar nicht genau, wo unsere Lüfter überall verbaut werden“, sagt ein Sprecher des Unternehmens. In den arbeitsteiligen Produktionsketten unserer Zeit mit zahlreichen Zulieferern und Zu-Zulieferern ist der endgültige Verbleib einzelner Komponenten selbst für den Hersteller nicht immer sofort nachvollziehbar.

Bei den Lüftern in Gersts Koffer ist das natürlich anders. Über sie kann der EBM-Papst-Sprecher auf Anhieb einiges erzählen. So sollen sie aufgrund eines besonders niedrigen Stromverbrauchs einen möglichst langen Betrieb der Lüftungskoffer mit Akkulaufzeiten von bis zu sechs Stunden gewährleisten. Die Ventilatoren in den Astronautenkoffern machen zwar nur einen verschwindend kleinen Teil des gesamten Geschäfts von EBM Papst aus, doch der positiven Wirkung in der Öffentlichkeit ist man sich in Mulfingen durchaus bewusst. Rein technisch besteht zwischen den Lüftern im Koffer und jenen, die etwa in PCs eingebaut werden, kein großer Unterschied. Allerdings gelten für Bauteile oder auch Computerprogramme, die in der Luft- und Raumfahrt eingesetzt werden, strengere technische Vorgaben als in anderen Branchen – etwa mit Blick auf Qualitätskontrollen und Dokumentation.

Reparaturen im All sind extrem teuer

Denn wenn ein Satellit erst mal um die Erde kreist, sind Reparaturen nicht mehr möglich oder aber extrem teuer. Ein Beispiel dafür waren die fehlerhaften Linsen des Weltraumtelekops Hubble, dem nachträglich eine Art Brille verpasst werden musste. Noch höher sind die Anforderungen bei bemannten Missionen, da technische Probleme hier schnell lebensbedrohliche Folgen haben können.

EBM Papst ist nur eines von vielen Unternehmen im Südwesten, die an Raumfahrtprojekten beteiligt sind. Nach Angaben des Forums Luft- und Raumfahrt Baden-Württemberg (LRBW), das an die 100 Mitgliedsunternehmen zählt, beschäftigt die Branche im Land rund 15 000 Beschäftigte. Der Umsatz wird mit rund fünf Milliarden Euro beziffert.

Welcher Anteil der Beschäftigten auf Raumfahrtprojekte entfällt, lässt sich nach Angaben des LRBW-Vorsitzenden Rolf-Jürgen Ahlers nur grob schätzen. Es seien aber mit Sicherheit mehr als zehn Prozent. Hinzu komme jedoch ein Vielfaches an Jobs bei den Zulieferern. Die schwierige Abgrenzung hat einen einfachen Grund, wie Ahlers erläutert: „Viele der in der Raumfahrt eingesetzten Technologien finden auch Anwendung in der Zivilluftfahrt oder der Wehrtechnik.“ So lassen sich etwa Bilddaten von Satelliten sowohl zur Umweltüberwachung als auch für militärische Zwecke nutzen. Auch die Proxivision GmbH aus Bensheim, der Ahlers als Geschäftsführer vorsteht, produziert elektro-optische Detektoren für zivile und militärische Anwendungen sowie für die Raumfahrt – beispielsweise UV-Bildverstärker oder Neutronensensoren.

Heilbronner Firma AIM produziert unter anderem Infrarotdetektoren

Neben dem Branchenriesen Airbus Space and Defence, der allein in Immenstaad am Bodensee rund 2500 Mitarbeiter beschäftigt, gibt es etliche mittelständische Unternehmen, die zumindest einen Teil ihres Umsatzes mit Raumfahrtprojekten erzielen. So produziert die Heilbronner Firma AIM unter anderem Infrarotdetektoren, die in Erdbeobachtungssatelliten wie dem Ende April gestarteten Sentinel-3B eingesetzt werden. Diese Detektoren erfassen zum Beispiel die Oberflächentemperaturen in verschiedenen Regionen der Erde und helfen so, den Klimawandel zu erforschen oder die Entstehung von Wirbelstürmen besser zu verstehen. Entwickelt werden in Heilbronn auch Sensoren beispielsweise zur Erfassung der Treibhausgasemissionen oder zum Nachweis einzelner chemischer Stoffe auf der Erde mithilfe der Infrarot-Spektroskopie. Zum Sortiment von AIM gehören ferner Kühlsysteme für den Einsatz im Weltraum. Sie werden gebraucht, um die empfindlichen Sensoren auf die optimale Betriebstemperatur von minus 200 Grad zu bringen.

Zu den Großen im Raumfahrtgeschäft gehört mit rund 1200 Mitarbeitern Tesat Spacecom in Backnang. Das Unternehmen entwickelt Technologien für die Satellitenkommunikation. Ein Beispiel dafür ist ein neues Lasersystem, das Daten mit zehn Gigabit pro Sekunden von der ISS zur Erde übertragen soll – zehnmal schneller als bisher. Mehr als die Hälfte aller Telekommunikationssatelliten im Orbit hat nach Firmenangaben Technik von Tesat an Bord.

Neben technischen Komponenten bieten Unternehmen aus dem Südwesten auch Ingenieurdienstleistungen oder Software für die Raumfahrtbranche an. Ein Beispiel dafür ist Astos Solutions aus Stuttgart mit Software für die Planung, Simulation und Optimierung von Raumfahrtmissionen.