Tina Stäbler hat ein System entwickelt, mit dem der Hitzeschild eines Raumschiffs überwacht werden kann. Foto: DLR

Tina Stäbler hat ein System entwickelt, das die Raumfahrt sicherer macht. Dafür hat sie einen renommierten Preis bekommen.

Stuttgart - Dieser überfrauhohe Kasten, neben dem diese junge Forscherin in den vergangenen Jahren sehr viel Zeit verbracht hat, kann glühend strahlen wir eine kleine Sonne. Und Tina Stäbler kann das gewissermaßen auch, wenn sie neben diesem Kasten steht. Man muss nur fragen: „Ist die Raumfahrt hier nicht ganz schön weit weg?“ Hier in diesem Labor im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Stuttgart, voller Kabel, technischer Geräte, Werkbänke, hier in dieser Halle, aus der man nicht einmal den Himmel sehen kann? Solche Fragen knipsen die Sonne in der 31-jährigen Forscherin an. Sie antwortet Energie geladen, mit strahlenden Augen und roten Wangen. Sie berichtet, wie nah sie sich der Raumfahrt hier fühlt, und erzählt von ihrem größten Traum, ihr Projekt eines Tages tatsächlich ins All schicken zu können. Als Doktorandin am DLR-Institut für Bauweisen und Strukturtechnologie tüftelt Tina Stäbler seit mehreren Jahren an einem Projekt. „Aufgeben war keine Option“, sagt sie, „ich wusste, dass es gehen würde. Ich habe fest daran geglaubt.“

Ein kleiner Schaden am Hitzeschild kann zur Katastrophe führen

Dabei war das keineswegs klar. Die Doktorandin hatte sich ein hehres Ziel gesetzt: Sie möchte die Raumfahrt sicherer machen. Im Rahmen ihrer Dissertation hat sie ein System entwickelt, mit dem beispielsweise der Hitzeschild eines Raumschiffs überwacht werden kann. Jedes Problem im Material würde dann sofort entdeckt, seien es Schädigungen durch zu große Wärme, hohe Kräfte oder durch den Aufprall von Partikeln. Ein kleiner Schaden im Material kann hier zu einer Katastrophe führen – was beispielsweise 2003 beim Wiedereintritt des Space Shuttles Columbia passierte und sieben Astronauten das Leben kostete.

Als 2003 die Columbia explodierte, war Tina Stäbler 16 Jahre alt. Sie hat das Unglück sicherlich im Fernsehen verfolgt, aber was sie viel mehr erinnert aus dieser Zeit, ist das „SETI@home“-Projekt der Universität Berkeley. SETI steht für „Search for ExtraTerrestrial Intelligence“, im Rahmen des Projekts wurden Radiosignale aus dem All ausgewertet auf der Suche nach außerirdischem Leben. Dabei konnten Nutzer ihre privaten Rechnerkapazitäten zur Verfügung stellen, was die Teenagerin begeistert tat: „Der Rechner lief den ganzen Tag“, erinnert sich Stäbler, „ich fand das einfach eine wahnsinnig spannende Frage und es war toll, etwa dazu beitragen zu können.“

Gibt es Leben im All?

Bis heute bewegt sie die Ungewissheit, ob es Leben gibt, irgendwo da draußen. „Ich denke ja, aber die Frage ist, ob wir es jemals zu Gesicht bekommen“, sagt sie. Die Raumfahrt sicherer zu machen ist der erste Schritt dorthin. Denn je sicherer Menschen ins All fliegen können, je besser das Material mit den extremen Bedingungen zurecht kommt, umso mehr wird die Menschheit dort draußen entdecken können. „Es hilft, dass wir unseren Horizont erweitern können. Es ist toll, dazu beizutragen“, sagt Tina Stäbler.

Wäre die Columbia mit ihrem System also nicht zu Schaden gekommen? „Vielleicht nicht, aber das kann man nicht sicher sagen.“ Tina Stäbler ist viel zu bescheiden, um für sich zu werben. Dass sie den renommierten Amelia Earhart Preis gewonnen hat rückt sie endlich ins Rampenlicht. Weltweit wird diese Auszeichnung jedes Jahr an 35 Wissenschaftlerinnen aus dem Bereich der Luft- und Raumfahrt vergeben, um die Position von Frauen in Ingenieurs- und Naturwissenschaften zu stärken. Der Preis erinnert an die Luftfahrtpionierin Amelia Earhart, die 1932 als erste Frau im Alleinflug den Atlantik überquerte.

Warum gibt es nur wenige Frauen in der Raumfahrt? Stäbler zuckt mit den Schultern. Erklären kann sie es sich nicht so recht, „es ist doch ein wahnsinnig spannendes Thema“ – und für sie sei es seit der Kindheit klar gewesen, dass das ihr Ziel ist, zur Raumfahrt beizutragen. Blöde Bemerkungen habe sie nie gehört, weder wegen ihrer Leidenschaft für Physik in der Schule noch für ihre Raumfahrtkarriere. „Mädchen machen so was nicht“ scheint von gestern zu sein. „Eigentlich finden es alle cool“, sagt sie, am besten gefallen ihr die Bemerkungen im englischsprachigen Ausland: „Wow, a rocket scientist!“ – da ist es wieder das sonnenstrahlende Lächeln.

Unerwartete Messergebnisse

Dieses Vertrauen, das schon alles gut wird, das braucht man wohl für ihren Job. „Wenn es einfach wäre, dann wäre es schon gelöst“ – das ist schon das weitestgehende Eingeständnis, das auf ihre Leistung hindeutet. Ihr System arbeitet über Strom, den sie von vielen Punkten auf der einen Seite eines Stückes Hitzeschild an viele andere Punkte an der anderen Seite leitet – zwölf mal zwölf mögliche Wege kann der Strom in ihrer Versuchsanordnung gehen, einem Schneidebrettchen großen Stück Hitzeschild, und alle diese 144 Kurven kann sie auf ihrem Laptop verfolgen und auswerten. Verändert sich die Spannung aufgrund einer Schädigung des Materials oder aufgrund zu hoher Kräfte, dann ändern sich die Kurven. All das, daran arbeitet sie, kann eines Tages ein Computer automatisch und permanent beobachten und auswerten. So würde in Echtzeit klar, wann es Probleme geben könnte.

Doch immer wieder erschienen seltsame, völlig unerwartete Messergebnisse auf ihrem Bildschirm, „tja, die Daten haben Recht“, sagt die Forscherin, und so hat sie wohl jedes Mal ergeben gedacht und unermüdlich die Ursache gesucht. Ein Phänomen namens thermoelektrischer Effekt hat sie ein halbes Jahr lang beschäftigt: der verändert die Spannung, wenn sich das Material erhitzt. Sie hat schließlich einen Weg gefunden, ihn aufzuspüren und herauszurechnen – und keinen Moment dran gezweifelt, dass sie ihn finden würde.

Ecken und Kanten

Ihr Weg hinaus aus dem Labor in den verdienten Feierabend führt an einem Modell der Shefex-Missionen vorbei. Tina Stäbler bleibt kurz stehen, fährt mit dem Finger über die scharfen Kanten des Hitzeschilds – das ist das besondere an diesen Missionen. „Damit hat das DLR unter anderem gezeigt, dass auch Ecken und Kanten in den Schilden die Hitze beim Wiedereintritt aushalten“, sagt sie bewundernd. Bis dahin wurden Hitzeschilde stets gewölbt gebaut – was in der Herstellung sehr aufwendig ist. Die zweite Mission fand 2012 statt, da war sie noch an der Uni und arbeitete daran, ablative (abbrennende) Hitzeschilde photogrammetrisch darzustellen – sie war eine der ersten, der das gelang, „aber nur, weil schon viele andere vor mir daran gearbeitet haben“, sagt sie bescheiden. Hinter dem Modell ist ein Foto des Shefex-Systems im Einsatz an der Spitze einer Rakete – und als die Besucherin staunend stehen bleibt, stupst Stäbler sie kurz an und sagt keck: „Na, doch ganz nah die Raumfahrt hier, oder?“

Hitzeschilde bannen die Gefahr beim Wiedereintritt in die Atmosphäre

Wiedereintritt

Als Wiedereintritt wird der Zeitpunkt auf der Reise eines Raumschiffs bezeichnet, zu dem das Raumschiff aus dem Weltraum in die Luftschichten der Erdatmosphäre eintritt. Durch die Reibung mit diesen dickeren Luftmassen, auf die das Raumschiff mit Überschallgeschwindigkeit auftrifft, wird das Gefährt schlagartig stark abgebremst. Astronauten berichten von einem brutalen, kaum aushaltbaren Gerüttel und Geschüttel.

Hitzeschild

Der Hitzeschild ist hier eines der wichtigsten und gleichzeitig gebeutelsten Teile eines Raumschiffs in diesem Zusammenhang, denn es muss diese Tortur überstehen und die Besatzung sowie die Technik schützen. Der Wiedereintritt gilt als einer der gefährlichsten Momente einer Raumfahrtmission: es entstehen dort nicht nur sehr hohe Kräfte, sondern obendrein sehr hohe Temperaturen. Beides ist eine Herausforderung für das Material.

Lösung

Es gibt zwei verschiedene Arten von Hitzeschilde: ablative und nicht ablative. Ablative Hitzeschilde verbrennen beim Wiedereintritt, wobei eine isolierende Schicht entsteht, die Kapsel und Raumfahrer vor der Hitze des Plasmas schützt. Nicht-ablative Hitzeschilde, so genannte Kacheln, verbrennen nicht: sie sind aus isolierendem, Hitze beständigen Material gebaut und können daher in der Regel auch mehrmals verwendet werden